Die Berlinale trieb mich aufs Neue in die Kinos – weitere sieben Filme wurden innerhalb der nächsten drei Tage angesehen. Zuerst stand der deutsche Film „Zwischen Welten“ von Feo Aladag auf dem Plan. Das Actiondrama der Regisseurin von „Die Fremde“ über den Sinn der Soldaten in Afghanistan bezieht eine klare, nachvollziehbare Stellung. Spannend erzählt und in konsequenter, interessanter Art und Weise inszeniert, ohne dabei übermäßig positiv zu überraschen. „Praia do Futuro“ von Karim Ainouz gab mir hingegen wenig, bis auf die teilweise großartigen Bilder des titelgebenden Strandes in Brasilien und die sehenswerten Wasseraufnahmen. Der deutsch-brasilianische Film über ein homosexuelles Paar aus zwei Ländern fängt gut an, wird aber immer träger, parallel zur immer kälter werdenden Temperatur der beiden Regionen, weil die Geschichte im Laufe nach Deutschland überläuft.

„Stratos“ heißt der unglaublich interessante Film von Yannis Economides aus Griechenland; ein wirklich unaufregend aufregender Thriller, der in seiner asketischen Haltung einen wortwörtlichen, roten Faden zieht. Die spitzfindigen Dialoge, die vor allem en masse durch Redundanz in der Wortwahl auffallen, paaren sich mit statischen Bildern, die manche lieber etwas kürzer sehen würden. Dies hatte auch zur Folge, dass stetig Pressekollegen den Saal verließen. An dieser Stelle sei gesagt, dass ich es für absolut störend empfinde, wenn ständig jemand vor mir aus dem Kinosaal geht und dabei gerade bei so einem sensiblen Film die Atmosphäre behindert. Natürlich hat jeder das Recht zu gehen, wann er will, doch sollte der Menschenschwund wenn dann in einem Kollektiv erfolgen und nicht permanent ununterbrochen mit einer Störung für interessierte Cineasten. Für mich gehört „Stratos“ zu den besten Filmen des Wettbewerbs, vor allem aufgrund einer hemmungslosen und aktuellen Lageschilderung der griechischen Gesellschaft, die förmlich nach Geld krächzt.

Der nächste Tag fing für mich mit dem neuen Film von Claudia Llosa an: „Aloft“. Heilpraktikum, Esoterik und Falkenfanatismus treffen sich am Nordpol. Was interessant beginnt, verläuft sich ein wenig im Nichts. Zum Glück habe ich mich dafür entschieden „Black Coal, Thin Ice“ anzusehen, denn ansonsten hätte ich zum Einen den diesjährigen Gewinner verpasst als auch einen wunderbaren Kriminalfilm im Stile des Film noir. Dafür wirkt der chinesische Actionfilm „No Man‘s Land“ in seiner Mischung aus Road Movie, Western und Thriller insgesamt zu konstruiert. Es gibt wirklich keine Minute Pause, was ein wenig anstrengend ist, aber am Ende doch Spaß macht. Und es geht wieder um Falken.
Die wohl positivste Resonanz von Publikum und Presse erfuhr „Boyhood“ von Richard Linklater. Eine noch nie da gewesene  Idee wie diese ist zu Recht mit dem Regiepreis ausgezeichnet worden. Dass er nicht den Goldenen Bären gewann, ist für mich nicht unbedingt eine Überraschung, auch wenn sich alle schon darauf vorbereitet hatten. Der Film zeigt das Leben in einer herausragenden Art und Weise, lebt aber vor allem von seiner innovativen Idee. „Black Coal, Thin Ice“ ist auch meiner Meinung nach der bessere Film. 

Besprechungen im Überblick

Black Coal, Thin Ice (ausführliche Kritik folgt)

Vom Film noir beeinflusst spannt Yinan Diaos Kriminalgeschichte „Black Coal, Thin Ice“ einen ungeheuren Spannungsbogen, der ideal getimt ist und von latenter Brutalität als auch Suspense lebt. Mit fantastischen Schauspielern gelingt es dem ehemaligen Drehbuchautor in schmutziger Ästhetik zu überraschen und setzt dabei faszinierende, impulsive Akzente durch Musik und Kamera. Die insgesamt melancholische, mysteriöse Stimmung der Erzählweise gefällt und hält den Zuschauer fest. Melancholisch, da die Kälte des Winters und der Menschen wie Eis auf dem Rücken zerläuft; mysteriös, da man in dieser verkommenden Gegend Chinas niemandem so richtig vertraut, viel zu viel Egoismus herrscht als Überlebensmethode. Im Fokus stehen hierbei die fragile Hübschheit Wu Zhiszhen (Gwei Lun Mei) und der Ex-Cop Zhang Zili (Liao Fan), ein Zusammenspiel von unwiderstehbarer Neugierde, Begierde und reservertierter Introversion. „Black Coal, Thin Ice“ schafft Dynamik inmitten sich im Kreis laufender, im Kreis tanzender Menschen und verdient großes Lob für seine Lakonie inmitten dieser.

Boyhood (ausführliche Kritik folgt)

Richard Linklater gelingt mit „Boyhood“ etwas ganz Außergewöhnliches. Er drehte zwölf Jahre lang jährlich drei bis vier Tage mit demselben Schauspielerensemble und bietet dem Zuschauer somit die wohl authentischste und flüssigste Sicht auf die Chronologie einer Familie an, die es in der Filmgeschichte je gab. Olivia (Patricia Arquette) und Mason Sr. (Ethan Hawke) sind von Beginn der Erzählung an getrennt, ihre jungen Kinder Mason Jr. (Ellar Coltrane) und Samantha (Lorelei Linklater) wünschen sich das alte Elternpaar wieder zurück. Das 164 Minuten lange Drama, welches eine Inspiration für viele weitere Werke sein könnte, fokussiert den schwierigen Werdegang des Mason Jr.s in einer äußerst sensiblen Art und Weise. Es ist etwas Wunderbares, einen Menschen ohne wirklichen Bruch aufwachsen zu sehen, allein hierfür ist Linklater mit Lorbeeren zu ehren. Seine eigentliche Meisterleistung besteht aber darin, dass er zu den einzelnen Jahren wiedererkennbaren Zeitgeist einfängt, sodass der Zuschauer, ohne dass er explizit durch Jahreszahlen darauf hingewiesen wird, in bestimmte Zeiten des eigenen Lebens zurückversetzt wird. Das fördert die Nostalgie oder zeigt, was man schon wieder alles vergessen hat, obwohl es nicht all zu lange vergangen ist.

Aloft

Claudia Llosa ist eine peruanische Regisseurin, die 2009 den Goldenen Bären für ihr Vorgängerwerk „Eine Perle Ewigkeit“ gewann. Nun ist für ihren neuen Film Aloft das Schauspielensemble mit Jennifer Connelly, Cillian Murphy und Mélanie Laurent hollywoodreif und die Sprache englisch geworden. Es geht um Menschen, die für schwer kranke Kinder Hilfe bei Heilpraktikern suchen, da kein Arzt die teilweise zu riskanten Operationen leiten will. Die zweite Ebene bildet sich aus dem dramatischen Mutter-Sohn-Konflikt von Connelly-Murphy. Der etwas zu esoterische Ausflug in die Polargegenden enthält sich von elementaren Antworten, ohne dabei mystisch zu sein. Daher ist die an sich interessante Story wenig lebendig und lies ein wenig unzufrieden zurück.

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