Zwischen Wissen und Wissenschaft porträtiert David Cronenberg den Albtraum aus Fleisch und Blut mit Gift und Galle. Zeit, ihm in einer Retrospektive zu huldigen! Des Parasiten elfter Schlag mit „Crash“.
Die Möse ist das letzte Refugium des Menschen. In „Crash“ ist sie sogar das letzte Refugium überhaupt. Denn alles bricht bei David Cronenberg, und alles kotzt Blut und Metall. Nur die Möse, sie überlebt, und fährt aus Fleischwülsten wie ein autarker Organismus. Und neben ihr? Existiert einzig das Automobil. Als Mysterium, dem nicht am Leben liegt, sondern am Tod. Vor allem aber liegt ihm an der Reinszenierung berühmter Unfälle. An James Dean, Jayne Mansfield; einem Porsche 550 Spyder, Buick Electra 255. Jene Reinszenierung ist jedoch wie alles in diesem Film ein Akt, in dem eine Maschine den Menschen erst neu gebären muss, damit dieser leben kann. Deswegen folgt aus der Geburt auch ein Wesen, welches sich instrumentalisiert, um zu gefallen. Die Geburt ist ein Unfall, das ist die einzige Gewissheit in Cronenbergs biestigem Tornado über Sex, Drugs and Exploitation. Nicht einmal der Anfang ist harmlos: Deborah Kara Unger, lasziv rekelnd, presst eine Brust, nackt, auf das kalte Metall eines Leichtflugzeugs. Darunter ein E-Gitarren-Thema, manisch, klagend. Howard Shore setzt es ein, die Trance beginnt. Alles, was folgt, bewegt sich nicht und bewegt sich doch.
Das ist die Krux an „Crash“: Wir sehen, was passiert, sehen aber eigentlich nicht. Was passiert? Sex. Zwischen Mann und Frau, Frau und Frau, Mann und Mann. Auf Leder, Holz, Glas; auf der Erde, im Parkhaus, neben der Autobahn. Hier treibt es jeder mit jedem, überall. Das ist der Clou an „Crash“: Der Verkehr ist allgegenwärtig. Keiner kommt an ihm vorbei, und keiner will an ihm vorbei kommen. Doch darin liegt das Problem. Denn zunächst kann keiner kommen. Nicht Deborah Kara Unger, nicht James Spader. Nicht Catherine Ballard, nicht James Ballard. Nicht die Frau, nicht der Mann. Eine Ehe gibt es, und gibt es nicht. Auch der Mensch ist nicht mehr, obwohl er ist. Noch eine Krux, „Crash“ ist voll von ihnen. David Cronenberg zeigt, wie James Ballard Befriedigung findet, indem er nach einem Unfall jenen Unfall als erotischen Stunt Revue passieren lässt. Nicht Sex ist die Droge, sondern die Vorstellung, Sex zu haben, und Sex haben zu können. Dabei handelt dieser Film nicht einmal von Sex, zumindest nicht im offensichtlichen Sinne; zumindest nicht, wie wir ihn zu sehen gewohnt sind. Nicht bei Cronenberg. Ganz wie bei Cronenberg.
Vermutlich fühlen wir uns als Peeping Tom, da wir meinen, die ungewöhnliche (doch kohärente) Anziehung zwischen Fleisch und Metall als bizarr zu begreifen. „Crash“ zeigt das Gegenteil – und präsentiert das Tortenstück Pornografie als Requisit, das auf einfachstem Wege reizt und irritiert. Denn ihm obliegt es, den Zuschauer mit Radikalität und Perversion zu geißeln; ihm vorzuführen, wie Science-Fiction aussieht, wenn sie mit fleischlicher Lust verschmilzt; ihm einzureden, dass der antiseptische, kalte Look ins Blut übergeht, und in die Lenden. „Crash“ ist kontrolliert, aber traut sich, statt im Dialog allein im Verkehr zu psychologisieren. Worte sind hinfällig, unflexibel, tragen Scham, schleppen sich dahin. Ein wenig fordert Cronenberg eine filmische Vasektomie, die nicht gelingen kann, weil sie nicht gelingen will. Vielleicht beim nächsten Mal. Es ist ein Motto dieses Films; für James Ballard, für Catherine Ballard. Für Vaughan, der die Reinszenierung einleitet und aufgrund seines Gefährts eine Reinszenierung ist: Denn er fährt einen Lincoln Continental. Dasselbe Automobil, in dem John F. Kennedy einst erschossen wurde.
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