Nicole Holofcener ist eine Regisseurin und Drehbuchautorin, die sehr viel Herzblut und einen Teil von sich selbst in ihre Werke steckt – mit einem Auge für die kleinen Details, die uns das Leben erschweren oder versüßen. Durch ihren ausgeprägten Sinn für unsere allgegenwärtige Unvollkommenheit gelingt ihr mit „Genug gesagt“ eine von Leichtigkeit geprägte Gesellschaftsstudie, die als Liebes- und Familienkomödie beziehungsweise rom com getarnt, gleichermaßen unterhaltsam wie lehrreich ist. In „Genug gesagt“ geht es in erster Linie um den lebenselementaren Prozess, der auf den ersten Blick offensichtlich abgegriffen wirken mag, weil sich ihm eigentlich niemand entziehen kann: die Suche nach der nächsten großen Chance, neue Beziehungen zwischen Menschen mit verkorksten Beziehungen. Die Suche nach der inneren Balance und Unverfälschtheit, und natürlich: nach dem passenden Partner. Der Ballast, den man sich dabei über die Jahre angesetzt hat, steht stets im Weg der Selbstbefreiung, um sich im Licht eines anderen neu zu erkennen.
Wie verzerrt ist unsere eigene Wahrnehmung und was macht uns noch liebenswert? Ab welchem Zeitpunkt ist genug gesagt über die schlechten Eigenschaften? Wie kann man allerdings von seinen Ängsten loslassen, um Taten für sich sprechen zu lassen?

Holofcener schafft uns eine leicht zugängliche, lebensnahe Erzählebene, um diesen Motiven auf den Grund zu gehen. Im Brennpunkt dieser allumfassenden Lebensaufgaben steht die Annäherung zwischen den beiderseits geschiedenen Vierzigern Albert und Eva. Eva (Julia Louis-Dreyfus, „Seinfeld“) ist quirlig, sympathisch, aber zugleich demütig und hilfsbereit. Als therapeutische Masseurin wissen ihre Kunden diese Eigenschaften auch durchaus zu schätzen. Doch auf privater Ebene muss sie ihr Dasein als geschiedener Single fristen, Fältchen und das ein oder andere Fettpölsterchen hinnehmen. Dass ihre achtzehnjährige Tochter allmählich flügge wird und vorhat nach ihrem Highschool-Abschluss auf ein College an der Ostküste zu gehen, stellt sie zusätzlich auf eine nervliche Zerreißprobe. Trotz der alltäglichen Probleme weht bald ein neuer, frischer Wind, als sie den kräftigen, aber witzigen Albert (James Gandolfini, „Die Sopranos“) auf einer Party kennenlernt. Aus scheinbar gegenseitigem Desinteresse wird bald mehr als nur Sympathie, denn bereits beim ersten Date merken die beiden, dass sie sich in Gegenwart des Anderen wohlfühlen, sich nicht verstellen müssen. Eva und Albert pirschen sich langsam aneinander heran, denn als Geschiedene fällt es ihnen nicht leicht, ihre Ängste zu überwinden. Trotz Vorsicht und leichter Skepsis schweben die beiden jedoch bald im siebten Himmel.

Zeitgleich entwickelt sich die Bekanntschaft zu der Lyrikerin Marianne (Catherine Keener), die Eva auf derselben Party wie Albert trifft. Sie wird Evas neue Kundin. Als Eva zum ersten Mal zu einem Massagetermin mit Marianne erscheint, ist sie beeindruckt von ihrem wunderschönem Haus in Santa Monica, dem Glamour, den sie versprüht und ihrer souveränen Art – selbst der Eistee, den Marianne trinkt, ist mehr als perfekt. Schnell finden die beiden einen Draht zu einander, sie tauschen sich über ihre Töchter aus und Eva schwärmt von ihrem neuen Freund, während Marianne ihre schmerzlichen bis peinlichen Erinnerungen an ihre gescheiterte Ehe und ihren Ex-Mann kundtut. Doch die beiden ahnen nicht, dass es sich bei den beiden Männern um ein und denselben handelt: Albert. Die Katastrophe ist vorprogrammiert, als Eva durch einen banalen Zufall erfährt, dass Mariannes schrecklicher Ex-Mann der Mann ist, bei dem sie sich selbst so unglaublich geborgen fühlt.

„Genug gesagt“ führt uns ein nur zu alltägliches Problem vor Augen: den Zwiespalt, in dem wir uns befinden, wenn wir nicht wissen, ob wir uns auf unser eigenes Bauchgefühl oder die Meinung anderer verlassen sollen. Der Film schildert auf sehr amüsante bis traurige Weise, dass wir uns jeden Tag mehr oder minder schmerzlichen Kompromissen stellen müssen. Und das betrifft nicht nur Liebesangelegenheiten. Sich diesen nicht zu stellen, endet oftmals im Desaster, denn am Ende kann man sich nicht zerteilen, muss sich zwangsläufig entscheiden. Vor allem zeigt uns diese Liebeskomödie, dass es für den richtungsweisenden Kompromiss der Ehrlichkeit zu sich selbst, ein Urteilsvermögen frei von Eitelkeit und Stereotypisierung bedarf. Als antithetisches Figurenpaar stellen Albert und Marianne Eva und ihre Zuschauer auf die Probe, denn sie stellen die ewig klägliche Frage nach dem Schein und Sein. Während Albert als etwas bequemlicher, dicklicher Chaot gewiss seine Macken hat, ist er doch liebenswürdig und vor allem ehrlich. Wohingegen Mariannes perfekte Fassade für den ersten Augenblick zwar imponierend wirkt, ihre scheinbare Vollkommenheit letztendlich jedoch als schiere Überheblichkeit entlarvt wird, die nur von Angst und Verletzlichkeit zeugt. Mit Catherine Keener als Marianne wird die Selbstzufriedenheit der intellektuellen Elite in Los Angeles aufs Korn genommen.

Glücklicherweise verzichtet das Drehbuch dabei bewusst auf befangene Klischees, sondern hält sich an das Motiv der sich entfaltenden Charakterzüge. Die scheinbar makellose Lyrikerin Marianne entlarvt sich als von Groll und Einsamkeit gepeinigte Unsympathin, die trotz ihrer Leuchtkraft und des beruflichen Erfolgs im tiefsten Inneren gewöhnlichsten Trieben ausgesetzt ist und dementsprechend infam handelt. Marianne wird jedoch nicht der Lächerlichkeit preisgegeben, denn anstatt am Ende mit ihr abzurechnen, überlässt die Regisseurin und Drehbuchautorin diesen Charakter ganz sich selbst. Als gescheitertes Vorbild kann Marianne dem Zuschauer letztendlich nur leid tun: ihre Uneinsichtigkeit und der damit verbundene Schmerz, ja sogar ihr verletztes Ego, ihre Unfähigkeit zu vergeben, sind Strafe genug. Was Mentor Woody Allen seit Dekaden für New York geschaffen hat, greift sein weiblicher Protegé hier unverkennbar für Los Angeles auf, wenn auch in angenehm abgemilderter Form. Holofcener ist ähnlich ironisch wie Allen, doch ist ihr Werk weniger zynisch und anklagend. Denn in ihren Filmen ist der einfach gestrickte Mensch nicht weniger weise, als der scheinbar Intellektuelle – eher das Gegenteil ist der Fall. Und als wäre die Persiflage einer vergötterten Elite nicht genug, lässt uns „Genug gesagt“ auch auf subtile Weise Bodyismen und die eigene Eitelkeit hinterfragen.

Das Drehbuch und die Dialoge in dieser Komödie zeichnen sich durch einen Hauch Schwermut, aber keine übertriebene Melodramatik und sehr gelungene Situationskomik aus, die nie aufgesetzt oder geschmacklos wirkt. Besonders die hochkarätige Besetzung trägt die Handlung von „Genug gesagt“. Nebst einer reizenden Julia Louis-Dreyfus – in die man sich nach diesem Film garantiert wieder neu verlieben wird – einem warmen und verletzlichen James Gandolfini – den wir auf der Leinwand leider zu selten in dieser Form sehen durften – sowie den gewohnt erstklassigen Hollywooddamen Catherine Keener und Toni Colette als Sarah, sorgen auch die Jungschauspielerinnen für herzerwärmende, frische und ehrliche Unterhaltung. Nicole Holofcener nimmt sich nach zahlreichen Ensemblefilmen in ihrem neusten Werk der Herausforderung an, einen Film zu erschaffen der ganz von seinen Hauptdarstellern leben soll. Leider gelingt ihr dies an mancher Stelle jedoch nur auf Kosten der anderen Darsteller; denn abgesehen von den vielschichtigen Protagonisten Albert und Eva fehlt es den Nebencharakteren leider zu sehr an Tiefe, manche erscheinen mitunter sogar eindimensional, fast vorhersehbar. Was aber die einzige Kritik am Werk sein dürfte.

Unter dem blauen Himmel Kaliforniens fasst „Genug gesagt“ die essentiellen Probleme einer mittlerweile sesshaft gewordenen Generation gekonnt zusammen: Scheidung, Trennung, Eheprobleme, Verlustangst, die Hindernisse, die eine neue Liebe mit sich bringt, die Furcht, alt zu werden, Kindererziehung und die Unvermeidbarkeit, loslassen zu müssen. Insgesamt liefert dieser Film ein sehr gefühlvolles, aber nicht schwülstiges Porträt von Männern und Frauen mittleren Alters ab. Kinogänger, die auf der Suche nach leichter, kurzweiliger Unterhaltung sind, aber auch jene, die gerne mal zwischen den Zeilen lesen, werden hier gleichermaßen auf ihre Kosten kommen. Als erfrischend menschlicher Familienfilm ist „Genug gesagt“ der perfekte Abschluss für ein Weihnachtsfest, da er Themen aufgreift, die Erwachsene wie Teenager betreffen und berühren. „Genug gesagt“ ist geistreich und witzig geschriebenes Rundum-Wohlfühlkino, Romantic Comedy auf hohem Niveau, ohne dabei zu dick aufzutragen oder sich im Genre festzubeißen. Die Tüte Popcorn sollte allerdings griffbereit sein.

(Wir sprachen ebenso in einem Interview mit Regisseurin Nicole Holofcener über den Film.)

Meinungen

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