Im Laufe der Menschheitsgeschichte glaubten immer wieder manche, von oben herab einen Überblick auf die Menschheit haben zu können, sie auf einer Stelle zu ballen, Individuen in eine behauptete Sicherheit ihres Eigenheims zu zwängen und zu erwarten, dass alles wie berechnet läuft. Wie weit lassen sich Einzelschicksale aber treiben, wenn man diesen weder Grund noch Möglichkeit lässt, das Haus zu verlassen? Ben Wheatleys Verfilmung von J.G. Ballards „High-Rise“ probt die Ausmaße dieser Fragestellung in einem Appartementkomplex im futuristischen Seventies-Wolkenkratzerformat, der äußerst üppig mit dem allgemeinen Spektrum sozialer Bedürfnisse, Freizeitbeschäftigungen und Ressourcen eingerichtet ist, um eine in sich geschlossene Gesellschaft zu präservieren. Die Perversion des Komplexes folgt der Beibehaltung von Establishment und Arbeiterklasse, selbstverständlich mit geringen Aufstiegschancen, und ist demnach auf Konfrontation aus.
Das hier wirkende Spiegelbild des universellen menschlichen Zustands wurde in medialer Form seit Erscheinen der Vorlage bereits gut ausgereizt. Selbst David Cronenberg, der Ballards „Crash“ anzettelte und „High-Rise“ ebenso zu inszenieren gedachte, nahm mit „Shivers“ reichlich vorweg, was Wheatley nun mit einer gewissen Didaktik ausführen muss. Der Aufbau zur Eskalation erweist sich allerdings noch als reizvolles Unterfangen, wenn Protagonist Layne (Tom Hiddleston) als neuer Bewohner Menschen und Strukturen in den Etagen kennenlernt und sich auf der Suche nach Selbstverwirklichung zwischen die Zweigstellen einer möglichen Zukunft begibt. Seine Unschuld macht ihn beinahe auf Anhieb attraktiv, sowohl für die Frauenwelt als auch für Kontrahenten und die Obrigkeit – unter anderem repräsentiert durch Royal (Jeremy Irons), der die Anlage mit guten Absichten erschuf, dem Hedonismus kapitalistischer Strukturen aber allzu gefällig den Weg geebnet hat, da sein allgemeiner Frust erst recht die Kausalkette des Zynismus ankurbelt.
Die Tendenzen arten noch nicht in Gewalt aus, doch das Potenzial ist durchweg im Ensemble verankert; sogar in der Herzlichkeit der unteren Klassen, die als Sprösslinge unter dem Schirm des einen Vaters die Liebe untereinander (sprich jeder mit jedem) genießen, die den Bessergestellten entglitten zu sein scheint. Missgunst macht sich breit und verschärft sich selbst in trivialen Treffpunkten wie Kindergeburtstagen und Supermarktbesuchen, bis die Herausforderung, wer die besseren Partys schmeißt, das Übel aller weckt. Die Blindheit vor dem Wesentlichen schafft umso energischer die Abgrenzung von Idealen und Empathie. Layne ist daran nicht unbeteiligt, da er passiv zwischen den Parteien pendelt und mit der Arroganz des Höheren umzugehen glaubt. Jene trägt in ihrer abweisenden Haltung ebenso einen Löwenanteil zum Zerfall bei, wenn selbst die Beschaffenheit des kollektiven Wohnens mit all ihren Fehlern hingenommen wird. Solche Sachverhalte fängt Wheatley effektiv in audiovisuellen Collagen ein, die manchmal die übergreifende Bewandtnis des Ganzen und deren Abläufe abstrahieren und mit schwarzem Humor voll verziertem Horror auftrumpfen.
Der Style des nahenden Untergangs muss sich manchmal aber mit allzu eindeutigen Phrasen arrangieren, die den Inhalt der zwischenmenschlichen Beziehungen und anderer Subtexte in selbsterfüllender Prophezeiung zusammenfassen. Sie sind aber nur Vorschau für die Phase der Anarchie, die in der zweiten Hälfte des Films dargestellt wird, die Stränge des Sozialen sprengt und jedermann ins selbstzerstörerische Delirium treibt, inhaltlich jedoch auf der Stelle tritt. Wenig hilfreich ist dabei die stetige Verschiebung der Perspektiven auf Charaktere, deren Intrigen zwar die verkommene Haltung des Einzelnen veräußerlichen, aber nur schleppend oder gar keinen Beitrag zum Gesamtbild erzeugen. Die Charakterstudie der Ziellosigkeit unterstreicht natürlich die Kritik an etablierten, doch unverdienten Oberflächen im Menschenschlag. Ab einem gewissen Punkt entsteht jedoch eine Redundanz, anhand derer Wheatleys glatte Bilderwelten nur noch wenig variabel wirken.
Der Effekt nutzt sich ab und hangelt sich immer mehr in ein absehbares Finale hinein, dessen Figuren kontinuierlich unnahbarer werden, obgleich die Fassung des Individuums in der Gesellschaft hier auf dem Prüfstand steht. Aus der Verzerrung und Auflösung dieser bildet sich aber wenigstens eine neue Richtung, brutaler und wilder im potenziellen Wahnsinn eines Jedermann aufgehend, als es die Anpassung durch vorangegangene Regimes und Ideologien erlauben oder gar zugeben wollte. In der Theorie ein fesselnder Stoff, in der Praxis jedoch am Punkt vorbeischlendernd. Ben Wheatleys Betrachtung des menschlichen Wahns, die er schon mit „Sightseers“ und „A Field in England“ ansetzte, schafft auch hier zwar die Stärke vom (im filmtauglichen Sinne) kohärenten Aufbau in soziologische Tiefen. Den Schluss dessen holt er jedoch vorzeitig ab, weshalb das Sinnbild der zerplatzten Seifenblase eine Anbiederung an den kleinsten gemeinsamen Nenner im Publikum darstellen könnte. Die Stärke der Vorlage erzeugt aber dennoch genügend Spaß und Schock für die Sozialsatire im Zwang architektonischer wie psychologischer Dimensionen.
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