Auf Rapid Eye Movies und deren Fokus auf asiatisches wie indisches Kino ist Verlass: Wieder lässt sich ein sensationeller Titel ihrerseits verzeichnen, der ab September auch den Weg in die deutschen Kinos finden wird. Es handelt sich um „Mr. Long“, Sabus fünfzehnte Regiearbeit und zudem sein neunter Film, der im Programm der Berlinale läuft; nach 2015 zum zweiten Mal in der Sektion Wettbewerb. Die Dopplungen hören da noch lange nicht auf: Der Genremix aus eiskaltem Thriller und berührendem Familiendrama spielt seinem Duett an Topoi entsprechend sowohl in Taiwan als auch in Japan. Hauptdarsteller Chen Chang, der in den letzten zwanzig Jahren mit Regiegrößen wie Wong Kar-wai, Ang Lee, Kim Ki-duk, Hou Hsiao-hsien oder John Woo drehte, diente Sabu dabei als Inspiration für den Film, bei dem er auch als Muse vor Ort auf die Kameralinse zusteuerte. Mit dabei: eine facettenreiche Figurendynamik, dazu ein kontrastreiches Spektrum an Emotionen und Spannungsbögen voll geschickter Suggestionen. Mit der beeindruckenden Kontrolle all jener Faktoren nimmt Sabu den Zuschauer auf eine sich selbst antreibende Reise, die nicht aufhört, voranzuschreiten.

Ein herrlicher Bildfluss sowie die gut strukturierte Story zeichnen sich durch ständige Bewegung aus und plädieren für einen lebensbejahenden Antrieb gegen das Aufgeben, egal was die Charaktere aufgeben müssen. Nur Drogen können dies durchbrechen, die Heroinsucht der Prostituierten Lily (Yiti Yao) wird in einer konventionellen, aber durchaus interessanten Darstellung thematisiert. Für unseren Mr. Long hingegen gilt: Wenn es einen Weg gibt, dann geht er ihn, so unbequem er auch sein mag. Zunächst wird der Profikiller als selbstsicher und überlegen etabliert, ohne Pause bewegt er sich mit festem Blick und schnellem Schritt durch die ersten Sequenzen, stets in Richtung Horizont der jeweiligen Einstellung. Die Kamera hält den Killer auf Distanz, Fluchtpunkte werden von Kameramann Koichi Furuya so gesetzt, dass eine zusammenhängende Sequenz entsteht, die tunnelartig Weg und Ziel von Mr. Long symbolisiert. Er hat die Macht, er macht keine Fehler. Als es beim nächsten Auftrag dann doch zu einem Fehlschlag kommt, mutiert der Film – durch eine spektakuläre Flucht initiiert – zu einem sensiblen Familiendrama. Der wortlose Krieger muss sich nämlich verstecken und wird aus heiterem Himmel vom kleinen Publikumsliebling Jun (Runyin Bai) geweckt, von dem er fortan noch viel lernen wird.

Long hilft dem Jungen und dessen abhängiger Mutter, eben jener oben erwähnten Lily. Auf absurde und sehr kurzweilige Art versucht er aber einen Weg zu finden, um seinen Auftrag doch noch erfolgreich abzuschließen. Sabu schafft es so quasi im Handumdrehen, einen kompletten Bruch von Stil und Plot harmonisch wirken zu lassen. Zumindest gehen ihm die Überraschungen so schnell nicht aus, wenn er die zuvor aufgebaute Spannung mit Finesse in vielerlei Richtungen umzulenken vermag. Der Bruch geht auch so weit, dass sich die zuvor kompakte Herangehensweise der Kadrage mit auflöst und der taiwanesische Assassine nun nicht mehr von Fluchtpunkten im Bildausschnitt geleitet wird. Mr. Longs innere Entwicklung wächst mit der Leinwand und gibt seiner Umwelt umso mehr von seiner Persönlichkeit preis – gar nicht einmal der schlechteste Anker für die Tragik der Person Lilys, die als tragende Rolle neben ihm in Traurigkeit schwimmt. Beengende Szenen können da durchaus nervenaufreibend ausfallen, erst recht in einer Sichtung im Friedrichstadt-Palast (keine Schleichwerbung!).

Zerbrochene Leben und einstürzende Neubauten, extrem erheiternde Passagen wie schockierende Wendungen stehen auf einer Stufe. Vordergründig geht es dabei um die Suche nach Liebe und Glück. Aufgrund von Sabus kunstvoller Inszenierung, des selbst geschriebenen Drehbuchs und der starken Bilder ist „Mr. Long“ ein weiterer Film aus Asien, den man auch Nichtkennern und Filmmuffeln zum Einstieg empfehlen kann. Kenner sollten aber ebenso keinen Bogen um Long machen: Selbst der allseits beliebte Schauwert des Gemetzels, das von avantgardistischen Musikeinlagen unterstützt wird, serviert Sabu in raren Portionen, die brutalen Szenen sind wie gewohnt nicht gerade Well done gebraten. Das Endprodukt hingegen ist mehr als Well done, ein potenzielles Leibgericht für den cinephilen Bärenhunger auch jenseits der Berlinale.

Meinungen

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