Im Zuge der diesjährigen Oscars analysieren wir höchst subjektiv die Stärken und Schwächen eines jeden Nominierten in 24 Kategorien. Es soll jedoch nicht um eine Prognose gehen, sondern um die Qualität jedes Einzelnen. Eine Übersicht aller Beiträge findet sich hier. Zudem veranstalten wir ein großes Oscar-Tippspiel.

Die Kategorien Beste Hauptdarstellerin und Bester Hauptdarsteller haben neben der Besten Regie und dem Besten Film die wohl größte Bedeutung bei den Academy Awards – zumindest medial betrachtet. Wer in der Oscar-Nacht abräumt, dessen Gesicht ziert am nächsten Tag alle Blätter und flimmert unentwegt durch soziale Netzwerke und Fernsehen. Von der Nominierung bis zur Preisvergabe hält die Anspannung an, denn eine Auszeichnung in diesen beiden Kategorien kann entweder zum Karrieresprungbrett werden oder aber sie wird zu einer Bürde. Zudem setzten die Sieger jedes Jahr aufs neue Trends: welche Schauspielmethoden sind angesagt, was will das Publikum sehen? In der Geschichte der Oscars hat besonders diese Kategorie für viele überraschende, glückliche sowie tränenreichen Momente gesorgt.

Die Nominierten

© Tobis, Warner Bros., Universum (v. l. n. r.)

Oscar: Beste Hauptdarstellerin © Tobis, Warner Bros., Universum (v. l. n. r.)

Amy Adams, „American Hustle“

Amy Adams ist der Inbegriff des Hollywoodsweethearts! Ihre Darstellung als sexy Femme fatale Sidney Prosser, die sich als blaublütig royale „Lady“ Edith Greensley mit zweifelhaften königlichen Bankverbindungen nach London ausgibt, unterscheidet sich immens von den meisten ihrer bisherigen Rollen, in denen sie vornehmlich eher naive, gutmütige junge Frauen spielte. Kritiker waren von Adams’ ungeahntem Sexappeal verblüfft, ihrem Kalkül, ihrer Eleganz – besonders lobte man sie jedoch für ihren ach so britischen Akzent, der für ein europäisches Gehör jedoch eher wie ein etwas herablassend wirkendes Ostküsten-Englisch klingen dürfte. Die Art, wie Adams ihren Schauspielkollegen Paroli in diesem Gewühl bietet, ist ganz nett, wirkt aber bei näherem Hinsehen eher plump und sehr gewollt. Wer Adams die Rolle der Lady abkauft, ist selbst schuld, denn Authentizität sieht anders aus – da reicht eine schicke Föhnwelle, stilvolle Maniküre und hier und da ein Busenblitzer nicht aus. Adams neigt eindeutig zur Übertreibung, ob dies nun David O. Russels sagenumwobenem method acting zu schulden ist oder ihr subtilere Rollen einfach besser stehen, bleibt dahingestellt.

Meryl Streep, „August: Osage County“

Violet ist krebskrank, cholerisch, latent xenophob und pillenabhängig. Als ihr Mann Beverly Suizid begeht, reisen ihre drei Töchter mit ihren Partnern zur Beerdigung. Doch anders als man es von einer Sterbenskranken erwarten würde, die ihre letzten Stunden und Tage im Kreise der Familie verbringt und soeben ihren Mann verloren hat, macht sie ihren Nächsten das Leben zur Hölle. Basierend auf dem gleichnamigen Theaterstück, das als Ensemblespiel angelegt ist, wirkt es, als wolle die grande dame Meryl Streep als Violet ihren Kollegen mächtig die Show stehlen oder als habe sie sich vorgenommen, Elizabeth Taylors Performance in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ zu toppen. Leider misslingt ihr die Darstellung der Violet gewaltig: ihre Stimmeinsätze, die Betonungen wirken gekünstelt, die Gesten übertrieben, es ist schlichtweg keine Interpretation einer Rolle, sondern eine schauspielerische Überinterpretation. Durch sie wirkt das gesamte Stück wie ein unbedeutendes Possenspiel aus dem vorletzten Jahrhundert. Streeps selbstdarstellerisches Spiel ist nicht ansatzweise schockierend, das Einzige, was man sich denkt, ist, dass man mit Violet wahrscheinlich nicht gerne zu Abend essen würde.

Cate Blanchett, „Blue Jasmine“

Wir sind froh euch an unserer Euphorie teilhaben zu lassen, denn wir haben eine neue Leinwandgöttin zu krönen: Cate Blanchett. Die gebürtige Australierin ist schön, aber gemessen an irrationalen Hollywood-Maßstäben nicht zu schön. Sie hat etwas zerbrechliches, aber zugleich etwas düsteres, ihre Präsenz ist markant und stark. In Woody Allens „Blue Jasmine“ spielt sie Jeanette „Jasmine“ Francis, eine Frau, die an den uferlosen Luxus der New Yorker Oberklasse gewöhnt ist und plötzlich pleite und geschieden der Realität ins Auge sehen muss. Nach und nach fällt ihr Leben wie ein Kartenhaus zusammen, alle sehen es mit an, doch sie hält an ihrem Leben fest, das auf nichts weiter als eine Selbstlüge basiert. Jasmine ist ein Charakter, der in seiner Verwirrung schwer an Tennesse Williams’ Blanche DuBois aus „Endstation Sehnsucht“ erinnert. Doch viel mehr als Blanche ist Jasmine eine Unsympathin, für die man letztendlich nur Mitleid übrig haben kann. Ein komplexer Charakter, der von Blanchett exzellent verkörpert wird. Jede zynische Bemerkung, jeder Wutausbruch, jede Mimik und jede Geste sind ein Genuss.

Sandra Bullock, „Gravity“

Sandra Bullock ist eine klassische Blockbuster-Actrice, egal ob in „Demolition Man“, „Speed“ oder „Miss Undercover“: Sie holt die Zuschauer ins Kino, wie das Licht die Motten anlockt, sei der Film noch so trivial. In Alfonso Cuaróns beeindruckendem Action- und Effekt-Spektakel „Gravity“ spielt Bullock die Mediziningenieurin Ryan Stone, die sich auf einer Mission im All wiederfindet, unweit von der Heimat Muttererde, und nach einem Unfall schwerelos im Nichts treibt. Die Furcht vor der Einsamkeit, die alles verschlingenden Finsternis des Alls, die Angst, nie mehr nach Hause zu kommen, dominiert. Gefühle, die Stones Herz in einem hohen, unregelmäßigen Rhythmus schlagen lassen. Zwischen Schnappatmung, Panik, Stille und mentalen Black-Outs nimmt uns Sandra Bullock mit auf ihre Alptraumfahrt durchs All. Gebannt hoffen wir bis zur letzten Sekunde, dass sie überlebt. Ihre Angst, ihre Ohnmacht wirken so authentisch, dass man selbst beginnt das All zu fürchten.

Judi Dench, „Philomena“

Hollywood könnte man sich wohl kaum ohne Dame Judith „Judi“ Olivia Dench vorstellen. Im reifen Alter von 79 spielt sie nun in Stephen Frears’ „Philomena“ die Irin Philomena Lee, die jahrelang mit dem Geheimnis leben musste, ein uneheliches Kind zur Welt gebracht zu haben, welches ihr letztlich gegen ihren Willen weggenommen wurde. Als sie jedoch ins höhere Alter kommt, beschließt sie ihr Schweigen zu brechen und bittet den Journalisten Martin Sixsmith bei der Suche nach ihrem Sohn zu helfen. Philomena ist eine hingebungsvolle, wenn auch naive Katholikin, die so sehr an ihrem Glauben festhält, dass sie geprägt von christlicher Nächstenliebe, Hoffnung und Selbstaufgabe, eher von ihrer eigenen Sündhaftigkeit, als von den bösen Absichten anderer Menschen überzeugt zu sein scheint. Die Art, wie Judi Dench Philomena Leben einhaucht, ist unglaublich berührend, dennoch bleibt sie in ihrer Darstellung jederzeit subtil, macht ihren Charakter gleichzeitig zu einem Sinnbild der menschlichen Zerbrechlichkeit und mentalen Stärke. Beeindruckend und unpathetisch.

Re­sü­mee

Ein aufstrebender Jungstar oder eine Schauspielerin aus einem Low-Budget oder Indie-Film fehlen gänzlich. Im Gegenteil: Es ist ein Aufeinandertreffen dermaßen etablierter Leinwandstars und kapriziöser Filmdiven, eine Gegenüberstellung, wie wir es nur selten in der Geschichte der Preisverleihung erleben durften. Ohnehin darf und kann es jedoch nur eine werden: Cate Blanchett!

Meinungen

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