Der Weg vom Theater in den Film ist offenbar ein schneller und so gar nicht störrischer. Zumindest, wenn man Sandra Hüller heißt. Seit mittlerweile sieben Jahren belebt die gebürtige Thüringerin den manchmal müde wirkenden Kulturbetrieb mit vielfältigen und doch rar gesäten Auftritten – von der Epileptikerin Michaela, die in Hans-Christian Schmids „Requiem“ irrtümlich exorziert wird und infolgedessen stirbt, bis zu Charlotte in „Brownian Movement“, einer Frau zwischen Bürgertum und sexueller Befreiung. Momentan arbeitet sie an den Münchner Kammerspielen unter anderem als Marion in „Dantons Tod“ und Nina Leeds in „Seltsames Intermezzo“.

In Frauke Finsterwalders Spielfilmdebüt „Finsterworld“ spielt sie nun die Dokumentarfilmerin Franziska Feldenhoven. Anlässlich des Kinostarts sprach unsere Redakteurin Isolde Hien mit ihr über Zusammenarbeit, Deutschland und Michael Haneke.

Wie kam es dazu, dass Du trotz der Tatsache, dass die Rolle der Franziska keine tragende Hauptrolle darstellt, diese Rolle übernommen hast?

Es ist nicht unbedingt mein Anspruch, immer die Hauptrolle zu spielen. Bei „Finsterworld“ habe ich mich einfach in das Drehbuch verliebt und war gleichzeitig an- und abgestoßen von den vielen Dingen, die dort geschahen, und davon wäre ich gerne ein Teil gewesen. Die Rolle der Franziska war eine Nuss, die man erst knacken muss, damit die Leute sie nicht durchwegs hassen. Das war eine interessante Aufgabe, da ich mich selbst gefragt habe: Was ist denn mit der los? Ich habe mich lange damit herumgeschlagen und auch die Regisseurin Frauke Finsterwalder konnte mir damit nicht wirklich helfen. Erst in der Begegnung mit den Schauspielkollegen hat sich dann aufgelöst, dass es dabei mehr um eine Grundenergie von jemandem geht, der immer weitermacht und nur auf seine Kunst fixiert ist. Die Widersprüche, die sie innerhalb ihres Strebens vereinen will – das geht nur über den Elan und die Komik, die sie anzieht.

Welchen Stellenwert hat die Rolle der Franziska im Film?

Ich bin ein Teil des Panoramas, welches dort ausgebreitet wird, und das gefällt mir besonders an der Rolle. Rein schauspielerisch ist es ein Genuss, den Film ansehen zu dürfen.

Das Drehbuch von Frau Finsterwalder und Herrn Kracht ist sehr genau durchdacht. Wie viel Freiraum hat man als Darsteller sich darin einzubringen?

Am Drehbuch haben wir nichts mehr gemacht, weil bereits das Endprodukt absolut in Ordnung war. Was einzelne Haltungen der Rollen innerhalb des Films angeht, war Frau Finsterwalder sehr flexibel, souverän und offen mit uns. Wir haben viel gesprochen und ausprobiert, aber auch verworfen. Es gab viele Szenen, die anders angelegt waren; wie die Küchenszene, beispielsweise. Wir haben uns vier Stunden am Morgen angeschrien und dann gemerkt, dass es einfach nicht funktioniert. Das ist kein Paar, welches sich anschreit. Wenn sie es könnten, dann hätten sie weniger Probleme. Sie diskutieren auf einer anderen Schiene miteinander und das mussten wir erst herausfinden.

Du kommst ursprünglich vom Theater. Ist es eher so, dass man sich zurückhält, was eigene Ideen anbelangt und hält sich an den Fahrplan F, oder war es für Dich kein Problem von Anfang an zu sagen: Ich bringe mich ein?

Ich glaube, dass eine Zusammenarbeit immer eine Zusammenarbeit ist. Ich bin nicht die Angestellte des Regisseurs oder eine Staffelei auf die man draufmalen kann. Und da wir alle denkende Wesen sind, war es für mich immer selbstverständlich sich darin einzubringen.

Hast Du es mal erlebt, dass ein Regisseur einfach seinen Plan durchgezogen hat?

Es gibt natürlich Regisseure, bei denen man spürt, dass dafür einfach kein Platz ist. Aber mit denen arbeitest du einmal und dann nicht mehr.

Das Bild, welches in „Finsterworld“ von Deutschland gezeigt wird, wirkt zweifellos pessimistisch, aber dennoch auch skurril. Du sagst am Ende des Films, ob es nicht vielleicht besser wäre, wenn es gar keine Menschen auf der Welt gäbe. Kannst Du etwas mit diesem Weltbild anfangen?

Ich finde aus Franziska heraus den Anspruch nachvollziehbar, dass ihr das ganze Chaos auf der Welt so zu viel wird, dass sie sagt, es wäre doch einfacher ohne Menschen. Das ist aber kein schlimmer oder pessimistischer Gedanke, denn es wird vielleicht wirklich eines Tages so sein. Die Idee, dass die Erde auf einmal ein stiller Ort ist, ohne Kriege, Hunger oder Nöte, finde ich nachvollziehbar. Und von Deutschland wird kein wirklich pessimistischer Zustand gezeigt; es ist ein „Ist-Zustand“ und nicht die Zukunft. Es geht um das, was die Leute jetzt erleben. Und darin steckt durchaus eine Hoffnung, wenn man sich mit den Dingen auf diese Art und Weise auseinandersetzen kann.

Wie wird es für Franziska weitergehen? Macht sie ihren Weg?

Ich kann mir vorstellen, dass sie dort einfach bleibt. Sie geht in irgendein Dorf und lässt sich dort „eingemeinden“. Ich glaube nicht, dass sie wieder zurückgeht.

Es gibt im Film diese herrliche Szene zusammen mit Tom, in der er sich dir endlich in seinem Bärenkostüm offenbart. Du giltst als eher schreckhaft. Wie viel Schauspiel steckte wirklich in der Szene?

Ich finde das Bärenkostüm eher süß und rührend und gar nicht gefährlich. Wovor sie so erschreckt ist, ist, dass ihr Freund es trägt und darin steckt. Es ist mehr die Idee, was er schon alles darin gemacht hat, die sie so abstößt.

Franziska ist dominant in der Beziehung zu Tom. Dieser wirft ihr auch vor, dass sie über den Ehrgeiz hinaus wahnsinnig egoistisch ist. Glaubst Du, dass es wichtig ist, auch egoistisch zu sein, um Erfolg zu haben?

Ich kann ehrlich gesagt nicht sagen, was man dafür braucht, um erfolgreich zu sein. Das war auch nie mein Interesse. Wenn man verwirklichen will, was man meint, muss man seine Grenzen gut kennen und sagen können, was man möchte. Aber ich glaube nicht, dass es alleine geht und ich glaube auch nicht, dass es gegen Menschen geht und ich glaube auch nicht, dass es mit Zynismus geht. Und ich glaube auch nicht, dass es so geht, wie Franziska es macht. Es geht mit Menschen, die einen unterstützen und mit denen man sich verbunden fühlt.

Siehst Du dich als ehrgeizige Person?

Ich kann nicht sagen, ob ich ehrgeizig bin, da ich mit dem Begriff nicht wirklich umgehen kann. Wenn eine Rolle auf mich zukommt, die ich schwierig und interessant finde, dann will ich die natürlich knacken. Aber das ist eher wie ein Quiz, das ist einfach eine Freude für mich, dem nachzugehen. Ich finde Ehrgeiz macht eher zu und hart, weil das auch immer etwas gegen Andere ist und damit kann ich nur wenig anfangen. Da ich auch älter werde und Leute nachrücken, die eine andere Energie haben, als ich jetzt habe.

Franziska sagt im Film, dass sie die Herrn Haneke und Seidl sehr bewundert. Würdest Du gerne mit einem bestimmten Regisseur zusammenarbeiten? Mit Herrn Haneke vielleicht?

Ja, natürlich. Wer würde nicht gerne mit Herrn Haneke arbeiten? Das ist fast schon ein Allgemeinplatz, aber nichts, was ich steuern kann. Es liegt ja nicht an mir.

Siehst Du deine Zukunft mehr am Theater oder vor der Kamera?

Ich lasse das komplett offen; aber es ist eben so, dass meine Hauptbeschäftigung am Theater liegt. Ich habe dort meine Familie, ein kleines Kind, um das ich mich kümmere und da ist es natürlich einfacher, wenn ich abends nach Hause kann. Insofern ist das Filmen für mich immer ein anderer Einschnitt in mein Leben und da überlege ich mir genau, ob sich der Aufwand für mich lohnt.

Fühlst Du dich mittlerweile in München vollkommen angekommen, sodass Du es als dein Zuhause bezeichnen würdest?

Mein Zuhause wird vermutlich immer Thüringen sein, dort, wo meine Eltern sind. Und auch die Schweiz wird immer ein Stück mein Zuhause sein, mit der ich auch sehr verbunden bin. Nach meiner Erfahrung ist es so, dass ich zwei Jahre brauche, bis ich in einer Stadt wirklich angekommen bin. Aber ich fühle mich hier durchaus wohl und das hat viel mit dem Theater zu tun. Ich glaube, wenn ich das nicht hätte als Stützpunkt, als kulturelles Zentrum und als Austauschort, wäre ich hier ziemlich verloren.

(Interview geführt von Isolde Hien, Transkript erstellt von Maximilian Kosing)

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