Der Oberösterreicher Josef Hader, der im deutschsprachigen Raum als Schauspieler und Kabarettist sehr bekannt geworden ist, schaffte es mit seinem Regie-Debüt „Wilde Maus“ direkt in die Auswahl des diesjährigen Wettbewerbs der 67. Berlinale. Natürlich spielt er dabei selbst die Hauptrolle: einen grimmigen Wiener Musikkritiker namens Georg, der unerwarteterweise von seinem Chef (Jörg Hartmann) entlassen wird. Gleichzeitig kriselt es in seiner Beziehung mit Johanna (Pia Hierzegger). Mehr oder weniger gemeinsam versuchen sie beinahe zwanghaft, ein Kind zu zeugen – Johanna ist jedoch Anfang vierzig, Georg noch älter und am Zweifeln, ob das denn wirklich so eine gute Idee sei. Kommunikation beziehungsweise der Mangel dessen sind ein präsentes Thema des Films: Unter Umständen will Georg eigentlich gar kein Kind mehr, seine Meinung behält er jedoch weitestgehend für sich. Er äußert sich nur dann, wenn er mit den richtigen Fragen unter Druck gesetzt wird. Da Johanna Psychologin ist und davon ausgeht, dass es zwischen ihr und ihrem Mann keine Geheimnisse gibt, erweist sich dieser latente Konflikt bald als Bedrohung für einen Beziehungsbruch. Ein Netz aus Lügen verdichtet sich zusätzlich, da Georg seiner Frau die Kündigung vorenthält. Sobald ein Gespräch darüber unvermeidlich wird, gibt er anderen Leuten aus der Arbeit vor, freiwillig gekündigt zu haben, um ein Buch zu schreiben.

So nagen viele Dinge an seinem eigentlich sicheren Reservat und er fühlt sich in seinem Stolz verletzt. Seine reserviert überlegene Art droht zu bröckeln, und die „Wilde Maus“ mausert sich darin zur klassischen Tragikomödie, bei der Verlust und Neufindung eine große Rolle spielen. Georg verhält sich feige und rächt sich mit kindischen Aktionen bei seinem Chef; einer direkten Konfrontation geht er zunächst aus dem Weg, erzwingt sie aber in kleinen Schritten, weil er der Sinnlosigkeit durch Arbeitslosigkeit nicht in die Augen schauen kann. Anfangs setzt er sich für Stunden in eine Bimmelbahn auf dem Jahrmarkt und liest Zeitung. Dadurch kommt er in Kontakt mit Erich (Georg Friedrich), den er noch aus der Schule kennt. Gemeinsam werden sie eine Achterbahn renovieren – die Wilde Maus. Auch hier baut Hader das Thema Kommunikation weiter aus. Erichs Freundin spricht kein Deutsch, er spricht kein Englisch. Er genießt diese Stille, für sie ist es ein zunehmendes Problem. Beziehungen müssen aber den Weg der Kommunikation gehen, wenn sie weiterleben wollen. Das winterliche Wien ist schön, Hader setzt in diesem Sinne aber bewusst einen weiteren Hauptcharakter in Szene: den Schnee. Wie er selbst sagt, sei François Truffauts „Schießen Sie auf den Pianisten“ eine große Inspiration gewesen, da ihn der besondere Effekt, den Schnee auf jenen Film habe, faszinierte.

Herrliche Bilder von Schneemassen inmitten gebirgiger Landschaften finden immer wieder Verwendung – allgemein sind die Cinemascope-Einstellungen der Kameramänner Andreas Thalhammer und Xiaosu Han sehr sehenswert. Binnen dieser Eindrücke kehrt der Schnee auch immer wieder als widerspiegelndes Symbol von Tod und Leben zurück. Georgs Eskapismus geht nämlich so weit, dass er sich nackt in die unberührte Schneelandschaft setzt, um zu erfrieren. Diese und weitere Eskapaden, die ihn an seine Grenzen bringen, lassen seine inneren Gefühle und Gedanken endlich ausbrechen. Aber auch die Mut und Kraft spendende Musik erhält ihn am Leben. Hader wählte zum Beispiel Il Giardino Armonicos Version von Vivaldis „Follia“ aus, die konstant zwischen Dur und Moll wechselt, seinem Charakter entsprechend diffus zwischen fröhlich und tragisch pendelt. So lässt sich „Wilde Maus“ auch als Film betrachten: Haders Dramaturgie weiß manch lange Strecken nicht zu umkurven; eine leichte Stagnation befällt die kurzweilige Geschichte, die dennoch mit geistreichen wie gewitzten Dialogen punkten kann. Die Actionszenen dazu sind absichtlich ein wenig lächerlich inszeniert, die Kampfkünste des ängstlichen Musikkritikers halten sich in Grenzen. Der verhaltenen Ironie wegen treibt die Spannungskurve also auf und ab – in Dur und Moll. Leider aber auch zu harmlos für eine wirkliche Achterbahnfahrt der Gefühle, eben eher für eine Fahrt im Waggon der Wilden Maus.

Meinungen

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Bisherige Meinungen

8. März 2017
17:23 Uhr

Ich finde die Idee zur Geschichte des Films sehr gut. Als Barockmusikliebhaberin, die selbst Vivaldi Concerti interpretiert, finde ich die „Follia“ von Vivaldi als Hauptthema der Filmmusik einfach grandios … wenn gleich auch für so einen Film ein bißchen gewagt, da die Barockmusik ja nun nicht jeden anspricht, auch wenn sie derzeit eine Renaissance erlebt.

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