Ostern steht vor der Tür! Daher suchen auch wir Eier – und stellen uns Fragen des Glaubens und des Zweifels. Exklusiv am Gründonnerstag mit Rolf Olsens „Der Pfarrer von St. Pauli“.

Welch irrwitziges Abenteuer uns Regisseur Rolf Olsen auftischt! Mit Curd Jürgens als Titel gebenden „Pfarrer von St. Pauli“ führte er anno 1970 christliche Werte ans Hamburger Dirnen-Milieu heran. Bei einer derartigen Konfrontation kommt es erwartungsgemäß zu reichlich Reibung – und diese wird von Olsen aufgrund seines Hangs zur naiven Kolportage in Sphären gerückt, die zwar für Blasphemie nicht ausreichen, aber dennoch frech wie Oskar auftreten. So strahlt uns auch Konrad Johannsen schnell entgegen, jener Pfarrer auf der Reeperbahn. Dieser glaubt seit einer göttlichen Intervention auf einem sinkenden U-Boot an den Gottvater und verteilt dessen Wort nun mit katholischer Kutte an verruchte Jünger. Allen rät er vom sündigen Wege ab: Zuhältern, Halsabschneidern und Macho-Schweinen. Doch Olsens Kamera versäumt dabei keineswegs den Blick auf kurze Röcke und blanke Brüsten. Im Grunde ist sein Pfarrer aber auch eine recht progressive Type, der Hippies duldet (weil Jesus quasi die Kommune erfunden hat), wie ein Lausbub Fußbälle ins Fenster donnert und die Kluft zwischen Arm und Reich kritisiert.

Besonderes Verständnis zeigt er für ein junges Mädel, das von einem reichen Sohnemann geschwängert im Stich gelassen wird und sich daher in der Elbe ertrinken will. Diese Verzweiflungstat negiert Johannsen mit einer unfassbaren Szene, in welcher er seinen neuen Schützling quasi als Schocktherapie in eine Leichenhalle zur Totenschau einlädt. Dort soll sie mal anfassen, wie kalt tote Haut ist und wie viel warmes Leben in ihr selbst doch steckt. Der blanke Wahnsinn! Und mindestens so ulkig wie die Kochkünste Heinz Reinckes, der als des Pfarrers Assistent Titus gerne mal Pfannkuchen auf dessen selige Fontanelle fliegen lässt. Doch auf dieser Welt herrscht nicht immer solche Heiterkeit, denn der Moloch regiert die Hansestadt – stellvertretend durch das unmenschliche Puff-Hauptquartier Der goldene Käfig. Dieses zwingt unschuldige Migranten zum Erpressungsmord und kidnappt zudem Johannsons weiblichen Schützling, auf dass sie ja das Baby abtreiben soll. Einer der Migranten, Luigi, wendet sich dann zur Beichte beim Pfarrer, welcher verspricht, kein Wort über die Details auszupacken, wenn Luigi sich denn selbst der Polizei stellt – was durch eine Kugel im Herzen leider nicht mehr zustande kommt.

Nun hadert Johannsen mit der Schweigepflicht und sucht beim Kirchenvorstand Rat, doch die halten an ihren altbackenen Dogmen fest. „Na, das ist ja mal eine tolle Bande“, denkt sich Johannsen und macht sich stattdessen auf eigene Faust in den goldenen Käfig, wo er mit Leichtigkeit Bodyguards verdrischt und die schleimigen Bosse klein macht. Aber auch unser christlicher Superheld wird Opfer von deren Gerissenheit und muss eine folgenschwere Denunziation über sich ergehen lassen, weil die kriminellen Herren seinen Vorgesetzten einen Tipp geben, dass er Damenbesuch bei sich hatte (welchen sie natürlich selbst zu ihm herauf geschickt haben). Schweren Herzens muss er Hamburg verlassen und wird stattdessen ins Inseldorf Norderkrug versetzt, wo der Film nun fast komplett seine letzten vierzig Minuten verbringt und dabei schon ziemlich als eigenes Narrativ funktioniert. Dort wird Johannsens Glaube mächtig auf die Probe gestellt: Die hauptsächlich evangelische Dorfgemeinschaft ist von der schäbigen Vergangenheit des neuen Pfarrers alles andere als begeistert und meidet den Besuch in seinem unbeheizten Gotteshaus.

Und weil ihm der Fall aus Hamburg noch immer schlaflose Nächte bereitet, kommt er schließlich auf des Rätsels Lösung, wer hinter den ganzen Verbrechen steckt. An dieser Stelle sei der Täter nicht enthüllt, bis dahin hat der Zuschauer ihn aber schon längst erraten. Olsens Film geht größtenteils auf Nummer sicher, hält die Milieu-Elemente in diesem Vertreter seiner zahlreichen St.-Pauli-Werke etwas zurück und erschafft damit eine etwas harmlose Angelegenheit, die vor allem in der zweiten Hälfte durch Bescheidenheit, aber immerhin auch provinzielle Atmosphäre glänzt. Die solide Handkamera Franz X. Lederles fängt zunächst genauso schnoddrig den Sleaze der Unterwelt ein, ehe die sehnsuchtsvollen Spießbürgertum-Szenarien behutsamere Eindrücke verlangen und dem oberflächlichen, doch nachvollziehbaren Drang nach Hoffnung die nötige Melancholie verleihen.

Wie stark Olsen sich dem christlichen Glauben verpflichtet fühlte, sei dahingestellt – bei diesen Verhältnissen ist jedenfalls erneut Verständnis für seine Figuren zu erkennen. Er macht gehörig filmische Werbung für Selbstbestimmung und jugendliche Liebe; legt dabei besonderen Wert auf die Nachvollziehbarkeit des Pfarrers, dessen Weg hier gefolgt wird – vom Zweiten Weltkrieg über St. Pauli bis hin nach Norderkrug, fast ohne Ablenkung. Wir sind stets bei ihm, wie Gott offenbar auch. Dabei bleibt Johannsens Glaube unerschütterlich, aber auch einsichtig, liberal und kumpelhaft – eine Fantasie-Figur aus dem Olsen-Fundus, idealisiert im Angesicht der kommenden, aufklärerischen siebziger Jahre und deshalb auch ohne Berührungsängste zur Erotik. „Der Pfarrer von St. Pauli“ ist damit eben auch ein exploitativer Märchenfilm, den wir hier sogar in zweigeteilter Narration erleben: eine eigentümliche Merkwürdigkeit aus wilden Zeiten, aber stets das herzliche und rotzige Kintopp zwischen Trompeten, Weihrauch-Orgeln und Akkordeons, wie wir es in seiner Unbedarftheit heutzutage umso schwerer vermissen.

Meinungen

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