Spät nachts irgendwo in Bratislava. Zwei ominöse, offenbar kriminelle Gestalten unterhalten sich vor einem in die Jahre gekommenen Bordell. Plötzlich wird ein Mann aus einem Fenster auf den Bürgersteig geschleudert. Wenig später ist die Silhouette des flüchtenden Täters zu sehen, dessen Autokennzeichen von einem der Kriminellen fotografiert wird – zum nachträglichen Erpressen. Was nach einem tausendfach gesehenen, klischeebelasteten Sonntagabend-Krimi klingt, entpuppt sich im Laufe der folgenden zwei Stunden zu einer zynischen, spannenden, ganz und gar nicht formelhaften Groteske made in Österreich: Die Rede ist von Wolfgang Murnbergers „Der Knochenmann“, einer meisterhaften Verfilmung von Wolf Haas’ gleichnamigen Roman.

In der nunmehr dritten Adaption (nach „Komm, süßer Tod“ und „Silentium“) mit Hauptfigur und Privatdetektiv Simon Brenner (Josef Hader) steht ein familiengeführter Gasthof inmitten österreichischer Landidylle im Mittelpunkt. Der Grund für Brenners Besuch in der Steiermark ist banal: Auf Anweisung seines Freundes Berti soll er den Maler Horvath ausfindig machen, der Bertis Autoleasingfirma noch Geld schuldet. Vor Ort trifft Brenner vorerst nicht auf Horvath, sondern auf launiges, teils zwielichtiges Gasthof-Personal. Eine sehr reservierte, kurz angebundene Servicedame möchte Brenner am liebsten gleich wieder loswerden – ein wirklicher Grund dafür scheint nicht ersichtlich. Auch der Chef des Ladens, der alte Löschenkohl (Josef Bierbichler), wirkt nicht wie der gastfreundlichste. Bereits nach kurzer Zeit spricht dessen paranoid wirkender Sohnemann Pauli (Christoph Luser) Brenner auf wöchentlich verschwindende Geldsummen in der Hauskasse an – als Übeltäter vermutet er keinen Geringeren als seinen Vorgesetzten und Vater. Dass dieser nicht nur Bares verschwinden lässt, sondern auch Metzgermesser und Fleischwolf nicht ausschließlich für tierische Produkte verwendet, wird dem Zuschauer dabei von der ersten Minute an suggeriert. Die Täterfrage scheint verhältnismäßig früh geklärt. Doch welche Motive und Verstrickungen letztendlich dahinter stecken, gilt es erst noch herauszufinden.

Wirkliche Detektivarbeit leistet Brenner in diesem Fall dabei eigentlich kaum – beinahe zufällig stolpert er über Indizien und vermeintliche Tatgegenstände. Viel zu sehr ist er mit der reizenden Ehefrau des jungen Löschenkohl (Birgit Minichmayr) beschäftigt. Von Anfang an scheinen sie sich seltsam vertraut und sympathisch. Bemerkenswert, wie sich diese kleine, anbahnende Romanze in die grimmige Grundgeschichte rund um Fleisch, Tod und Verderben einfügt. Es sind unter anderem natürliche Zwischenmenschlichkeiten wie diese, die aus Murnbergers Krimi einen besonderen Film machen. Und dann gibt es da natürlich noch die schwarzhumorigen und makabren Spitzen, die sich ab und an auf der Leinwand ausbreiten. Die – für Bewohner nördlicherer Regionen Deutschlands – teils etwas schwer entzifferbaren Dialoge der österreichischen Protagonisten entpuppen sich als oftmals staubtrocken und unverblümt und strahlen dabei eine gemütliche Ehrlichkeit als auch Skurrilität aus.

So ruppig das zu Beginn in manchen Ohren auch klingen mag – wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat, fühlt es sich seltsam vertraut an. Gepaart mit einigen sehr brutalen Szenen – die manchmal, aber nicht immer, auch großes humoristisches Potenzial besitzen – ergibt sich dabei ein Kleinod der Kuriositäten, wie man es nicht allzu oft zu Gesicht bekommt. Abgehackte Finger, zermalmte Knochen und lecker Menschenfleischgulasch inklusive. Dass Murnberger aus diesen verschiedenen Zutaten ein kohärentes Ganzes geschaffen hat, kann man ihm nicht hoch genug anrechnen. Wirklich fiese, düstere Momente wechseln sich mit niemals plumper Situationskomik und leisen, fast schon melancholischen Zwischentönen ab. Alles wirkt dabei wunderbar stimmig und rund, aber keinesfalls auf Hochglanz poliert. Ungezwungen, authentisch, ehrlich – und damit perfekt zur ländlichen Szenerie passend.

Die durch die Bank großartigen Schauspieler fügen sich dabei nahtlos in das Gesamtbild ein. Josef Hader gibt den wortkargen Brenner mit einer Seelenruhe: kauzig und dabei ursympathisch. Sein Quasi-Gegenspieler Josef Bierbichler fügt der stoischen Ruhe noch einen Hauch Wahnsinn hinzu. Beinahe dämonisch spielt er den grimmigen Gasthof-Besitzer. Aber auch ihm werden zutiefst menschliche Szenen zugestanden – Ambivalenz wird hier mitunter großgeschrieben. Insgesamt ein etwas anderer, dafür aber umso überzeugenderer Antagonist. Birgit Minichmayr überzeugt als Gitti und spielt hier wohl neben Brenner die normalste und menschlichste Figur inmitten des Pulks aus Halbwahnsinnigen. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang sicher noch Löschenkohls Sohn Pauli, gespielt von Christoph Luser. Stets im Schatten seines gastronomisch erfolgreichen Vaters buhlt Pauli als Porsche fahrendes, bemitleidenswertes Söhnchen um Aufmerksamkeit und strebt die Übernahme des Betriebs an, egal mit welchen Mitteln. Wie Luser den geborenen – man verzeihe das schlimme Wortspiel – Loser gibt, ist herrlich anzusehen. Nervös, beinahe fast überzogen, mimt er den Taugenichts, den irgendwie keiner so richtig ernst nimmt.

Zu ernst nimmt sich die Geschichte selbst auch nicht immer, was in eine unvergleichlich skurrile Szene gen Ende mündet. Die Auflösung der Identität des zu Anfang gesuchten Malers Horvath ist eine denkwürdig absurde Pointe, die unerwarteter nicht hätte ausfallen können. Herrlich schräg, aber dann doch irgendwie ins Gesamtbild passend. Und auch der restliche, turbulente Showdown während eines Maskenballs im Gasthof hält alles parat, was man sich von dem Finale eines solchen Films erhofft: Spannung, Blut und allerhand Groteskes. Wolfgang Murnberger zeigt mit seiner kongenialen Roman-Adaption „Der Knochenmann“, dass ein Krimi nicht immer einer 08/15-„Tatort“-Folge entsprechen muss. Sein Film gefällt durch allerlei trockenen Charme, erstklassige Schauspieler und eine spannend-kuriose Geschichte.

Meinungen

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