Erscheint ein Hypnotiseur auf der Leinwand ist Böses zu erwarten. Über ein Jahrzehnt hinweg schwangen filmische Mesmeristen Uhren, drehten Spiralen und durchbohrten mit ihren stechenden Blicken die Unwissenheit. Mägde ergaben sich ihrer Tugend und gute Männer torkelten fort mit glasigem Blick, um zu stehlen und zu töten, während jene von Lachen oder Empörung geschüttelt wurden, die mit wahrer Hypnose vertraut waren.

Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als Eure Schulweisheit sich erträumen lässt.

William Shakespeare: „Hamlet“ (zitiert in „Svengali“ von 1931)

Den einflussreichsten Prototyp filmischer Hypnose lieferte George du Mauriers Roman „Trilby“ aus dem Jahr 1894. Er beschreibt die Verführung der naiven jungen Trilby durch den Mesmeristen Svengali, während dieser ihr überirdischen Gesang stiftet. Mindestens acht Verfilmungen folgten – inklusive dem Stummfilm-Melodram „Svengali“ (1911), der erfolgreichsten Adaption mit John Barrymore (1931) und dem Fernsehfilm mit Jodie Foster als Trilby (1983), der zeigte, wie mächtig ein Hypnotiseur die Fantasie der Bevölkerung anregen konnte. In all den Ausprägungen dieses Genres führt ein ausnahmslos männlicher Hypnotiseur eine begehrenswerte Frau als Versuchsperson mittels einem intensiven Starren in Trance. Das bedeutet im Verhaltenskodexsystem der Verhaltensforscher auch: Starren zwei Tiere einander für mehr als drei Sekunden ohne zu blinzeln an, so sind sie im Begriff entweder „zu kämpfen oder zu vögeln“.

Auf der Leinwand besteht eine dritte Alternative: Wir fallen in eine tiefe hypnotische Trance, die eine Kontrolle von außerhalb ermöglicht. Gelegentlich greifen Filme auf die ursprüngliche Anwendung des Starrens zurück: In den Western der 40er Jahre froren Cowboys ein und fixierten die Augen ihres Gegenübers, kurz bevor die Schießerei begann. Häufiger jedoch reserviert Film den zügellos mörderischen oder sexuellen Blickkontakt – oder gleich eine mehrdeutige Kombination der beiden – für den Mesmeristen.

Der Ethnologe Irenäus Eibl-Eibesfeldt bemerkte, dass sich während des „Paarungsblicks“ die Pupillen weiteten. Damit der Mesmerist dies nachahmen konnte, umrandeten Regisseure die Augen ihrer Schauspieler mit einem schwarzen Stift und betonten das energetische „Glühen“ mit Effekten. In Animationsfilmen strömten Lichtstrahlen aus den Augen der Hypnotiseure, während sich jene der Versuchsperson wirr drehten oder gänzlich weiß wurden. Das hypnotische Starren wurde so sehr zum Cliché, dass die Vampir-Parodie „Liebe auf den ersten Biss“ von 1979 sich duellierende Hypnotiseure zeigte, die einander befohlen: „Sieh in meine Augen.“ „Nein, schau du in meine.“ „Nein, …“

Höchst beliebt ist der Einsatz von Hypnose auch, um Unschuldige zum Mord zu zwingen. In Robert Wienes höchst richtungsweisenden Horror-Stummfilm „Das Cabinet des Dr. Caligari“ (1920) kontrolliert der Titelcharakter ganz zum Vergnügen des Publikums einen Schlafwandler auf einem Jahrmarkt. In der Nacht sendet er jenen Somnambulen aus schlafende Männer und Frauen zu ermorden. Am Ende des Films jedoch stellt sich das Szenario als Wahnvorstellung eines Mannes heraus, der ahnt das nächste Opfer zu sein – Dr. Caligari nämlich ist eigentlich sein Psychiater. Unzählige Filme nahmen verwandte Handlungen heimtückischer Männer auf, die Hypnose nutzten, um unglückselige Heldinnen zu verführen und zu kontrollieren. Darunter ebenso „Die 13 Opfer des Dr. Desmond“ (1960), in dem ein Hypnotiseur attraktive junge Frauen auswählt, sie für harmlose Mätzchen auf die Bühne holt und ihnen dann im Geheimen Anregungen auf den Weg nach Hause gibt, wie sie sich schließlich selbst verstümmeln sollten. Er selbst obliegt der Kontrolle eines einst wunderschönen Künstlers, der von Verbrennungen entstellt wurde. „Die 13 Opfer des Dr. Desmond“ spielt offenkundig mit der Prämisse eines Genres, in dem Mord und Hypnose einander bedingen: Der Hypnotiseur ist eine verbitterte Person, die ohne seine außergewöhnliche Begabung nicht lebensfähig wäre.

Die vielleicht beste Darstellung der Hypnotherapie bildet Sidney Lumets Leinwandadaption von „Equus – Blinde Pferde“ (1977) aus. Nicht nur wirken die anfängliche Erläuterung der Hypnose durch den Psychiater Richard Burton und die Erfahrungen seines Patienten äußerst realistisch, sie verdeutlichen zudem die einzelnen Schritte des jungen Mannes, der in Illusionen über den allwissenden Pferdegott Equus gefangen, einen Stall voller Pferde bei Nacht erblinden lässt. Deutlich negativer spielt Todd Solondzs schwarze Komödie „Storytelling“ (2001) mit den Gefahren der Hypnose und Fantasien elterlicher Begünstigung. Nachdem sein beliebter älterer Bruder bei einem Football-Unfall linksseitig hirngeschädigt bleibt, bittet der verwahrloste jüngste Sohn einer dysfunktionalen Mittelstandsfamilie seinen Vater, ihn zu hypnotisieren. Sein apathischer Vater murmelt nur: „Sicher, was auch immer“. Und dieser hoch beeinflussbare und kürzlich traumatisierte Mann fällt rasch in Trance.

Selbst wenn die Darstellung der Hypnose eine positive ist, liegt der Schwerpunkt praktisch immer auf ihr als ein Mittel zur Beeinflussung oder Kontrolle anderer Menschen – dargestellt aus der Perspektive eines Beobachters, und nicht dem veränderten Geisteszustand der Versuchsperson. In „Schwer Verliebt“ (2001) möchte der Protagonist Hal nur körperlich perfekte Frauen treffen, bis er in einem Fahrstuhl mit dem Selbsthilfe-Guru Tony Robbins stecken bleibt. Als dieser ihn hypnotisiert, offenbart sich die innere Schönheit der Frauen plötzlich konkret in der wohl genährten Rosemary, die jedoch für Hal die zierliche Erscheinung von Gwyneth Paltrow annimmt. Zwar ist der Film ein rein oberflächliches Vehikel und eine zweistündige Abhandlung allerhand Witze über dicke Menschen, doch er versucht die hypnotische Suggestion in eine subjektive Perspektive umzuleiten.

Fern des kläglichen Versuchs in „Schwer Verliebt“ liefert David Koepps „Echoes – Stimmen aus der Zwischenwelt“ (1999) einen angestrengten Beitrag die Erfahrungen Hypnotisierter greifbar zu gestalten. Obwohl er sich schließlich in einen übernatürlichen Thriller wandelt, diskutiert Kevin Bacon in einer frühen Szene realistisch über die Wirklichkeit der Hypnose und lässt sich dann von einem laienhaften Hypnotherapeuten in Trance versetzen. Während der Einführung erzählt der Hypnotiseur Bacon, er wäre in einem Theater. Ein gut beleuchteter Saal mit roten Sitzen. Der Hypnotiseur sagt: „Es ist dunkel“; und die Lichter dämpfen sich. „Die Sitze sind schwarz“; und ihre Farbe ändert sich. Bacon erwacht, befreit von den Peinlichkeiten seiner Kindheit und der Nadel, die ihm der Hypnotiseur in die Hand stach, und sein Unbehagen ist förmlich fassbar. Erst als er von übernatürlichen Eindrücken befallen wird, erfährt Bacon, dass der Hypnotiseur ihm riet „offener zu sein“; ein mehrdeutiger Vorschlag mit realistischer Gefahr, leider aber von einem unsinnigen Ergebnis konkretisiert.

In Lars von Triers Film, der sich unter den Titeln „Europa“ und „Zentropa“ verbreitete, beginnt Max von Sydows Stimme hypnotische Anregungen zur Entspannung zu geben. Wir wähnen uns in einem Zug nach Deutschland und schlittern durch eine dennoch traditionelle Handlungsstruktur, die nur von gelegentlichen Voice Overs der hypnotischen Stimme unterlegt ist. Auch hier endet die Hypnose mit dem Erwachen. Während nur einige besonders empfängliche Zeitgenossen bei „Europa“ in Trance verfallen würden, kehrte Werner Herzog die Erfahrungen mit Hypnose um und hob sie auf der anderen Seite der Kamera hinein in eine weitere Ebene. Jeden Tag vor Drehbeginn hypnotisierte er fast die gesamte Besetzung von „Herz aus Glas“, die nun durch den Film in quälender Langsamkeit wanderte, die Augen in ihre Köpfe gedreht.

Die Verzerrung und Schmähung der Hypnose reicht weiter als jedes andere psychologische Phänomen. Dabei ist sie stets für ihre metaphorischen Möglichkeiten zu haben – größer als das Leben und in böser Absicht. Der wahrscheinlichste Unterschied? Jeder träumt und – zumindest in Hollywood – fast jeder ist in Psychotherapie. Hypnose verbleibt ein Mysterium. Aber die Geschichten bekannter Filme werden endlos wiederverwertet. Ein gutes Drehbuch geht einen langen Weg … bis ein Protagonist schließlich von der Hypnotherapie profitiert.

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