Eine einzige Utopie des Glücks: Urplötzlich fristet der immer liegen bleibende Blaubeerkuchen kein Randdasein mehr – er, der jeden Abend ungegessen noch auf seinem Teller lag, läuft seinen Konkurrenten aus Erdbeere und Schokolade nun den Rang ab. Eine junge Frau bestellt ihn, einfach seiner Einsamkeit wegen. Mit Eiscreme, damit die Süße der Frucht gegen den herben Wall der Vanille drängt. Schnell vermischen sich die beiden, als ob zwei Liebende sich auch endlich ihre Symphonie eingestehen. Manchmal produziert auch Film Bilder des Verständnisses zweier Substanzen, die besonders ihrer Unterschiedlichkeit wegen zusammenfinden. Manchmal braucht es ein bisschen Alkohol und ein Stück Blaubeerkuchen, diesen Weg zu beschreiten, den das Kino im Wechsel der Jahreszeiten zu finden versucht. Unter den leichten, sanft gespielten Tönen einer fahrigen New-Yorker-Nacht entdeckt die junge Schöne ihre Naivität, als sie dort auf dem Hocker einer Bar schläft, ihren Kopf mit der wilden Lockenmähne auf den Bartresen gedrückt. Ein paar Reste Sahne belegen ihre Lippen noch. Bis der Barmann sich leicht neigt, sanft über sie rückt und sie einfach wegküsst: die Sahne, aber auch die Unschuld.

Über diese erstaunlich leichte Szenerie legen sich Zeitraffer und immer wildere Aufnahmen des glitzernden Farbenmärs um die Metropole New York. Es grenzt an die Romantik von längst Vergangenem, dass die Frau nicht erwacht und auch sonst nichts weiter von diesem ungezwungenen Intermezzo in Erinnerung behalten wird. Es ist ein Wong Kar-wai der Fabel, die er schon immer schrieb. Ein Lied auf grenzenlose Verschwörungen und unverbindliche Bilder, die in ihrer Melancholie und Eintracht eines anderen Universums angehören als jenem namens Hollywood. Sein erster amerikanischer Spielfilm spielt mit den Metaphern früherer Werke, wie die ungeheuere Konzentration derer in „In the Mood for Love“ einen Sog erzielt und im Folgewerk „2046“ abperlen lässt. „My Blueberry Nights“ blickt stattdessen einer Erleuchtung nach, dem Sinnen süßen Blaubeerkuchens, und kann doch seiner Ruhe nur nachlaufen. Es gleicht einem Versagen der Kunst, gerade Wong beim Scheitern seiner Charaktere beizuwohnen, wie sie doch noch immer straucheln und dem Leben ihren Schmerz beipflichten.

Denn Wong Kar-wais Motiv über zwei Liebende, die einander erst nach einem Jahr finden, verbleibt im Hintergrund eine Farce. „My Blueberry Nights“ trägt umsonst sein Genre des Road Movies wie ein amerikanisches Gelehrtenstück um den Hals. Zwischen dem Jazz des häufig angestimmten „The Greatest“ von Cat Power pendelt der Film dahin in suggestiver Natur und Fahrlässigkeit, dem Zuschauer irgendwo ein überlanges Machwerk zu überlassen. Es geht von New York nach Memphis und Las Vegas zurück nach New York. Es geht eigentlich ins Nichts. Wie überkandiert, zuckersüß malträtiert wirkt Wongs Geschehen. Drei Stationen erblühen mit einer Ansammlung müder Protagonisten, die hier und da das Herz der Hauptdarstellerin gewinnen müssen. Sie müssen dies wortwörtlich, obwohl Norah Jones’ Elizabeth selbst nervös ihrem Abtrieb entgegen läuft, mit jeder redlich dummen Aktion, auf die eine dumme Reaktion folgt. Die Handlung und ihr Gelingen sehen vor, Elizabeth und ihren sensiblen Kneipier Jeremy über Umwege zusammen zu führen. Doch wo der Film beginnt und endet – im New York der Düsternis und ruckenden Erwartung eines Systems – funktioniert Wongs Hingabe ganz hervorragend.

Once I wanted to be the greatest
No wind or waterfall could stall me
And then came the rush of the flood
The stars at night turned deep to dust.

Cat Power: „The Greatest“ (aus dem gleichnamigen Album)

Dort überreizen die Minuten absoluter Schönheit das Auge des Betrachters und fordern Folk und Jazz ein, in dieser wundersamen Luftigkeit, die ihr rigoroses Auge um ein Nichts von Geschichte spannt. Man kennt das Gefühl: Da himmelt man ein Märchen an, vom Prinzen und der hilfsbedürftigen Prinzessin, fühlt sich berührt und lächelt seltsam beschwipst vor der Macht der Gefühle. So gewinnt Wong Kar-wais Romanze einen Hauch seiner Natürlichkeit zurück, die ihm fern von Norah Jones’ entrücktem Rehkitzblick verloren ging. „My Blueberry Nights“ schwebt dahin in seiner gehörigen Banalität, wie Jeremys Bar irgendwann ein Depot verlorener Herzen wurde, wo Schlüssel ihr Dasein in einem Goldfischglas fristen, bis ihre Besitzer kommen und sie wieder an sich nehmen – auch, obwohl sie wissen: Vielleicht wird es niemals sein. Am Ende blüht schließlich ein Déjà-vu: Elizabeth, sanft von ihrem stählernem Retter in Besitz genommen. Aber selbst dort fand man sich schon zuvor. Ein Irrgarten verspielter Gefühlswelten.

Meinungen

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