Masaki Kobayashi führt uns in „Harakiri“ mit entschieden beengender Set-Optik in die Gefangenschaft der Tradition und die Hypokrisie der Ehre. Beide dampfen schon im Vorspann in den ungreifbaren Nebel der Unterdrückung, der wie aus einem Urgestein des Leids heraus über die Jahrhunderte dünstet. Das folgende dramaturgische Prozedere im Hause des Iyi-Klans veräußerlicht dann den Schmerz vom Schwert, für das die Ehrenträger leben, sterben und in ehrfürchtiger Askese das Menschliche verdrängen, welches sie zugunsten des Ansehens opfern. Ein wahrer Samurai hat sich so grundsätzlich mit eigener Klinge auszuweiden, selbst wenn er das Metal der Mittellosigkeit wegen gegen Bambus eintauschen musste. Innerhalb des verkopften Weltbildes bleibt den Machthabern kein Raum für die Gründe der Hilfesuchenden; jene inzwischen herrenlosen Ronin, welche im Frieden von der Politik der Ehre mit vorschriftsmäßiger Ignoranz entlohnt werden.

Regisseur Kobayashi schneidet jedoch einem Schwerthieb gleich Wahrheiten in seinen Film, an denen die Ziele der Würdenträger nicht teilhaben: das individuelle Leid des Zurückgelassenen und seiner Familie, die im filmischen Rahmen keine Minute zu wenig dahinsiechen. Aus diesen Umständen wird der Plan, Ehre wiederzuerlangen, allerdings aus menschlicher Emotion geboren. Daher verlagert Kobayashi die kathartischen Konfrontationen in offenes Feld; hinein in den Wind der Wälder sowie der weiten Steppen, an den Gräbern der Opfer vorbei, über denen sich der Strom der Wut und Rechtschaffenheit als dichte Wolke zusammenzieht. Selbst als Zeugnis der Vergangenheit zischt diese Macht in den Tempel der Mächtigkeit ein und drückt, soweit es geht, gegen den Nebel. Kein Mensch ist unantastbar, selbst wenn sich manch einer für größer als einen Menschen hält. Das entsprechende Statussymbol zu dieser Ideologie ist auch nur Schall und Rauch und kein Gegner für wahre Würde und Entschlossenheit, die sich mit kühnem Frust beweisen und schließlich ihr Ende für sich selbst entscheiden können.

Zur Einsicht ist die Gegenseite daraufhin aber noch lange nicht bereit und stagniert stattdessen in der illusorischen Größe, die man bemüht aufrecht zu erhalten versucht, indem die Niederlage vertuscht wird. Dabei gräbt sie sich jedoch immer tiefer in eine Enge fern aller Menschlichkeit – zwischen Mauern und Ikonen, verschlungen vom Nebel des Leids. Solch ein bitterer Abschluss hat es in sich, weil Kobayashi die Vergangenheit seiner Heimat hinterfragt und anhand fassungsloser Ruhe mitsamt eruptiver Spitzen einen Kreislauf des Schreckens offenbart, welcher in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft residiert. Nicht ohne Grund dürfte sein Protagonist, Ronin Hanshirō Tsugumo (Tatsuya Nakadai), einem ehemaligen Fürstentum in Hiroshima gedient haben. Die Zeit öffnet eben doch immer wieder von Neuem ihre Wunden. Entsprechend ist dieser Film im Vergleich zu Kobayashis „Kwaidan“ hierzulande zumindest als Bonus zur Neuverfilmung von Takashi Miike aus dem Jahre 2011 erschienen. Unbedingt zu empfehlen – dieses zeitlose Aufbegehren aus Schmerzen.

Meinungen

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