Mr. Ripley glaubte zu wissen, wie sich Probleme unter Männern auf hoher See beseitigen lassen. Letztendlich hat es ihm nur bedingt geholfen, da sich die Eskalation auf beengtem Raum abseits der Gesellschaft mit der Rückkehr zu dieser nicht vereinen konnte. Mord bleibt Mord, und Mann bleibt Mann. Umso ehrgeiziger will sich der Mann im Angesicht des Horizonts als Oberhaupt beweisen. Jedenfalls denkt sich die griechische Regisseurin und Autorin Athina Rachel Tsangari ein solches Szenario der Machoselbstverständlichkeit an der Küste vor Athen, lässt allerdings das Mörderische und bedingt Blutige im Kräftemessen aus. In „Chevalier“ geben sich sechs Männer im besten Alter der Selbstzufriedenheit, sprich Langeweile, auf einer Jacht hin, bis in eben dieser Phase des kollektiven Egos der Ansporn zu einem Wettbewerb kommt. Aus diesem soll der Beste ermittelt werden, ganz gleich, in welchen Kategorien oder Disziplinen. Der Charakter jedes Einzelnen steht zur Debatte und wird studiert, bis sich ein Favorit summiert. Regeln, um den Punktestand aufzustocken, sind kaum zu erkennen, werden aber ernst genommen.
Die Suche nach dem Ideal ist dabei blind vor dem, was den Menschen ausmacht – nämlich das Individuum. Obwohl manche besondere Talente besitzen, werden diese nur als Zugabe einer Mentalität gewertet, über die sich die Jachtgäste untereinander um Allgemein- und Expertenwissen ausfragen. Neid, Eifersucht, Geltungsdrang und Selbstgerechtigkeit sind dabei die prägnanten Werte, die jeder mehr oder weniger ausstellt. Alle haben Schwächen, die mehr ausmachen als Blutzucker- und Cholesterinwerte, der obligatorische Schwanzvergleich oder IKEA-Schrank-Schnellaufbau. Was nach einer lupenreinen Satire mit Haudraufhumor klingt, ist unter Tsangaris Regie allerdings ein Spiel mit Understatement, nur bedingt provozierend, aber gut vom Konsens abweichend. Die Komik entsteht im trockenen Ehrgeiz ihrer Protagonisten, die voller Behauptung und ohne Hemmungen alles werten und in den richtigen Augenblicken eine Selbstdarstellung beherrschen, deren Forcierung sich jedem offenbaren müsste. Die Verhaltensstudie ist bewusst realitätsfremd, aber trotz Seegang geerdet genug, dass sie als Parabel auf den bekloppten Kodex der Männlichkeit ersichtlich bleibt und keine allzu krassen Überspitzungen oder Karikaturen anwenden muss.
Die Eskalationen, die mit solch einem Konzept in Verbindung stehen, werden in ihrer Präsenz aufs Nötigste zurückgehalten. Tsangari weiß die dadurch entstehenden Lücken jedoch nicht mit Wesentlichem zu füllen. Manche Schlussfolgerung der Verhaltensforschung wiederholt sich in mehreren Szenarien, deren Themen vielleicht verschieden sind, in der Konzentration des Schauplatzes allerdings wenig Varianz ergeben. Eine Portion Redundanz schleicht sich ein, der man mit ein bisschen Komprimierung Paroli hätte bieten können. So sind knapp 99 Minuten jedoch zeitweise so trocken wie jener Wettbewerb, der sich mit einigen wunderbaren Pointen des Bewertungsdrangs erfreuen kann. Die Auflösung dessen leuchtet frech auf, weil man sich keine provokante Frechheit, sondern Einverständnis erlaubt. Das nimmt ein (scheinbar) glücklicheres Ende als bei Mr. Ripley. Aber man(n) weiß: Nur die Harten kommen in den Garten. In diesem Fall sind die Harten jedoch klar die Weichen – oder eben alles zusammen, je nachdem. Sie wollen es nur noch nicht wissen.
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