Eigentlich wollte Frauke Finsterwalder nach ihren zwei Dokumentarfilmen „Weil der Mensch ein Mensch ist“ und „Die große Pyramide“ Deutschland den filmischen Rücken kehren. Stattdessen rief sie eine Autobahnfahrt mit Ehemann, Schriftsteller und nun ebenso Drehbuchautor Christian Kracht auf den Plan zu der grotesk lynchesken Gesellschaftssatire „Finsterworld“, die inmitten des Spießbürgertums Tragik und schwarze Komödie vermengt.
Im Rahmen des Kinostarts sprach unsere Redakteurin Isolde Hien mit ihr über Filmförderung, die irrwitzig wie tragischen Charaktere des Films und die Unterschiede im Entstehungsprozess zu Dokumentationen.
Du hast bisher nur Dokumentarfilme gedreht. Wie war es für dich, das erste Mal einen Spielfilm zu drehen? Was war die Initialzündung zu sagen: „Ich dreh jetzt einen Spielfilm und keinen Dokumentarfilm mehr“?
Ich muss dazu sagen, dass ich diese beiden Genres gar nicht so trennen würde. Ist es ein Genre, ist es eine Technik? Wie auch immer man es nennen will. Und das ist auch das, was mir bei meinen Dokumentarfilmen auch viel Kritik eingebracht hat, weil es eigentlich für mich immer darum geht, eine gute Geschichte zu erzählen; egal, ob es jetzt ein realistischer Film ist oder ein Spielfilm. Aber natürlich gibt es im Dokumentarfilm, so habe ich das empfunden, eine Beschränkung. Denn egal was für eine tolle Geschichte man sich vorher überlegt hat, ist man sozusagen nicht Herr der Sache. Man hat mit Menschen zu tun, die selbst entscheiden, was sie machen wollen oder deren Geschichten auch zum Teil erst entstehen während des Filmemachens. Der Fantasie sind gewisse Grenzen gesetzt und deswegen wollte ich eigentlich auch schon immer einen Spielfilm drehen. Das habe ich mir eigentlich immer geschworen; und ich muss sagen, es war ein großer Spaß und ich bin sehr glücklich.
Man kann auch wirklich sehen, dass alle ihren Spaß daran hatten. Und das überträgt sich auch auf den Zuschauer.
Ein Spielfilm ist natürlich eine ganz andere Maschine. Man ist nicht mehr in einem Drei-Mann-Team unterwegs, sondern mit 50 Leuten und Schauspielern. Das fand ich wahnsinnig erfrischend, weil dadurch auch so viele Einflüsse in den Film reinkommen. Also, man muss nicht alle zulassen, klar. Man kann auch sagen, das entspricht jetzt nicht meiner Vision des Films, aber ich habe eigentlich generell mit Leuten gearbeitet, die meine Ideen ziemlich geteilt haben und der Film ist jetzt einfach viel besser, als ich das gedacht hätte. Das Drehbuch war natürlich auch schon ganz gut, aber diese Erfahrung, dass da so viele Menschen sind, die das noch woanders hintragen und weitertragen, als man das alleine könnte, ist einfach der Wahnsinn. Wunderschön!
Du hast wirklich ein namhaftes Team um dich geschart für deinen ersten Spielfilm und ein bekannter Name jagt den nächsten …
Du meinst die Schauspieler?
Auch die Schauspieler, aber auch Kamera und Cast. Außerdem hast du von der Gesellschaft zur Förderung der Medien in Bayern den Nachwuchsförderungsfond von 250.000 € bekommen. Wie ist das alles zustande gekommen?
Im Team war zum Beispiel der Kameramann, Markus Förderer, der hatte zu dem Zeitpunkt, als wir gedreht haben, zwar schon zwei Kinofilme, aber gerade auch erst seinen Abschluss von der Filmhochschule gemacht. Das heißt, dass ist auch jemand, der sozusagen relativ neu ist, aber eben auch die nötige Erfahrung hat, die man einfach braucht, um so einen Film umzusetzen. Das ist nicht so leicht und da braucht man einfach jemanden, der weiß, was er tut und der auch mit diesem Druck umgehen kann. Das habe ich mir natürlich so gewünscht. Aber ich hatte zum Beispiel auch die Szenenbildnerin Katharina Wöppermann dabei, die schon an die 50 Filme oder mehr gemacht hat. Wenn dieses Wissen wie bei ihr dann mit einer tollen Persönlichkeit zusammen geht, die neugierig ist und die das Feuer packt, anstatt zu sagen „Hab ich alles schon gemacht“ oder „Ich will nicht mehr“, dann profitiert man natürlich von der Erfahrung. Dann ist auch einfach das Vertrauen viel größer.
Ich hatte nämlich vor dem Film immer gedacht, dass ich alles kontrollieren und allen auf die Finger gucken muss, aber: Das Gegenteil war der Fall. Es war ein absolutes Vertrauen da, dass alle wissen, was wir vorhaben und dass wir die Vision teilen. So hat das dann jeder dahin getragen, wo es jetzt ist.
Bei den Schauspielern ist es ja eine totale Mischung von Leuten, die komplett neu sind und Leuten, die schon lange dabei sind. Margit Carstensen, Corinna Harfouch und Christoph Bach. Das sind Schauspieler mit sehr viel Erfahrung, aber es gab auch Max Pellny, für den es sein erster Kinofilm überhaupt war. Dann zwei Schauspieler, deren erster deutscher Film es war, die nicht mal Deutsch sprechen normalerweise: Jakub Gierszal und Carla Juri, die jetzt zwar durch „Feuchtgebiete“ ein Star ist, aber davor noch nie einen deutschen Film gemacht hat. Es war jetzt aber auch nicht ein Plan dahinter, dass das so sein muss, sondern es hat sich so ergeben, weil die Schauspieler fantastisch auf die Rollen passen. Zum Glück wollten die Schauspieler, die das Buch in die Hände bekamen, es einfach machen. Und das, obwohl wir eben recht wenig Geld zur Verfügung hatten.
Wir hätten wesentlich mehr Geld gebrauchen können; aber umso glücklicher war ich, dass der FFF den Mut hatte, mich zu fördern; was erstaunlich ist mit so einem Drehbuch. Es gab nämlich große Diskussionen im Vorfeld und ganz viele Leute fanden die Idee unmöglich.
Dein Mann Christian Kracht hat auch an dem Buch mitgeschrieben. Glaubst du, dass sein Name ein Gefühl gezogen hat in die Richtung: „Den Film wollen wir machen“?
Ja und nein …
Das ist ja schon ein Name in Deutschland, den viele kennen: „Oh, Christian Kracht, toll!“
Aber es gibt auch viele Leute, die Christian Kracht total schlimm finden.
Ich wollte gerade sagen, dass sich da die Meinungen spalten.
Christians Name war zum Teil nicht unbedingt ein Vorteil. Es ist ja nun mal mein erster Film und da so einen Namen dabei zu haben, der einen in eine gewisse Schublade steckt, ist natürlich auch eine große Gefahr. Es war auch auffällig bei den Förderentscheidungen, gerade bei den Negativen, wie sehr ich da das Gefühl hatte, dass gerade dieser Name ausschlaggebend war, nicht zu fördern, weil das Buch auch anders gelesen wurde. Aber es war natürlich toll, ein Buch mit jemandem zu schreiben, dem man vertraut und vor dem man sich nicht verstecken oder beweisen muss; egal was für ein erfahrener Schriftsteller er ist. Er ist nun mal jemand, der mich sehr gut kennt und das war natürlich ein Riesenglück für mich so frei schreiben zu können.
Zu „Finsterworld“ selber: Einerseits besticht der Film durch wahnsinnig komische Szenen und hervorragende Dialoge. Andererseits wird in dem Film auch ein recht pessimistisches Weltbild gezeichnet. Stand das für dich von Anfang an fest? Und stand der Name „Finsterworld“ vorher fest und darauf hat man dann das Drehbuch aufgebaut?
Der Titel „Finsterworld“ hat für mich gar nicht so viel damit zu tun, dass der Film pessimistisch ist. Das ist ja auch ein Zitat meines Namens. „Finsterworld“ ist ein Titel, der feststand, und der uns im Vorhinein die Möglichkeit gab, eine eigene Welt zu kreieren. Er sollte keinen Realismus verfolgen, sondern einfach dieses „comichafte“ betonen, das der Film ja auch hat durch die Farben und Kostüme. Der Plan war, eine eigene Welt zu erschaffen, bei der der Zuschauer sich auch entscheiden kann, ob er das jetzt annehmen mag oder nicht; es sollte ja auch kein „Zeigefinger-Film“ werden.
Es gibt natürlich einen gewissen Pessimismus in dem Film, aber ich sehe auch eine große Hoffnung darin. Für mich gibt es wirklich ein Happy End für ein paar der Figuren, für andere nicht.
Was mich besonders beeindruckt hat, ist, wie diese Figuren alle miteinander verknüpft sind. Abseits davon steht dieser Einsiedler aus dem Wald, der während des kompletten Films von den Anderen weitestgehend unentdeckt bleibt und im Hintergrund agiert. Trotzdem erscheint er am Ende so wie das Zünglein an der Waage, wie eine Art personifiziertes Naturgesetz. Was war die Idee hinter dieser Figur? War sie wirklich so angelegt, dass sie das Schicksal spielt?
Der Einsiedler ist erst mal ganz klar entstanden, weil ich unbedingt eine Figur haben wollte, die in einer Art paradiesischem Urzustand lebt; abseits der Welt, die wir im Laufe des Films zeigen. Sie ist die einzige Figur, die wirklich eine Art glückliche Beziehung führt. Zwar mit einem Vogel, aber immerhin. Sie hat sich rausgezogen aus dem ganzen Anderen. Genau aus dem, was Dominik in dieser Szene mit dem Käfer beschreibt: die Verletzungen, die man im Laufe seines Lebens erfährt und die einen verändern. Da hat die Figur einen Schlussstrich gezogen und gesagt, das will sie nicht mehr.
Spoiler: Dadurch ist es natürlich interessant, dass ausgerechnet derjenige denjenigen durch Schicksal tötet, der ihm eigentlich fast am nächsten steht. Das ist natürlich die große Tragik dieser Figur.
Zum Schluss findet ein gewisser Wandel statt. Sehr viele Figuren entwickeln sich dann recht negativ. Irgendwie hat er schon etwas Schicksalhaftes für mich, weil ich mir denke, dass gerade der einzige potenzielle Weltverbesserer durch ihn dann getötet wird. Steckt da so ein bisschen ein atheistisches Weltbild dahinter? Ich fand es nämlich ganz interessant, dass man am Anfang des Films sieht, dass der Einsiedler in seiner Hütte dieses total von Spinnweben zerfressene Kreuz an der Wand hängen hat, während Claude einen Kreuzanker auf seinem Arm trägt, weiß aber auf die Frage, ob es etwas wie einen Gott gibt, keine vernünftige Antwort. Die Sandbergs bezweifeln sowieso die Existenz von einem Numen …
Ich würde das total anders sehen, weil die Frage „Gibt es einen Gott?“ eine sehr zentrale ist; sie taucht immer wieder auf. Zudem finde ich schon, dass Claude darauf eine Antwort hat. Er sagt, er glaubt mit Sicherheit, dass es etwas gibt. Aber er ist in diesem Moment eigentlich nur zu schüchtern, um das wirklich auszuformulieren. Später sagt Dominik: „Und Gott gibt es auch nicht mehr“; und dann sagt die Inga „Ich wünschte mir, es gäbe einen“. Also das ist eine der großen Fragen in dem Film …
Spoiler: Kurz darauf wird Dominik erschossen. Da stellt sich mir die Frage: Ist das jetzt die Antwort? Oder darf man das gar nicht so sehen?
Spoiler: Das ist natürlich ein trauriger Moment, dass ausgerechnet dieser Junge erschossen wird. Aber auf der anderen Seite ist es Claude, der erlöst wird. Am Ende kommt diese alte Dame, die er liebt, zu ihm und vergibt ihm. Sozusagen seine Sünde. Und das ist ein Moment, wo man auch sagen könnte: Ja, vielleicht gibt es einen Gott.
Mir ist einfach aufgefallen, dass wenn Leute in Deutschland sagen sie glauben, dass sie fast ausgelacht werden. In intellektuellen Kreisen ist es einfach absolut daneben zu sagen „Ich glaube an Gott“ oder „Ich glaube an irgendetwas“. Deswegen ist die Frage auch in dem Film drin: Was ist eigentlich los in dem Land, in dem es keinen Gott gibt? Wo eigentlich auch alle den Staat scheiße finden und abgeklärt sind. Es ist eher ein Versuch, dieses Gefühl zu ergreifen oder zu begreifen. Das Ende mit dem Kind und dem Bären ist auch so ein erlösender Moment. Und wenn die Aussage des Films wäre, es gibt keinen Gott, dann würde es diesen Moment auch nicht geben.
Wenn es die Möglichkeit gäbe, einen Charakter aus diesem Film ins wahre Leben herauszuziehen, ihn ins eigene Leben zu integrieren: Wen würdest du wählen und warum?
Ich würde am Liebsten alle wählen, weil ich nämlich alle wahnsinnig gerne mag. Das ist, glaube ich, auch das Schöne an dem Film und ich hoffe, dass das gelungen ist, dass es eben nicht so schwarz-weiß ist. Jeder gute Charakter hat auch eine dunkle Seite und umgekehrt: auch die dunklen Charaktere haben gute Seiten. Und: Ich finde sie alle ganz toll.
(Interview geführt von Isolde Hien, Transkript erstellt von Ursula Huber)
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