Dieser Titel. Dieser unerhörte, exorbitante, bleierne Titel. Was denkt sich ein Regisseur dabei? Warum meint er uns zu piesacken, bevor auch nur die ersten Bilder Farbe speien? „The Sky Trembles and the Earth Is Afraid and the Two Eyes Are Not Brothers“ nennt Ben Rivers seinen dritten Spiel-, Experimental- oder Dokumentarfilm, bei dem abermals nicht klar ist, was er ist – und was nicht. Vielleicht ist er alles, vielleicht nichts, vielleicht alles und nichts. Entsprechend wirr mutet jene freie Adaption von Paul Bowles’ Kurzgeschichte „A Distant Episode“ an. Wahr ist jedoch auch: Wenn Rivers’ Film tatsächlich mit einem Wort zu fassen wäre, dann wäre letztlich etwas schief gelaufen. Hier aber vergisst der Londoner, dass Kunst im kinematischen Sinne mehr als ein Ausstellungsobjekt für malträtierte Feuilletonisten sein sollte; ein Zuschauer erst atmen muss, um sich infolge zu ertränken.

Daher wäre es richtiger zu sagen: Ben Rivers’ hybride Fiktion funktioniert als Film, der nur auf Film funktioniert. Es ist nicht Slow Food, sondern Slow Cinema; und davon genug, dass hundert Minuten wirken, als brenne langsam, unerhört langsam, ein Lagerfeuer ab. Tatsächlich sah die Wüste Marokkos nie beeindruckender, der Streifzug über den Atlas nie stacheliger, das Märchen der Sahara nie sehnsüchtiger aus als bei Rivers, dem dieser Film – in Regie, Kamera, Drehbuch und Schnitt – vollends gehört. Sobald allerdings eine Geschichte beginnt, die mehr als ein demonstrativer Hohlkörper sein möchte, pausiert die Schönheit und beißt sich eigens in den wunden Hals. Es geht um einen Regisseur (Oliver Laxe), der in eben diesem idyllischen Plateau einen Film mit Laien dreht. Und es geht um einen Regisseur, der, nunmehr unfähig zu sprechen, ein erdiges Kleid aus Konservendosendeckeln trägt und sich im Tanz beweisen soll. Beide eint der Gang ins Nichts – und beide trennt der Gang hinaus.

Wo nun liegt das Experiment: im blanken Formalismus und Bruch mit Konventionen, die nicht gelten müssen, aber hier besser galten? Ben Rivers wagt keine Flucht nach vorn, tastet nicht nach rechts, nicht nach links. Stattdessen bemüht sich sein Film, Kalkül um Kalkül nicht zu erfüllen, was in seinem Debüt „Two Years at Sea“ noch vorzüglich, wohl aber ähnlich problematisch, funktionierte. „The Sky Trembles and the Earth Is Afraid and the Two Eyes Are Not Brothers“ hingegen distanziert sich vom Zuschauer, indem er seine Welt als nicht erzählbar definiert und leere Phrasen (oder vielmehr avantgardistische Mystifizierungen) ästhetisiert. Ja, dieser Titel. Dieser unerhört schöne Titel. Wieso macht es ihm der Film nicht gleich? Und weshalb lohnt es sich, hundert Minuten auszuharren – für eine statische wie dynamische Schlusseinstellung, die vor opaker Romantik staunen lässt?

Meinungen

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