„Was ist Filmemachen anderes, als im Dunkeln zu fummeln?“, fragte der amerikanische Regisseur Alexander Payne einmal. Nicht nur deswegen widmete das Filmfest München ihm heuer eine Retrospektive. Und wir nun ebenso.
Wieder Omaha, wieder Tristesse, wieder Bilder, in denen spießige Statuten um die Ecken linsen. Alexander Payne liebt seine Heimat. Und weil er sie liebt, spielen seine Filme dort, wo er erwachsen wurde. Warren Schmidt (Jack Nicholson) dagegen liebt weder Omaha noch die Tristesse – nicht einmal seine Gattin Helen (June Squibb) liebt er besonders; nicht nach zweiundvierzig Jahren Ehe. Und die Aufgabe seine Lebens, die Arbeit? Auch die ist passé. Warren, sechsundsechzig, ehemaliger Aktuar bei Woodmen of the World, wankt nun als Pensionär über die Steinstraßen Nebraskas. Doch dann tritt Ndugu in sein Leben; der sechsjährige Ndugu aus Tansania, dem Warren zweiundzwanzig Dollar im Monat spendet – und einige Briefe. Oh, seine Rettung, sein Komplize, sein unsichtbarer Dritter! Dass Ndugu weder lesen noch schreiben kann, weiß Warren nicht – es wäre ihm vermutlich auch egal. Und was sich dieser Junge nicht alles anhören muss: Wie dreist, unfähig, respektlos Warrens Nachfolger bei Woodmen of the World ist; dass Helen stinkt, ihr Fleisch wabert, sie ihren Mann zwingt, im Sitzen zu urinieren; deren Tochter Jeannie einen dümmlichen, rückständigen Wasserbettenverkäufer mit Vokuhila, Pferdeschwanz und Hufeisenbart ehelichen möchte. „About Schmidt“ nimmt sich seinen Titel auf gleichsam kathartische wie symbolische Weise zu Herzen, das ist bereits nach einem einzigen Brief an den armen Ndugu klar.
Die Adaption des gleichnamigen Romans von Louis Begley, der lediglich als eigentümliche Referenz dient, fördert statt der Komödie allerdings einen anderen Boxer zutage: nämlich die Tragödie. Das Omaha, welches Payne als familiären, stinkenden Sumpf fokussiert, die Willkür, mit der Warren seine Wut gegenüber seinen Mitmenschen versteckt, das Gräuel namens Leben, vor dem sich jeder fürchtet – „About Schmidt“ wagt aus den Augen seines Protagonisten jene Thematiken zu koppeln, ohne Jack Nicholsons feingliederiges Porträt mit kinematografischen Mitteln überhöhen zu wollen. Daraus entsteht ein unartiger Sack; immer am Wanken, immer am Beben, immer Dreck und Milben vom Boden klaubend. Eigentlich ist dieser Film ein Staubsauger, der seiner Umgebung alles entzieht, was noch am Leben ist oder am Leben sein könnte. So folgt auf Warrens frisches Rentendasein der überraschende Tod seiner Frau (beim Staubsaugen!), die er im billigsten Sarg unter die Erde hievt. Alexander Payne meint es vielleicht nicht böse – Warren aber sehr wohl. Und sein Kaleidoskop des charmelosen Selbstbetrugs wächst von Minute zu Minute, als er mit dem Wohnmobil (ein Winnebago Adventurer, zum Erbrechen kolossal) durch die Vereinigten Staaten tourt, um einige Stätten seiner Vergangenheit abzuklappern, bevor es zur Hochzeit seiner Tochter geht.
Die Geschichte ist demzufolge klein; viele Nummern kleiner, als Jack Nicholsons Repertoire gewöhnlich zulässt. Hier aber schlägt er keine Tür mit der Axt ein, bleckt sich nicht die Zähne, trompetet keine rassistischen, sadistischen, ironischen Wortschwalle, führt keinen Köter an der Leine, heult keinen Mond an, brüllt nicht, zetert nicht. Stattdessen: ein fülliger, untersetzter, Pullunder tragender Dämon, der sein Haar seitlich über die Glatze kämmt. Oder auch: Jim McAllister – Ottonormallehrer, Konsensidealist, Schmalspurpragmatiker aus „Election“ – ist alt geworden. Aber dieser Zorn, die Wut, der Hass! Wenn eines die Filme Alexander Paynes eint, dann die Explosion, die entsteht, wenn die Welt meint, sich weiterzudrehen, aber alles stillsteht. Jack Nicholson versteht sie, die Explosion. Aber in „About Schmidt“ explodiert er nicht – er implodiert. Und es ist tragisch, weil es nah an einem Menschen ist, der sein Leben in präskriptiven Etikettierungen lebte; nach Maß und Norm, Rute und Prügel. Warren Schmidt bricht schließlich nach Westen auf, entdeckt neu, was er nie entdecken konnte: dass sein tumber, müder, schwerer Körper mit dem letzten Fetzen Seele noch für einen Menschen nutze ist. Armer Ndugu, das hast du nun davon.
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