„Was dem Herzen widerstrebt, lässt der Kopf nicht ein,“ sagte schon Arthur Schopenhauer und komplettiert das Bild einer Person, eines Schöpfers und Zerstörers, der sich keinen Deut um Zuschauer, die gemeine Kritik oder das Universum schert, vor allem aber Faszination mit Destruktion vereint. David Lynch – Erneuerer einer unnahbaren, erkühlten Welt – setzt dem Begriff der Degeneration ein Bild der explodierten Wirtschaft gleich; er kreuzt Zukunft und Genie des Menschen und zwingt ihn den Gegensatz zu sehen: Eine absurde Gestalt, die von der Norm abweicht und alle Weltbilder in Unruhe versetzt.

Es gibt ein düsteres Land, in dem Geheimnis und Verwirrung reichlich hervortreten, wo Angst und Schrecken in unruhigen Städten der Absurditäten gemeinsam einher gehen.

Eine Geburt misslingt schon in Lynchs erster Regiearbeit „Eraserhead“: ein Fötus, dem eines Kalbes ähnlich, platzt in das Geschehen und versucht die Annährung zweier Menschen, die soviel Kind sind, dass sie kaum Eltern sein können. „Eraserhead“ deutet die Unmöglichkeit der Familie, der Liebe  des Liebens wie des Geliebt Werdens –, vor allem aber die Unmöglichkeit einer heilen oder im lynchesken Sinne normalen Welt. Das Normale fordert das Abstrakte – die Industrie zerstört den Geist.

Schwärze … Einblendung zu einer gewaltigen Bühne … mächtig mit schwarzen Vorhängen – offen. Die gesamte Bühne füllt eine Wand aus Feuer, 200 Fuß hoch. Innerhalb des Feuers schreien lautlos tausende Seelen … nur das Lodern des Feuers.

Zerfahren in Lynchs Frühwerk die Gestalten in Unsinnigkeit und kollidieren fürchterliche Toneffekte mit einer ebenso stringenten Ausschweifung der Handlung, rückt sein wohl bemerkenswert gewöhnlichster Film „Der Elefantenmensch“ den Albtraum in den Schoß der Gesellschaft. Wieder misslingt eine Geburt: Dem 1862 in Leicester geborenen Joseph Merrick wachsen Furunkel und fleischige Ausbeulungen aus dem Kopf; das Gesicht eine lediglich verquollene Augenweide, kaum der Anatomie eines Menschen ähnlich. Eine Sensation ist er – ein Bildnis des zerstörten Menschen, der ein schönes Öffentlichkeitspotenzial bietet: der Star in aller Scheußlichkeit wird auch damals geboren. Zum Menschen gemacht aber, durch den Londoner Arzt Sir Frederick Treves, wächst er zum Beispiel für den Menschen im Monster. Der, im Leib seiner Mutter von Elefanten in größter Angst halb zertretene Mann, ist plötzlich gesellschaftlicher Kult. Er lernt die Sprache, den Duktus des Lebens, lernt Benehmen und Anstand. Eine sachliche Vergewaltigung ist es im Grunde.

Die (Alb-)Traumwelten sind kaum vergangen, da wollte Lynch, noch der Erstlingsregisseur, eine Epoche weiterführen. Ursprünglich als erster Film nach „Eraserhead“ geplant, erfuhr „Ronnie Rocket“ unzählige Neufassungen über die Jahre, ohne jemals nahe dessen zu kommen, was wir Film nennen. Vielleicht mag es auch daran liegen, dass „Ronnie Rocket“ selbst gemessen an den absurden Normen des Regisseurs eine Überschwemmung an Maßlosigkeit offenbart.

Schwarze Wolken fliegen über die rußbedeckte Stadt, in der tiefste Nacht ist. Nur wenige winzige gelbe Leuchtquadrate in den alten Gebäuden und Fabriken. Alles ist so dunkel. Kaum Leben fällt auf, außer den winzigen schwarzen gelben Quadraten. Aus diesem hohen Betrachtungswinkel auf die Stadt wird kein Auto gesehen – kein Mensch geht in dieser Nacht aus.

Unser Held entspricht dem Œuvre Lynchs; ein furchtbar entstellter und ans Bett gefesselter Liliputaner. Ein früher Entwurf beschreibt ihn entsprechend:

Eigentlich besitzt er keine menschliche Form, außer dass er Arme und Beine hat, aber verborgen unter Lacken. Die Bereiche um Brust und Kopf sind merkwürdig verformt, aber es gibt ein Loch für den Mund und die Nase. Im Mund gibt es Zähne und eine Zunge, die sich bewegt. Es gibt zwei Augen über dem Nasenloch. Die Augen schießen vor und zurück.

Eine seltsame Form von mysteriöser elektrischer Leistung lässt Ronnie für die Doktoren Dan Pink und Bob Platinum attraktiv werden – ein Paar, das sich fortwährend selbst durchnässt und in Prügeleien über Milchshakes gerät. Doch die tatsächliche Ironie entsteht, als Dan und Bob Ronnie entführen, ihn chirurgisch mit elektronischen Organen bestücken und schließlich … das metallische Schreien Ronnie Rocket einen Plattenvertrag einbringt. Weitere Charaktere: ein Chor strickender Frauen und ein Psychopath, dessen Kopf scheinbar aus Stein besteht. Und doch wenn wir meinten, die Grausamkeit wäre schrecklich genug, stellen wir uns bewegte Bilder vor. Angesichts Lynchs eindeutiger Zuneigung für das Projekt, dürfte „Ronnie Rocket“ eines Tages die Dunkelheit des Lichtes erleben. Und eine weitere Geburt misslingen.

Meinungen

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