Anlässlich des Kinostarts von Anton Corbijns „A Most Wanted Man“ am 11. September veröffentlichte der Schirmer/Mosel Verlag im Juli 2014 Corbijns Making-of-Fotobuch zu eben jenem Film.

Anton Corbijns „Looking at A Most Wanted Man“ sei dem Größten gewidmet: Philip Seymour Hoffman. Schon auf der Titelseite von Corbijns nunmehr drittem und letztem fotografischen Making-of-Roman (nach jenen zu „Control“ und „The American“) prangen die drei Initialen seines Hauptdarstellers in einer grotesk-schnippischen Variante aus Druck- und Schreibschrift. Wenn sie trennt, dann ausufernd; wenn sie verbindet, dann zart. Natürlich sagt allein Anton Corbijns Stil, nicht nur zu fotografieren, sondern ebenso zu beschreiben, anzudeuten, zu skizzieren, etwas aus über die dann folgenden 140 Farbtafeln auf 180 Seiten: Weil sie einer Malerei gleichen, manchmal noch mehr, als es schlichte, perfekte Aufnahmen könnten. Was dieser „Looking at A Most Wanted Man“ aber vielmehr in vielen kleinen, dezenten Chiffren einfängt, ist das Modell des und grundlegend eines Films an sich. Vorbereitung, aktive Dreharbeiten, die Suche nach geeigneten Orten, Frisuren, Kostümen, Mützen – die Suche nach einem Ganzen in unzähligen Feinheiten. Manchmal ist es auch einfach die Arbeit an baufälligen Zimmerecken, welche später Leben vortäuschen sollen. „Looking at A Most Wanted Man“ zeigt den Stillstand einer Dokumentation, ohne deren kulminierende Mythenwelt (nichts anderes ist ein Film schlussendlich nun einmal) auszugrenzen.

In körnigen, manchmal kühlen ent- oder in Sepia-Tönen gesättigten Bildern hebt Corbijn Risse in den Wänden, überlagernde Graffitis, zersprungene Scheiben, leere Stadtteile und auch fortwährend verwaschene Bewegungen in den Fokus. So bewusst inszeniert viele Eindrücke scheinen, so nah wirken sie gleichermaßen – wie aus einem alten Familienalbum, an dessen Erzählstimme uns es zwar im gesprochenen Wort mangelt, nicht aber im geschriebenen. Schließlich wendet sich die Kamera in diesem Bildband auf das Äußere und Innere zugleich, was nicht explizit dasselbe sein muss. Corbijn aber versteht es, Anekdoten und winzige Spitzfindigkeiten mit filmtheoretischen Inhalten zu koppeln. Und obwohl die Kenntnis des Films sicherlich von Vorteil ist: Sie ist nicht vonnöten. Auch ohne das spezifische Handlungs- und Dramaturgiemuster malt „Looking at A Most Wanted Man“ die Komplexität unzähliger Regieentscheidungen aus (ob nun Willem Dafoes minimalistisches Büro als Privatbankier Tommy Brue oder Philip Seymour Hoffmans selbst gewähltes legeres Outfit für die Rolle des Günter Bachmann, Leiters einer deutschen Spionageeinheit, welches nur noch eine gewöhnliche Mütze benötigte). Auch die Darsteller schlendern nicht als offensichtliche Randfiguren einer groß angelegten Produktion umher, sondern entscheiden, diskutieren, interpretieren Ansätze im Drehbuch und formulieren sie aus, wie Corbijn sie dann mithilfe seiner Cutterin Claire Simpson bändigt.

Da das Buch jedoch noch Ende 2013 zusammengestellt wurde und Corbijn erst im April 2014 die endgültigen Texte und Anmerkungen verfasste, konkretisiert es unvermittelt auch den Tod Hoffmans im Februar dieses Jahres (und insbesondere in einem sehr persönlichen Block die zunächst rohe Zusammenarbeit der beiden). Der Tod bündelte schon immer die Werke Corbijns: zunächst als geradezu reumütiger Fotograf der Rock-’n’-Roll-Eskapisten von Tom Waits bis zu den Rolling Stones, später dann in seinem Spielfilmdebüt „Control“ (2007) – und gewiss Übergangsstück eines Mediums zu einem anderen – auch als Rekonstrukteur des ebenso früher von ihm porträtierten Ian Curtis (welcher sich mit nur 23 Jahren erhängte). Gewiss fügt sich auch „The American“ (2010) in das Œuvre des so protestantisch geprägten Mannes ein. Dort spielt George Clooney einen Waffennarren und Berufsmörder und jagt durch sein grisseliges Leben in der Hoffnung, der Tod würde nicht hinter dem nächsten vagen Gesicht lauern. Nun handelt sein „A Most Wanted Man“ nach dem Roman „Marionetten“ von John le Carré wieder vom Gestus des Ablebens. Es geht um den 11. September (wenig zufällig erscheint der Film ebenso an diesem Tag), die Hamburger Terrorzelle, Missgunst, Intrigen und den geläuterten Menschen. „Looking at A Most Wanted Man“ fühlt sich nur langsam in die Hintergründe ein, vielmehr rollen Prioritäten parallel aus, obwohl sie eben nicht dringend ergänzen müssen, sondern manchmal auch eigenständig bleiben. Wie das bei guten Erzählungen eben ist. Und dazu zählen durchaus auch jene Empfindungen vor dem eigentlich relevanten Akt.

Ein Bild kennzeichnet die Symbiose des Corbijn’schen Auges aus Selbstinszenierung und Melancholie dabei äußerst prägnant: Da steht Philip Seymour Hoffman inmitten einer Berliner Allee mit dem Rücken zur Kamera, Herbstlaub liegt auf der Straße, die Bäume scheinen sich in der Ferne leibhaft anzuschmiegen. Es sagt viel über den Künstler, aber noch viel mehr über sein Werk.

Weitere Informationen

Anton Corbijn
Looking at A Most Wanted Man
Mit Photographien und Texten von Anton Corbijn
180 Seiten, 140 Farbtafeln
ISBN 978-3-8296-0649-3
€ 49.80, (A) € 51.20, CHF 66.90

Meinungen

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