Viel vom modernen Hip-Hop findet seinen Ursprung im Reality-Rap der Gruppe N.W.A., jener Kombo aus Compton in Los Angeles, der Ice Cube, Dr. Dre, Eazy-E, MC Ren und DJ Yella angehörten. Da ist es nur recht, dass deren beispiellose Erfolgsgeschichte um die späten achtziger und frühen neunziger Jahre nun verfilmt wurde. Und ein Denkmal voller Dramen, Orgien und peitschenden Beats setzt. In „Straight Outta Compton“, benannt nach dem Debütalbum der „Niggaz wit Attitudes“, zeichnet Regisseur F. Gary Gray ein umfangreiches Porträt der Einheit und ihrer Entstehungszeit. In bewährter Biopic-Form wählt er Eazy-E (Jason Mitchell), Dr. Dre (Corey Hawkins) und Ice Cube (O’Shea Jackson Jr., Sohn des echten Ice Cube) als Protagonisten, die aus dem Ghetto an die Spitze kommen. Doch weil es um N.W.A. geht, sieht der Weg dorthin alles andere als sauber aus. Drogendeals und Knarren, räudige Clubs und Gossensprache sowie unverhältnismäßige weiße Polizeigewalt zeichnen den Zeitgeist dieser Boyz n the hood und bilden als Dreieinigkeit die Genesis ihrer Musik.

Diese rotzt mit einer dem Punk ähnlichen Ehrlichkeit Geschichten des Zeitgeschehens hinaus, feiert Angeberei und Macho-Shit, berichtet aber zeitgleich auch von Unrecht und Unzufriedenheit im schwarzen Amerika. Gray unterstützt dieses Gefühl mit einer entsprechend intensiven Visualisierung und macht vor allem Druck gegen die Polizei. Aber es geht nicht nur darum. „Straight Outta Compton“ stattet zweieinhalb Stunden nämlich auch mit mehreren individuellen Entwicklungen und Auswüchsen aus, die nicht das Niveau hochstapeln, aber einen ziemlich authentischen Mechanismus verfolgen, wenn das Straßenleben auf die Musikindustrie trifft. Alles geht dabei durch die Hände des Managers Jerry Heller (Paul Giamatti): Unterstützung, Organisation, finanzielle Zurückhaltung, die Förderung der Antipathie innerhalb der Gruppe. Der weiße Mann bleibt aber nur kurz Herr von allem. Hauptsächlich machen die Jungs erst Dampf und schenken sich auch untereinander nichts, bis die spießige Medienwelt und das Gesellschaftsbild um sie herum richtig aufgerüttelt wird.

Beruflich und privat geht also eine Menge drunter und drüber, mit Sex und Gewalt um Freundschaft und künstlerische Integrität hadernd, während nebenbei historische Ereignisse ihren Schatten werfen. Um Kurzweil ist der Film nicht verlegen – höchstens um ein filmisches Grundthema, das über allem steht und mehr ausdrückt als die bloße, reizvolle Geschichte an sich. Das macht aber nicht viel aus, wenn eben diese Geschichte eine Spannweite aufweist, die in ihrer reichhaltigen Sammlung an Gruppenarbeiten und Solo-Projekten, Liebschaften und Konfrontationen, Gangster-Gesten und Luxus-Schweinereien alleine durch Geradlinigkeit glänzen kann. Und wenn das nicht reicht, holt einen der Soundtrack der Zeit mit Bass und zackigen Reimen in schöner Regelmäßigkeit ab – ganz zu schweigen von groß angelegten Konzerten und Partys. Deshalb macht es wenig Sinn, sie an dieser Stelle nachzuerzählen. Vielmehr lässt sich die Energie empfehlen, mit der diese Figuren der Musikgeschichte zum Leben erweckt werden.

Dabei wird trotz der eventuellen Selbstdarstellung (die überlebenden Mitglieder waren in der Produktion involviert) nicht auf Unbequemes, Frauenfeindliches, Gewalttätiges oder Naives verzichtet. Pathos und Melodram darf man an verschiedenen Stellen allerdings schon erwarten, wie es eben auch zur Stilistik des Rap-Genres dazugehört. Regisseur Gray nimmt dafür vielleicht eine allzu bereitwillige Stellung ein, doch sein Film zieht weniger ideologische oder moralische Schlüsse, lässt auch mal eine Menge vergnüglichen Blaxploitation-Charakter frei und macht ohnehin Lust auf N.W.A., da er seinem Sujet in passender Ästhetik und Mentalität gerecht wird. Ein „Love & Mercy“ ist hier zwar nicht gelungen – dafür fehlt ihm der Ansporn zu einer Erfahrung jenseits des Narrativs –, doch „Straight Outta Compton“ macht Wut und Laune, wie man sich diese chaotischer und profaner nicht wünschen könnte.

Meinungen

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