Horror bezog seit jeher die schattigsten Gefilden des Kinos. In seinem Vermögen das Unangenehme, Verdorbene, Unzumutbare und Subversive abzubilden, wurde es zum Standardgenre heikler Debatten um Zensur und genießt größtes Misstrauen von Seiten des Staates, der Medien, wie auch der Öffentlichkeit. Ironischerweise werden ihm jene gesellschaftlichen Verunsicherungen und politischen Missstände vorgeworfen, die das Genre so furchtlos projiziert und reflektiert.

Horrorfilme sind anfälliger für Schnitte, als alles abseits harter Pornographie – wegen ihres Potenzials den Menschen „zu verderben und beschädigen“ (laut dem Gesetz über die Veröffentlichung pornografischen Materials aus dem Jahr 1964). Kann Horror eine Gefahr für seine Betrachter darstellen oder die Welt als Ganzes? Zumindest wenn wir den schrillen Behauptungen der Boulevardzeitungen glauben. Dies führt zu einem Paradox: Während der Status als Außenseiter bisweilen auch den Reiz an Horror bildete, hinterlässt das Genre ebenso einen Makel auf ihren Verehrern. Sie werden verurteilt untauglich für die Gesellschaft zu sein und zumindest in der Vergangenheit zu solch entfernten Orten verbannt wie dem Floh-, dem Autokino, Grindhouse oder Mitternachtsvorführungen. Wenn sie nicht zuvor in die Abgeschiedenheit getrieben wurden: der Direct-to-DVD-Produktionen, Bootlegs aus achter Generation oder zwielichtigen Downloads.

Und doch ist der Rand der Gesellschaft nicht der Ort, an dem das Horrorgenre seine Anhänger platziert; es ist genau dort, wo jene sein wollen. Horror zu wählen heißt: eine Gegenkultur zu adoptieren, den anerkannten Normen der Unterhaltung zu trotzen und dem Mainstream den Rücken zu kehren. Die Gesellschaft teert sie mit Andersartigkeit – sie selbst umarmen dieses Prädikat glücklich.

Gleichzeitig bewegt sich Horror seit dem letzten Jahrzehnt immer näher zum Mainstream. Studios verstehen plötzlich, wie viel Gewinn aus relativ geringen Einsätzen erbracht werden kann. Nicht jeder Horrorfilm natürlich bietet die exponentiellen Einnahmen von „The Blair Witch Project“ oder „Paranormal Activity“, aber in unserem digitalen Zeitalter kann ein ansehnlicher (wichtiger noch: klangvoller) Schocker mit bescheidenen Mitteln produziert werden. Währenddessen erdenkt eine Generation von Filmemachern jene Horrorstreifen neu, mit denen sie in den 70ern und 80ern erwachsen wurde – für ein neues Publikum; oder ein ähnlich nostalgisches. Horror beschäftigt sich mit Auferstehung, Verehrung und absonderlichen Rückkehrern; aber nicht nur: er folgt den untoten Leben mit seinen schier endlosen Remakes, Reboots und Fortsetzungen – mehr als jedes andere Genre.

Dem Wiederaufleben zum Trotz: Wenn es einem Genre an Ansehen mangelt, dann dem des Horrors. Wenigstens ein hochnäsiges Schnauben kassiert jeder, der in vornehmer Gesellschaft freudig auf „The Texas Chainsaw Massacre“ oder Tom Six’ Experimente mit menschlichen Tausendfüßlern verweist; selbst ohne die fraglichen Filme jemals gesehen zu haben. Die Unterstützer der Nischengenres haben sich an diese Reaktion gewöhnt; der Unterschied ist: Auch wenn der Hohn ein ähnlicher ist, es ist lediglich ihr vermeintliches Strebertum, das verspottet wird. Bei Horrorfans jedoch wird nicht nur ihr Geschmack, sondern ihre gesamte Weltanschauung bezweifelt. Welche andere Fangemeinde wird wiederholt als krank für ihr Fantum gebrandmarkt?

Kein Wunder somit, dass es buchstäblich hunderte Filmfestivals mehr gibt, die dem Horror gewidmet sind. Nicht nur ebnen die Fright-, Shriek- und Shocker-Festivals dieser Welt einen Weg Titel auf der großen Leinwand zu sehen, die ansonsten nur im Heimkino veröffentlicht würden – wenn denn überhaupt; sie bieten zudem einen sicheren Hafen, in dem sich gleichgesinnte Erwachsene treffen, das Genre betrachten und unbekümmert darüber reden können. Für Außenstehende mag das Publikum der Horrorfestivals wie das Äquivalent des Kinos zu der Pädophilie tönen; ein potentielles Risiko, aber dankbarerweise gezügelt. Doch für Eingeweihte sind solche Festivals ein Bollwerk gegen die vorschnelle Ächtung aller Außenstehenden, die niemals wirklich einen Blick hinein werfen.

Ein gemeinsames Interesse verbindet; mehr noch aber ein gemeinsames Keuchen. Es ist die Güte, die in der Stimmung eines Horrorfestivals mitschwingt; schließlich sind wir unter Freunden, wenn Stunden und Tage vergehen und dieselben Bilder der Diabolik, des Verfalls und der Zerstörung uns schreien, lachen, zurückweichen lassen. Und nach dem Film? Dann beginnen postfeministische Diskussionen, geboren aus dem Blick der Kenner und einer Leidenschaft für den Horror – statt der Feindseligkeit, die manch Nicht-Fan unwillkürlich dem Genre und Befürwortern entgegen bringt. Besucher von Horrorfestivals sind entweder bereits eingespielt all die Innereien zu deuten (die Anspielungen, die Unschlüssigkeit und Doppeldeutigkeiten), die jene unheimliche Mischung des Genres aus dem Vertrauten und Unerwarteten erzeugt; oder versuchen es zumindest. Nach ihrer ersten Infektion kommen Neulinge meist zurück – mit dem Blutdurst nach mehr.

Schließlich kreuzen sich die eingeladenen Regisseure mit den Karteninhabern und bilden ein nahtloses Kontinuum, nachdem sie ihre Liebe schon in den Schaffensprozess von Horror trieb. Denn Horror ist immerzu ein Genre von den Anhängern, wie auch für sie; alle, die willig sind die schattigen Nebenstraßen des Kinos zu besuchen – gemeinsam, statt allein in der Dunkelheit.

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