Im Zuge der diesjährigen Oscars analysieren wir höchst subjektiv die Stärken und Schwächen eines jeden Nominierten in 24 Kategorien. Es soll jedoch nicht um eine Prognose gehen, sondern um die Qualität jedes Einzelnen. Eine Übersicht aller Beiträge findet sich hier. Zudem veranstalten wir ein großes Oscar-Tippspiel.

Billy Wilder meinte einmal, ein Regisseur solle ein Polizist, eine Hebamme, ein Psychoanalytiker, Schleimer und ein Bastard sein. Übersetzt und stark banalisiert hieße dies wohl: Ein Regisseur ist gleichzeitig Mutter und Vater für seine Mannschaft aus Schauspielern, Produzenten, Drehbuchautoren, für sein Kabinett aus Kostümbildnern, Bildgestaltern und Schnittmeistern, den Menschen an vorderster und hinterster Front – selbst, wenn es „nur“ der Gaffer (Oberbeleuchter) sei. Die von Wilder spezifizierten Ideale finden sich jedoch in diesem Jahrgang kaum gebündelt wieder, sie existieren vielmehr losgelöst voneinander. Es scheint, als ob jeden dieser fünf Regisseure eine manchmal dezente, manchmal konsequente Maßlosigkeit mit genügend Weitsicht auf die Academy antriebe. Denn ihre fünf Beiträge erneuern nur auf den ersten, flüchtigen Blick ihre Filmografien – auf den zweiten schmelzen die eigens errichteten Ansprüche auf ein geradezu luftiges Nichts.

Die Nominierten

© Tobis Film, Warner Bros., Paramount Pictures, Universal Pictures (v. l. n. r.)

Oscar: Beste Regie © Tobis Film, Warner Bros., Paramount Pictures, Universal Pictures (v. l. n. r.)

Steve McQueen, „12 Years a Slave“

Das Extrem als stereotypes Narrationsmodell formt Steve McQueen in „12 Years a Slave“ erstmals nach „Hunger“ und „Shame“ beinahe zurückhaltend, vor allem aber mäandernd durch die überdimensionale amerikanische Historie, deren Leid nach Hollywood-Maßstäben zwar äußerst hübsch (qualvoll) illustriert wird, indessen niemals über ein Rührstück hinausbricht. Hinter McQueens unpräziser Führung kollabiert der ihm früher innewohnende Anspruch: eine Geschichte nicht allein des nachfolgenden Ruhmes wegen zu kreieren, sondern der Menschen, ihrer Ängste, Emotionen, ihres Leids und ihrer Umwelt wegen – ihrer Umwelt, welche sie in Situationen ohne Ausweg zwang, sie malträtierte und den tiefsten Sturzbach des Lebens fühlen ließ. Natürlich weiß McQueen um diese Erwartungshaltung; natürlich weiß er, sie zu brechen; natürlich weiß er, damit trotzdem allen Konsens zu bedienen. Ein wahrhaft substanzieller Regisseur bemüht weder Staffage noch Künstlichkeit – er lässt fühlen, um zu verstehen.

David O. Russell, „American Hustle“

Zunächst fixiert David O. Russell das scheinbar Äußere: Plauze, Toupet, Dekolleté. Dann scheint er langsam ein Verständnis für eine archaisch ursprüngliche Form von Handlung und Erzählkunst zu entwickeln. Doch um die Betonung auf den Schein kommt man nicht umhin, denn „American Hustle“ prüft zugleich das irrsinnige Verlangen seines Publikums, welch unsägliche Langeweile wohl ein Jahrzehnt voller Trugbilder und des Materialismus auslöst. Dabei bläst Russell sein Konstrukt sorgsam auf, wie eben jene Donut-Tolle seiner innigst geliebten Jennifer Lawrence. Es fällt schwer, über einen Regisseur überhaupt ein Wort zu verlieren, der sich jeder Leitung entfremdet, so gern er doch offensichtlich ein Auteur zu werden versucht. Immerhin ist Russells Leistung als Regisseur vielzu geringfügig, um das ebenso von ihm konstant verklausulierte und (leider) ebenso nominierte Drehbuch als konkrete Schwachstelle abzulösen.

Alfonso Cuarón, „Gravity“

Ein Projekt definiert sich kaum durch den unbedingten Willen seines Regisseurs, es auf die Leinwand zu hieven. Im Falle von „Gravity“ mag das aber nicht recht stimmen. All das Herzblut, welches Alfonso Cuarón über die Jahre nun zu seinem Endprodukt bündelte, spricht ebenso durch seinen Film. Soweit dieser überhaupt noch Science-Fiction ist oder vielmehr ein Drama über den Menschen und seine tiefste Einsamkeit: Es spielt wenn nur eine leidige Rolle, da Cuarón sein unbändiges Verlangen nach diesem Stoff zügeln und fordern konnte. So wächst aus dem Beharren nach Verwirklichung ein schwereloses (auch künstliches) Kunstwerk inmitten zweier Schauspieler, die nach langer Suche ihrem Regisseur hoffnungslos Zutrauen schenken. Vielleicht sagt es auch genügend über den Menschen Cuarón selbst aus, dass er im Prozess des Filmemachens lernen möchte – aber niemals in Kategorien des „guten“ oder „schlechten“ Films denkt. Vor langer Zeit nannte man einen Regisseur noch Spielleiter. Für Alfonso Cuarón könnte es keine treffendere Bezeichnung geben.

Alexander Payne, „Nebraska“

Ein bisschen wirkt ein jeder Film von Alexander Payne wie ein eigens erfundenes Genre. Nicht mehr nur eine Mixtur des bereits Ausgeschöpften, sondern eine Melange aus einer halb totgeweihten Welt in einem Amerika, dessen Menschen noch nicht müde genug zum Sterben sind, obwohl ihr Dasein ohnehin längst beendet scheint. Doch in „Nebraska“ erzählt Payne noch von etwas völlig anderem: einer Hoffnung in der Misere. Es gehört Esprit dazu, den großartigen, aber niemals großartig anerkannten Bruce Dern als verschrobenen Protagonisten in die Pampa zu werfen und eine Reise aufzuspannen. Denn Alexander Payne erzählt von Landschaften, von den rüstigen Gebäuden an jeder Straßenkreuzung; er erzählt vom Leben und seiner Poesie, vom Ende – und immer strotzen seine hier durch Phedon Papamichael exemplarisch gewordenen Bilder von einem Herz in der Herzlosigkeit. Manchmal wirkt das sogar unbefriedigend. So, wie die Wahrheit eben ist.

Martin Scorsese, „The Wolf of Wall Street“

Martin Scorsese stürzt hinein – in den Schlund aller Lust, in das wattierte Meer des Verbrechens. Doch es sichert die Tore vor ihm. Stattdessen also entlang der redundanten und doch überaus amüsanten Nabelschnur des Kapitalismus in „The Wolf of Wall Street“. Das vermeintliche Experiment, Scorsese würde im reifen Alter wie ein geiler Jungspund inszenieren, implodiert jedoch zunehmend und produziert dafür eine exemplarische Anordnung seines Scheiterns; seines puren, aufrichtigen Scheiterns im satirischen Niveau. Es scheint, als ob ein Meister zu seinen Wurzeln findet und sie selbst abtrennt. Aus Little Italy gedeiht Downtown Manhattan. Aus der Gosse der Wolkenkratzer. Alles platzt ab von den Testosteron wütigen Mafioso. Nur die Redundanz, die bleibt; und fristet ihr müdes Dasein Ende der Neunziger. Da fragt man sich sogleich, ob Martin Scorsese jemals mehr als den Zeitgeist auf den Mann projizierte.

Resümee

Das Wort Verdienst wiegt schwer. Und doch bündelt einzig Alfonso Cuarón seine Vision mit unerschöpflichem Können, als gebe es vor und nach ihm zwar genügend anderweitig atemberaubende Materialien, aber nur „Gravity“ spiele in diesem Moment, in dieser Zeitrechnung eine erhabene Rolle. Dabei wirkt sein Anspruch nahezu befreit von den Mühen, denen ein jeder Film in seiner Pre- und Postproduktionsphase gegenübersteht. Diese Gelassenheit lässt ihn reifen und sie überstrahlt gleichfalls die Redundanz seiner „Gegenspieler“. Den unbedingten Willen kann man wohl keinem von ihnen absprechen – wohl aber den manchmal so ausdrücklichen Zwang dahinter.

Meinungen

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