Seelische Erschütterungen werden auf der Leinwand nicht entfacht, indem sie bloß betrachtet werden. Es gilt, Menschen um diese zu bauen und deren Erfahrungen zu veräußerlichen; ganz gleich, wie verletzlich sich der Zuschauer in seiner Haut fühlen wird. Dafür muss der Schock nicht als Explosion daher kommen. Im Gegenteil: Die Implosion erzeugt eine Sogkraft der Verzweiflung, zu der man still in der Hölle residiert. Mit welcher Brutalität dies Herzen brechen und dennoch mit einer zarten Menschlichkeit jenseits des Affekts inszeniert werden kann, beweist Tali Shalom-Ezer in ihrem Debütfilm „Princess“. Es ist ein Werk familiärer Tiefpunkte, aus der Dysfunktionalität der Verhältnisse – Resultat eines Zeitgeists, der für Gnade keine Luft und für Unschuld keine Zeit hat. Ein erzwungenes Coming of Age, das von innen und außen drückt, sowie eine Hypnose erwirkt, in der das Streben nach Frieden sein Ziel aus den Augen verliert. Die zwölfjährige Adar (Shira Haas) schwänzt also trotz ihrer hohen Intelligenz die Schule, wirkt wie festgebunden an ein Zuhause, das Verklärung, Verantwortung und Vernachlässigung stets gegeneinander ausspielt.
Die Mutter (Keren Mor) zeigt im Kinderkrankenhaus jene Zuneigung, die sie zu Hause mit Gleichgültigkeit ersetzt. Stattdessen lebt sie den Sex mit Michael (Ori Pfeffer), von dessen Präsenz Adar nicht verschont bleibt. Die Fehler aller werden im Haushalt ausschließlich ihr zur Last gelegt, als Ausgleich wird ihr aber zeitweise das Laissez-faire zuteil. Die komplexe Reflexion dieser Eindrücke erfolgt als Trance aus Abscheu und Spielfreude. So unvereinbar das klingt, so feinfühlig arbeitet Shalom-Ezer die Ambivalenz darin heraus. Zwischen Michael – der schließlich arbeitslos wird und die meiste Zeit zu Hause verbringt – und Adar entsteht aus jener Ungewissheit ein zweifelhaftes Bündnis. Sie wird zum Prinzen, er zum König, Künstler und Verfolger. Auf der Straße trifft Adar Alan, einen Jungen mit femininer Ausstrahlung, der ihr permanenter Gast wird. Der Umgang zwischen Beiden würde gerne mit leisen Sohlen zu Leben und Liebe einsteigen und mit kindlichem Geist Reife entwickeln. Die Linien zueinander verzerren sich allerdings, fallen durch Realität und Identität ins Leiden, das mit Duldsamkeit im Alltag verschwiegen wird und dennoch aus den Gesichtern heraussticht.
Die Gestaltung dessen biegt dafür kein dramaturgisches Kalkül zurecht, sondern verharrt in der wechselwirkenden Gefühlsverarbeitung, ohne seine konzeptionellen Mysterien auf ein Podest symbolischer Größe zu stellen. „Princess“ verläuft subtil und konkret zugleich, hat Vertrauen zum Zuschauer und macht ihn dennoch einem Schmerz bewusst, der unbequemer nicht sein könnte. Die Korrumpierung der Jugend wird kein Ventil filmischer Ausbeutung – doch der Würgegriff der Hilflosigkeit lässt sich dennoch nicht verleugnen. Im Endeffekt zeigt sich alles radikal, aber nicht zum Selbstzweck. Sentimentalität wird ausklammert wie die Sterilität eines sozialen Voyeurismus. Tali Shalom-Ezer hingegen findet eine Balance, in der Veräußerlichtes und Inneres Menschen ergeben, die feste Definitionen vermeiden und sich doch vollständig verinnerlichen lassen – selbst im psychischen und physischen Schockzustand. Das ergibt eine Urgewalt von Film, mit der in ihrer bewusst bescheidenen Aufmachung niemand rechnet und die gerade in ihrer Zärtlichkeit zerbrechlich macht.
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