Selten finden Werke ihren Weg auf die Leinwand, bei denen einem durch bloße Wörter schlecht wird. Jedoch nicht im Sinne von Hohn und Ekel – sondern im Sinne eines Gefühls, das jenseits des gängigen Horrors Angst macht. „El Club“ schafft dies ausgerechnet, indem er kontinuierlich die Wahrheit verdrängt, indem sich seine Figuren ihrer Schuld und ihrem Eingeständnis verweigern. Regisseur und Koautor Pablo Larraín ballt dabei eine Gruppe Priester in einem Dorf nahe der Nordküste Chiles zusammen, die allesamt aus ihren Gemeinden verbannt wurden, da sie Kinder missbraucht haben und nun abgeschottet vom Rest der Gemeinschaft leben müssen. Nun ruht hier gewiss eine an sich schwierige Thematik, die sich kritisch mit der reellen Methodik des Todschweigens in religiösen Gemeinschaften auseinandersetzt. Jedoch verlässt sich der Film nicht darauf, ideologische Wut einzunehmen und von dort aus kathartischen Gelüsten und Genremustern nachzugeben. Genauso wenig jedoch überlässt er den Konflikt der bloßen Theorie.
Er charakterisiert seine Geistlichen stattdessen sehr direkt als Selbstgefällige, die sich so sehr im Glauben vergraben, dass im Angesicht der Wahrheit schlicht mit Konsequenzen zu rechnen ist. Schon der erste Neuankömmling unter ihnen wird von einem seiner früheren Opfer verfolgt, das mit dem Aufschrei seiner Leidensgeschichte an die Schuld des einen, aber auch die Schuld aller appelliert. Diese Bedrängung versuchen sie im Alltag auszuklammern, auch wenn dieser – aus gutem Grunde – ein Alltag voller Maßregelungen ist. Weil aber nur bedingt Buße getan wird und die Sperre von der Unschuld unter anderem mit Windhunden kompensiert wird, kommt Padre Matías (Marcelo Alonso) in die Runde, um die Schuld ins Gewissen zu rufen und Bekenntnisse einzufordern, ehe er die Behausung schließen lässt. Was folgt sind Verhöre voller Widerstände und Lügen des Selbstschutzes; kalte, keifende und paralysierte Gesichter, die gefangen bleiben wollen und dennoch die Gründe dafür verbergen, als sei nie etwas geschehen.
Die Verschwörung ist weder eine heilige noch bewusst böse, da sie aus einer von vorherein gesäten Fehlleitung geschieht und von außen regelmäßig durch die folgenschwere Vergangenheit provoziert wird. Dies macht die Umstände kein Stück leichter; im Gegenteil: Der Zuschauer gerät immer tiefer in den Morast des verzerrten Glaubens und in Weltbilder, die selbstverständlich hingenommen werden und in ihrer schlichten Äußerung abschrecken. Einige intensive Kompositionen von Arvo Pärt verstärken die Hilflosigkeit – doch das Schweigen im diffusen Cinemascope birgt ebenso Verstörung, je weiter das Vergangene im Geheimen auf die Gegenwart einschlägt. Der Schock steigt später in der Nacht zum Tiefpunkt der Verzweiflung ab, bei dem sich die Menschlichkeit nicht mehr wiedererkennt, bis die Frage um Schuld und Leid kaum noch gestellt werden kann, da sich jeder in ihr wiederfindet – und das nicht zu knapp.
„El Club“ fordert in seiner Radikalität ein (wenig wirksames) dickes Fell, ohne explizite Bilder einsetzen oder Dramatisierungen betreiben zu müssen. Allein das Kopfkino bestimmt die Furcht; genauso wie das beängstigende Schauspiel von Wölfen im Schafspelz, die indoktrinierten Regeln folgen und nur im Ansatz ausbrechen, aber umso tiefer aufschlagen, je mehr Unschuld durch sie zerbricht. Wird es eine späte Einsicht geben – und kann diese zufriedenstellend sein? Und inwiefern darf sie erzwungen werden? Dies lässt sich im Endeffekt nicht eindeutig sagen. Wer jedoch auf eine derart ungemütliche wie lohnende Erfahrung Wert legt, erlebt hier eine Passion von Film, die kaum angemessener inszeniert werden könnte.
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