Das (post-)moderne DavidCronenberg-Kino – abgelehnt, strikt missbilligt. Sterilisiert, konzentriert überkünstelt, sexuell höchstens mit Kondom. Keine Fanboy-Attribute sind das, sondern Gewöhnungssache. Lang lebe das Fleisch? Mitnichten. Ab 2002, Cronenberg drehte in diesem Jahr „Spider“, ist der Kanadier, humanistischer Wissenschaftler und kühner Dermatologe, selbst zum Opfer seiner biotechnischen Gedankenkonzepte geworden, einer Wandlung, Verwandlung und einer Fusion beizuwohnen, die das Perverse, Extreme und Geile in den Untergrund der Gedanken verschiebt, aufgespaltet in einer unwirklichen Bequemlichkeit. Cronenbergs entarteter Ekelhorror und die damit einhergehende Abgründigkeit, existenzielle Stufen des Seins zu erkunden, wird zunehmend theoretisiert und akademisiert. „Spider“, „A History of Violence“, „Eine dunkle Begierde“ und „Cosmopolis“ frönen vornehmlich einem Ergebnis, das aus dem Ursprung entdeckt – nicht in den Konsequenzen stochert. Wie kaum ein anderer versteht es Cronenberg hierbei, seine Fans zu bedienen, indem er sie ins Leere laufen lässt: Wenn die Dinge des Zeitgeistes, welcher Quelle auch immer, das Fleischliche des Körpers verlassen, um sich im Geistigen des Intellekts zu manifestieren, erreicht der Autorenfilmer eine ungeahnte und ungewohnte Sphäre reflexiver Ausdruckskraft, die keine Effekthascherei mehr vorantragen muss. „Maps to the Stars“ ergänzt dies, schlüssig, bissig, sündhaft unheimlich, voll an nackter Angst, falscher Utopie und gespenstischen Untersuchungsobjekten.

Und wo, wenn nicht im Himmel erlöschender Sterne und am Tropf hängender, abgenabelter Stars, wo, wenn nicht in Hollywood, wären diese schubkarrenweise wegzutransportieren? Billy Wilders „Boulevard der Dämmerung“ (1950) und David Lynchs „Mulholland Drive“ (2001) bündeln sich in dieser demontierenden Satire jenes Olymps, der über die Zombies der Namen gebietet, die, fortwährend zerfallen, von einem entschwundenen Ruhm künden; die Furcht überschminkt, die Transformation unausweichlich, die Auflösung unaufhaltsam. Cronenberg vertieft eine verdorbene, glitzerlose, isolierte Filmstadt, in deren befremdlichem Bilderwahn, eisiger Starre und nihilistischem Sadomasochismus (abermalig) die Gefahr der Technologie lauert, von ihr unterjocht, gequält, von ihr mit einem prestigelosen Dankbarkeitspreis geehrt zu werden, an dem, je zersetzender die Stars ihr aufgeschichtetes Image an den unmittelbaren Konkurrenten verhökern, Blut an den Rändern festklebt. Ein Signal auf sein schroffes Frühwerk liefert Cronenberg dabei ironisch: Seine Akteure haben prophetische Visionen und sprechen mit Toten, die nicht ruhen können. Trash? Mystery? Und was bedeutet dieser eine ungemein groteske Verbrennungstod, dessen CGI-Flammen jedem halbwegs vernünftigen Photoshop-Bastler Magenschmerzen bereiten? Ein schlechter Scherz? Vielleicht. „Maps to the Stars“ ist alles andere als durchgängig defätistisch. Dafür neutralisieren heitere Gastauftritte (Carrie Fisher) und frotzelnde Gasterwähnungen (Bernardo Bertolucci, Anne Hathaway) den Ernst der Lage allemal.

Des Films verquerer, kühler Humorwiderhall basiert auf den Brüchen und Querrissen, mit denen der Film die Starlets und Ehrenmänner entblößt. Cronenberg demaskiert in statischen Schuss-Gegenschuss-Dialogübersättigungen, bei denen sich kaum mehr ein Gefühl von dekorativer Räumlichkeit einstellen will, bühnenstarke Schauspieler, alte wie neue, Absteiger wie Aufsteiger, die in diesem meta-geschwängerten Film ihren intimen Film tragen – mit begehrenswerter Unsittlichkeit und einer tief in sich verwurzelten, verunstalteten Geschmacklosigkeit. Primär ist „Maps to the Stars“ eine exzentrische Familieninnenansicht, zu der eine ausrangierte Diva zählt, die ihre eigene Mutter spielen will (schäbig der Schäbigkeit willen: wie üblich Julianne Moore), ihr Therapeut, ein harmoniegewaltiger bis gewaltbereiter Guru (John Cusack), seine unerwünschte Tochter (Mia Wasikowska), lange vaginalförmige Brandnarben (vgl. „Crash“), sein alles geliebter Sohn (Evan Bird), Kinderstar und -scheusal, seine unerbittlich regierende Ehefrau (Olivia Williams, frisch aus „Dollhouse“ importiert) und ein niedlicher Chauffeur (Robert Pattinson) als zwischenzeitige Sexualbefriedigung. „Kaputt“ ist kein Ausdruck für diese Verkettungen an neuropathischen Radikalen, deren Instabilität, Neid, Missgunst, Zorn, innerhalb eines impulsiven Geschäfts Cronenberg latent verhandelt und, konträr zu jenen starren Bildkompositionen, anarchisch dekodiert. Für Cronenberg selber bleibt Filmemachen ein organischer Fortgang – „Maps to the Stars“ ist zwar sein unmenschlichster, gleichfalls aber einer seiner von vielen Cronenberg-Schlagzeilen befreitester Film (im Film).

Meinungen

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