Zeus zürnt Blitz und Donner zur Pastorale Beethovens und Donald Duck treibt die Tiere unter Edward Elgars Märschen in die Arche. Doch wo „Fantasia“ anno 1940 handkreierte Revolution, eine kosmische Huldigung an Idylle, Paranoia und fanatischen Pomp war, ist „Fantasia 2000“ Effekthudelei und computeranimierter Stubenhockersensationalismus voll von Quasten, Därmen, Kitsch und Unsinn. Nun müsste natürlich niemand beide Filme – ein Meister- und ein Machwerk – miteinander vergleichen, wenn es denn nicht erforderlich wäre. Doch ihre Kopplung in Form der Konzertkompilation „Fantasia – Disney In Concert“ lässt keine Wahl – sondern kulminiert Episoden des einen mit jenen des anderen Films: Mickey Mouse mit Buckelwalen, New York mit Sumpflandschaften, abstrahierte Schmetterlinge mit Ballett tanzenden Straußen, Nilpferden, Elefanten. Die Sensation des dritten abendfüllenden Spielfilms der Walt Disney Studios entsprach damals wie heute aber eines Hungers, in die Zukunft zu sehen, Fortschritt vorweg und Zuschauer bei der Hand zu nehmen. Damit Zeichentrick größer werden würde als Silberreiher, Rehkitze, Kater Karlo oder der später folgende Glöckner, die Schlümpfe oder Bugs Bunny. Denn Zeichentrick formt noch immer Träume.
Seit einigen Jahren dreht „Fantasia – Disney In Concert“ daher seine Runden um die Welt; nun mit Zwischenstopps in einigen deutschen Städten für meist zwei Vorstellungen. Auch in der Münchener Philharmonie hielt das Programm am 2. und 3. Januar Einzug, mit dem Sound of Hollywood Symphony Orchestra unter Leitung Helmut Imigs sowie Marianna Shirinyan am Klavier. In den besten Momenten wirkt „Fantasia“ mit jener (eigentlich grundsätzlich notwendigen) Live-Orchestrierung geradezu wie ein hyperaktives Kultobjekt einer längst vergessenen Zeit, die für gezähmte hundert Minuten in die Gegenwart schwappt, dort ihre Arme ausbreitet und mythologische Welten im Zorn der Götter ertrinkt. In den schlechtesten Momenten aber zeigt insbesondere „Fantasia 2000“, dass es für seine Segmente niemals eine Zeit geben wird, weil es nur um Effekt, Imitation, Sperenzien, Aufgüsse geht – und nicht um eine Fortführung des Originals mit seiner radikalen Bildsprache. Radikal ist im Werk aus dem Jahr 1999 allerdings nichts mehr. Vielmehr zeichnet es naive Episoden mit teils unpassender klassischer Musik für ein eindeutig kindliches Publikum, dem nicht mehr zugetraut wird, der Sensation des Stücks von 1940 folgen zu können.
Die epochale Uferlosigkeit von Bild und Ton (über)fordert ebenso das Orchester. Gerade während Tschaikowskis Nussknacker-Suite hält mal das Schauspiel auf der Leinwand nicht Schritt, mal die Damen und Herren an Flöte und Klarinette nicht. Es fehlt an Raffinesse und Eigensinn. „Fantasia“ lebt allerdings von der Perfektion bis zum Kollaps, der in die Knie zwingen muss. Sonst nämlich spürt selbst Mickey Mouse in Dukas’ Zauberlehrling einer Magie hinterher, die nicht einzig durch einen blauen Zaubererhut mit Sternen erzwungen werden kann. Was das doch aber für eine Freude ist, Mickey zu sehen, der als Knecht für seinen Meister schuftet und dieses Amt des Nachts an einen Besen weitergeben möchte. Es ist eine Sequenz, so bekannt wie oft kopiert. Wer sie einmal gesehen hat, weiß, was „Fantasia“ und was Fantasie bedeutet; wer sie einmal gesehen hat, mit Orchester auf einer Leinwand, weiß, wie Zeichentrick das Herz vieler Menschen rauben konnte. Walt Disney stiehlt Herzen – noch immer. Danke dafür!
Die Zusammenstellung enthält folgende Stücke:
- Ludwig van Beethoven: fünfte Sinfonie und sechste Sinfonie, Op. 68
- Pjotr Iljitsch Tschaikowski: Stücke aus der Nussknacker-Suite, Op. 71a
- Claude Debussy: Clair de Lune aus der Suite bergamasque
- Igor Strawinski: Feuervogel-Suite
- George Gershwin: „Rhapsody in Blue“
- Paul Dukas: „Der Zauberlehrling“
- Edward Elgar: „Pomp and Circumstance Marches“, Märsche 1, 2, 3 und 4
- Ottorino Respighi: „Die Pinien von Rom“
- Nikolai Andrejewitsch Rimski-Korsakow/Jack Fina: „Bumble Boogie“
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