Frankreichs Protestunruhen sind von einem diffusen Chaos bestimmt. Rauch, Nebel, Sprays und Feuerwerkskörper: Im Zwei-Sterne-Hotel „Occidental“ wird der Zuschauer Zeuge eines ebenso chaotischen Kammerspiel-Szenarios. Die Voice-over-Stimme gehört der vollbusigen Rezeptionistin Romy (Louise Orry-Diquéro), die mit großer Liebe die absteigenden Gäste empfängt. Außerdem ist sie zusammen mit der strikten Managerin Diana (Anna Ivacheff) und dem kollapsgefährdeten Khaled (Hamza Meziani) Teil eines mehr oder weniger kompetenten Trios. Besoffene Briten, Hard Try Art People, schwule Italiener? Halt, das geht nicht. Genauso wenig kann es sein, dass Italiener Cola trinken. Mit solch absurden Einfällen durchzieht Neïl Beloufa sein 73-minütiges Debüt, das in der Sektion Forum auf der 67. Berlinale seine Weltpremiere feiert. Der stylische Retro-Look-Film wurde in einem extravaganten Set gedreht und bildet eine abgetrennte Dimension, welche die Situation vor der Tür widerspiegelt. Von draußen kommen die Agierenden herein – möglicherweise verwirrt, mit Sicherheit aber in der Erkenntnis von Zuständen, die ganz Frankreich aufwühlen. Durch die Fenster könn(t)en sie die Proteste der Demonstranten und die polizeiliche Abwehr dazu beobachten, der innere Kessel fängt jedoch auch so zu kochen an, und umso mehr wird die Realität des Konflikts von außen reflektiert.

Beloufa kreiert dennoch ein eher undurchsichtiges Mischmasch aus Sitcom-Feeling und ironischer Suspense. Die Figuren an sich haben eine dynamische Aura, die in Kombination aber eher inkonsequent kollidieren, auch wenn die Kommunikation nicht in einem Schweigen endet wie beispielsweise in David Lynchs Anti-Sitcom „Rabbits“. Romy ist einer von vielen Faktoren für jenen Brei, der den Tumult durch viele irrelevante beziehungsweise ungenügend ausgeführte Rollen begründet. Sie lässt sich in naivster Weise von zwei Gästen anmachen, denen die Managerin auf Anhieb misstraut. Aus Verdacht auf bevorstehenden Diebstahl wird die Polizei verständigt, der Anklang von Satire schwebt im Raum, denn es gibt ja keinen konkreten Vorwurf. Diskontinuierlich und hektisch sind die darauffolgenden Szenen, in denen die Polizei in grotesker Art und Weise gezeigt, die beiden beschuldigten Männer entlastet werden. Die Tragweite der einzelnen Charaktere hält sich zudem zu eindimensional, so kann sich das Aufeinandertreffen der möglicherweise viel interessanteren Hintergründe der Figuren (die zum Verständnis des Endes nötig sind) binnen des ganzen Kuddelmuddels nicht entwickeln. Luis Buñuel hat in „Das Gespenst der Freiheit“ gezeigt, wie man verschiedenste Gäste in einem Hotel aufeinander loslässt und dabei nicht nur Scharfsinn und Eleganz beweist, sondern eben auch auf die Ursprünge des Einzelnen eingeht – sowohl in erklärenden Dialogen als auch in subtilen Bildern.

„Occidental“ hingegen verliert sich trotz des perfekten Settings in der Belanglosigkeit, da die verzettelten Gespräche keinerlei Pointe an der potenziell fantastischen Prämisse ansetzen können. Viel zu gelungen wird dagegen des Öfteren erreicht, dass sowohl Zuschauer als auch die Unwissenden im Narrativ den entscheidenden Teil einer eher mäßig angedeuteten Handlung nicht wahrnehmen. Die Beziehung zwischen Diana und Antonio (Idir Chender) zum Beispiel rückt unkontrolliert in den Vordergrund, doch bis in deren letzte Szenen hinein wird keinerlei Spannung evoziert. Die Gleichgültigkeit dominiert, vielleicht auch als Ausdruck einer Realitätsflucht, die das Hotel in seiner kollektiven Abkopplung symbolisiert. Doch die Geschichte im Inneren sollte wenigstens ein Mindestmaß an Reibung schlussfolgern, damit es der Aussagekraft zum Wandel nicht durchweg an Motivation mangelt. So werden zuvor eingeleitete Fragen überhaupt nicht weiterverfolgt; und es dem Zuschauer erst recht nicht vergönnt, einer konfusen Stimmung in erwartungsvoller Bereitschaft beiwohnen zu wollen.

Meinungen

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