Als die Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkriegs Frankreich besetzten, stand bekanntlich das Leben vieler Minderheiten auf dem Spiel. Neben Juden wurden vor allem Sinti und Roma überfallen, ausgeraubt und/oder in Konzentrationslager geschickt. Die Menschen, die teilweise ohnehin schon ihr ganzes Leben von Ort zu Ort gezogen sind, mussten nun vor der strikten Grausamkeit der deutschen Soldaten flüchten; aber auch französische Truppen folgten lieber den Befehlen von oben, als Partei zu ergreifen. Sie waren ja nur Zigeuner – Gypsies, die „schamanistisch“ im Schein des Lagerfeuers zu Alkohol und Instrumenten griffen. Django Reinhardt, der im Januar 1910 im belgischen Liberchies geboren wurde, war einer von ihnen. Sein musikalisches Genie ermöglichte ihm Wege, die nur wenige überhaupt vor Augen haben durften; gleichzeitig bedeutete sein Ausnahmetalent die eigene Ausbeutung. Étienne Comar drehte nun mit einen Film über einen der wichtigsten Musiker des 20. Jahrhunderts und eröffnet damit die 67. Berlinale.
Der Mensch hört und spielt gerne Musik – und wenn er nicht selbst musiziert, dann hat er Vergnügen daran, virtuos vorgetragenen Stücken oder Liedern zu folgen. Das gilt für alle Kulturen und Ethnien, der Rhythmus lockt die Beine und die Melodie verzückt das Herz. So kommt es, dass auch in Zeiten der temporären deutschen Übermacht populäre Musiker von den Nazis verpflichtet wurden, um Konzerte für Propagandazwecke zu geben. Natürlich mit einer arisch-spezifischen Anpassung, welche die Einflüsse der sogenannten Negermusik, wie Blues oder Jazz, als absolutes Tabu verachtete. Reinhardt (Reda Kateb) musste sich 1943 in Paris entscheiden, ob er in Berlin vor Tausenden unter Goebbels’ Leitung auftreten oder in Richtung Schweiz flüchten wollte, um der steigenden Gefahr für die gesamte Familie zu entgehen. Hierbei unterscheidet sich Comers Film von der überlieferten Wirklichkeit, er fokussiert die Flucht und baut eine fiktive Verehrerin namens Louise de Clerk (Cécile de France) ein, die Reinhard hilft. Das ist wohl für einen Spielfilm notwendig, da der echte Reinhardt beim Versuch, in die Schweiz einzureisen, nach Paris zurückgeschickt wurde und dort bis zur Befreiung durch die Alliierten unversehrt blieb. Nichtsdestotrotz porträtiert „Django“ einen interessanten Ausschnitt eines Künstlerlebens, dessen Musik bis heute von ungemeinen Wert ist, da er stilprägend war.
Reda Kateb mimt den Gitarristen auf beachtenswerte Art, unterstützt wird er hierbei von Jazz-Musiker Stochelo Rosenberg als Double. Umgeben von starken Frauen begibt er sich in die Höhle des Löwen und überlebt, weil sich die Politik der Nazis selbst in die Beine schießt: Der Swing wurde längst verboten, weil die deutschen Führungspolitiker in ihm einen Angriff auf ihre tugendhaften Werte sahen. Den stationierten Soldaten gefiel jedoch diese Musik, gerade wenn sie die seltene Gelegenheit hatten, auf Frauen zu treffen. So personifiziert Comar in einer der besten Sequenzen die aufgesetzte Indoktrination mit dem Charakter des Offiziers Hammerstein (Ulrich Brandhoff), der eigentlich dazu berufen wurde, die musikalische Prämisse (beispielsweise kein Swing, nur fünf Prozent Synkopen) für einen wichtigen Auftritt von Reinhardts Band durchzusetzen. Doch er selbst ist es, der von der attraktiven de Clerk zum Tanzen aufgefordert wird und kurz darauf in typisch deutsch-verklemmter Weise die Hüfte zu schwingen beginnt. Dies ist das Go für den Rest, selbst ranghohe Nazis geben durch dynamische Tänze Preis, dass sie die verbannte Musik sehr zu schätzen wissen. Da diese aber als degeneriert gilt, dauert es trotz der Begeisterung nicht lange, bis regressive Traditionalisten die Auflockerung der Gemüter als verwerflich und demoralisierend empfinden, sodass die Veranstaltung beendet und Djangos Band verhaftet wird.
Im Großen und Ganzen ist Comers Debüt auf filmischer Ebene nichts Herausragendes – dennoch leistet er mit „Django“ einen wichtigen Beitrag zum allumfassenden Porträt von Persönlichkeiten aus der Geschichte der Menschheit, hier spezifischer der Musik. Django Reinhardts Erbe sowie Werk ist bis heute von enormer Bedeutung, er gilt als der Begründer des europäischen Jazz – und nicht ohne Grund wurde die mittlerweile viel bekanntere Westernfigur Django aus Sergio Corbuccis Filmen nach ihm benannt. Die lebensfrohe Art der Gypsies beziehungsweise deren einzigartige Fähigkeit zum Überleben wird zwar nur oberflächlich thematisiert, doch viele interessante Darstellungen (wie beispielsweise die grandiosen Konzerte oder die Mut machende Beziehung zwischen Reinhardt und seiner Mutter) machen diesen Eröffnungsfilm sehenswert.
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