„Was ist Filmemachen anderes, als im Dunkeln zu fummeln?“, fragte der amerikanische Regisseur Alexander Payne einmal. Nicht nur deswegen widmete das Filmfest München ihm heuer eine Retrospektive. Und wir nun ebenso.
Die erste Einstellung schreit Alexander Payne, bevor sie sich nach Farbe sehnt. Ein Klopfen an die Tür, Jazz wie bei Woody Allen, nur Jahrzehnte später, Paul Giamatti auf dem Klo, in der Dusche, mit Zahnseide, in der Bäckerei. „Sideways“, Wein, Golf, Midlife-Crisis, ein rotes Saab 900 Cabrio. Wenn dieser Film ein anderer wäre, er könnte David Cronenbergs „Crash“ sein. Aber der Vorspann läuft noch und eine Geschichte ist bereits erzählt, bevor wir nur im Ansatz begreifen, um welche Geschichte es sich handelt. Giamatti, dicklich, weich, in Shorts und ausgeleiertem Shirt, er sagt genug – und spielt: Miles Raymond, einen Englischlehrer, dessen Roman einen Herausgeber gefunden hat und doch nicht; der nicht fiktional sein soll und doch ist. Der Anfang ist erst „Election“, dann Sekunden später „About Schmidt“, bis er sich zu „The Passion of Martin“ wendet und kurz „Citizen Ruth“ ausspuckt. Alexander Payne entsaftet sich mit „Sideways“ selbst, das ist die große Erkenntnis und die große Freude dieses Films, der über seine Lakonik stolpert wie Miles über einen Tropfen Merlot. Vermutlich hasst er die französische Rotweinsorte besonders, weil sie erstens populär ist – und zweitens früh genussreif. Miles ist keines von beiden. Deswegen ist sein Blick auch manchmal so leer wie die Weinflaschen, die er im Akkord leert.
Eine einzige Frage ist für ihn relevant: Pinot oder Cabernet? Die Antwort ist ohne Zweifel, seine Amour fou mit ersterem Spätburgunder perfekt. Aber eigentlich doziert Miles auf dem einwöchigen Junggesellenabschied mit Jack (Thomas Haden Church), der in wenigen Tagen heiraten wird, über sich selbst, wenn er von der „empfindlichen Traube“ des Pinot schwärmt, ihren Überlebensinstinkt betont und „vollen Geschmack“ lobt. Jene Philosophie des Connaisseurs, der im Suff das Leben entdeckt, sein Wissen aber nur im Wein anwenden kann, zwingt Payne und Koautor Jim Taylor zu lächeln, ohne Miles, dem Snob, und Jack, dem Womanizer, zu nahe treten zu wollen. Beide dürfen ihre unvollkommenen Bäuche um die Ecken Santa Barbaras schieben, beide dürfen Fehler machen, sogar nicht wenige, beide enden, wo sie begonnen haben und fühlen sich dennoch auf marginale Weise geläutert. Das ist groß, weil es klein ist; wichtig, weil es unbedeutend ist. Miles und Jack sind nur zwei Existenzen, die nichts auszeichnet. Sie sind normal – und ihre Normalität zeichnet Payne aus. „Sideways“ endet demnach, wie er beginnt: mit einem Klopfen. Und auch in diesem erneuten Klopfen ruht eine Geschichte; nun aber eine, die keiner Erzählung mehr bedarf, weil sie bereits erzählt wurde.
Wenn die Kunst Alexander Paynes auf ein simples Stilmittel reduziert würde, dann auf die Wiederholung, die aus dem Ton tritt, der noch nicht Bild ist. In seinem fünften Spielfilm reduziert der Leibeigene der tragikkomischen Spritztouren es sogar genug, dass es während der Reise jener Mittvierziger, die zum Lieben durchschnittlich sind, unsichtbar wird. Und uns die Figuren genau deswegen am nächsten kommen. Endlich tanzt Payne nicht mehr in seiner Heimat, in Omaha, Nebraska, sondern anderswo, in Kalifornien, im Santa Ynez Valley. Dort strahlt das Licht, hängen dicke Trauben in den Weinbergen, ist das Glas voll, sind die Augen in Scham, Depression, Einsamkeit geweitet. Im Wein ist Wahrheit und in der Wahrheit ist Wein, sagt uns „Sideways“ mit den qualvollen Blicken des großartigen Paul Giamatti, der ein trauriges Ekel ist, obwohl er lediglich traurig, gewiss aber kein Ekel ist. Am Ende klopft es nicht nochmals an Miles’ Tür, sondern Miles klopft an eine Tür. Aus Resignation, Elend und Passivität wurde ein Neuanfang, dem er ein Buch widmen könnte. Vermutlich wäre es lang – doch es würde beschwipsen. Wie Alexander Paynes Film.
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