Haben Sie Reis dabei? So beginnt die „Rocky Horror Show“ eben auch bei der Premiere im Deutschen Theater in München nicht erst, wenn sich der blutrote Vorhang teilt, sondern bereits zuvor – bei der Ticketkontrolle, die bei manch einem (Kostümierten) eine Leibesvisitation nach sich zieht. Aber auch ohne Reis, ohne offenes Feuer und ohne überdimensionalen Regenzauber (die Verbotsliste lässt eine Zirkusattraktion vermuten) hat das Publikum vor Veranstaltungsbeginn eine Manufaktur an Gerätschaften zu präparieren, die ebenso für einen flamboyanten Kindergeburtstag reichen dürfte. Wo andernorts Instrumente gestimmt und Fliegen zurechtgezupft werden, heißt es bei Richard O’Briens Musical nämlich: Packt die Ratsche aus! Zudem folgen Konfetti, Spielkarten, Klopapier, Gummihandschuhe und Knicklichter, die noch dazu im richtigen Moment anzuwenden sind. Ganz zu schweigen von den „Boring!“-Rufen, die den Erzähler – in diesem Fall Sky du Mont – penetrant berieseln, da dieser der Handlung nur im Weg stehen würde. Wobei das Wort Handlung nicht allzu ernst zu nehmen ist. Aber das gehört schließlich dazu.
Selbst wer sich die „Rocky Horror Show“ nicht schon 1973 im Royal Court Theatre in London einverleibt hat oder Jim Sharmans Filmadaption „The Rocky Horror Picture Show“ irgendwann schlucken musste, sollte mit der Persiflage auf die B-Movies der fünfziger Jahre kaum narrative Probleme haben. Denn der Kult hat bis heute überlebt, weil „Rocky Horror“ ein gemeinschaftlicher Ritus ist, ein Mythos über die sexuelle Befreiung aus der Prüderie der Siebziger, eine Show ohne doppelten Boden, die ihre außerirdischen Freigeister zelebriert und zur Selbsterfüllung mahnt. Vor allem aber ist das Musical ein Ereignis, welches sich aus der Interaktion zwischen Akteuren und Publikum speist. Eine „Rocky Horror Show“ ohne Requisiten, die aus jeder Ecke über die Köpfe der Zuschauer fliegen? Unvorstellbar. Gleichsam ist die Show aber zu sehr von jenen Späßen abhängig, als dass sie darüber hinaus die Qualitätskriterien ähnlich langlebiger Produktionen erfüllen könnte. Die Tanzschritte? Marginal. Ein Sprung nach links, ein Schritt nach rechts, die Hände in die Hüften. Und doch explodiert der Saal beim sogenannten „Time Warp“ – angetrieben von einer hemmungslosen Fangemeinde im Korsett mit Strapsen.
Es gibt sie aber dennoch, die Momente sehnsüchtiger Ekstase, welche aus dem Stück springen und es zu mehr als einer Ode an ein zerbrechliches Lebensgefühl machen. Als die biederen Kleinbürger Brad und Janet beispielsweise im Dauerregen ihr havariertes Fahrzeug verlassen, das Licht von Dr. Frank N. Furters Anwesen in der Ferne erblicken und das Publikum derweil Reihe um Reihe bunte Knicklichter in die Höhe reißt, um nochmals den Weg zu weisen. Denn ein Motto der „Rocky Horror Show“ ist: „There’s a light, light in the darkness of everybody’s life.“ Oder auch später, als der außerirdische Transvestit Frank N. Furter einsehen muss, dass sein Zenit überschritten ist und sich seine Schöpfung, der künstliche Adonis Rocky, gegen ihn und seine körperlich forcierte Aufgabe richtet. In jenem Moment der Kapitulation nimmt Melancholie den zuvor orgastischen Dämon vom Planeten Transsexuell ein. Sein Zetern schwindet, das Amüsement lahmt, die Körperspannung weicht – und Darsteller Rob Morton Fowler wickelt trotzdem jeden Zuschauer mit einem Wimpernzucken um den nun zwischen weißen Federboas blühenden Heimattraum seiner Galaxie Transylvania.
„Don’t dream it, be it!“, heißt es in seinem „I’m Going Home“ daher, bevor die fünfköpfige Band als aktiver Part der Kulisse zur Tagesordnung ruft und die Melange aus Glam Rock und Rock’n’Roll fort exerziert. Gen Ende steht das Publikum ohnehin nur noch, als ob es sich nicht um ein Theaterstück handeln würde, sondern um ein (leicht hüftsteifes) Rockkonzert. Wie sich der Erfolg der „Rocky Horror Show“ erklären ließe? Vermutlich nicht in Worten. Sondern mit einem Ruck im Genitalbereich. Obwohl dieser kaum so überzeugend sein dürfte wie jener von Rob Fowler, der schlicht alles besitzt: die Bühne und das Publikum. Dazu leuchten nicht nur Knicklichter – sondern blinkt ein wahnsinniges Lichteffektspiel von David Howe.
Weitere Termine:
- 03.03. bis 22.03.2015: München, Deutsches Theater
- 31.03. bis 12.04.2015: Frankfurt am Main, Alte Oper
- 14.04. bis 15.04.2015: Bielefeld, Stadthalle
- 17.04. bis 19.04.2015: Oberhausen, König-Pilsener-Arena
- 22.04. bis 25.04.2015: Baden-Baden, Festspielhaus
- 05.05. bis 17.05.2015: Mailand, Teatro della Luna
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