Es wird dieser Tage immer schwieriger, als Herzenssache zu vermitteln, was die achtziger Jahre an Ästhetik und einmaligen Qualitäten zu bieten hatten. Nostalgie ist zweifellos zur Genüge vermarktbar geworden und Quelle halb garer Anbiederungen. Alle, die frei jeder Ironie erzählen, wie die Vielfalt jenes Jahrzehnts in all ihren neonbunten Farben die Fantasie anregt, stehen einer Übermacht gegenüber, die sich Fans nennen und dennoch den Charme auslachen, der anders ist als ihre Vorstellung des Konsens. Schlimmer noch: Auf der anderen Seite warten Puristen, die den Spaß am Vergangenen für überheblichen Idealismus missbrauchen. Nun aber gibt es eine Chance zur Versöhnung, die eigentlich allen Grund hätte, sich als parodistische Emulation jener Ära zu mausern. „Turbo Kid“ ist aber kein bloßes Ventil für Gags auf Kosten des B-Movies, wie es zuletzt „Kung Fury“ darstellte. Genauso wenig ist der Film von François Simard, Anouk und Yoann-Karl Whissell ein Revival der bloßen Oberfläche oder ein Replikant ohne Eigensinn.

Der Film bedient sich stattdessen jener kulturellen und filmischen Elemente der Achtziger und bettet diese in ein Narrativ ein, das sie als logisches Instrument versteht. Werte wie Freundschaft, Abenteuer und Liebe werden stimmig an den Zuschauer getragen, wie es rückblickend in aller Selbstverständlichkeit bemüht wurde. Simard sowie Herr und Frau Whissell behalten sich eine Unschuld vor, da ihr Projekt von Grund auf unabhängig finanziert wurde und seine kanadische Einöde als stimmiges Szenario einer Postapokalypse anno 1997 inszeniert. Man nutzt, was man hat und gestaltet sich die Nachbarschaft als Projektionsfläche der Fantasie. Mit solch kindlicher Energie lässt sich manch Eskapismus im Alltag erschaffen – und unser Kid (Munro Chambers) beweist dies mit seiner Flucht in die rechtschaffene Comicwelt des Turbo-Riders. Vor der Haustür schlummert schon reichlich Aufregung in der selbst gebastelten Endzeit: Alle rasen mit BMX-Rädern durchs Land, womit Kid zwar ein paar Tricks vollziehen kann und nebenbei John Farnhams „Thunder in Your Heart“ vom „Rad“-Soundtrack auf dem Walkman hört, doch ansonsten ist die Hölle auf Erden zugegen.

Grund dafür ist der heimtückische Zeus (Michael Ironside), der mit Genuss das Böse verbreitet, Todesarenen veranstaltet und reichlich Splatter produziert. Er ist ebenso Ausdruck eines befreiten Kontrastprogramms, das die spritzige Körperspaltung vom Schlage Tromas mit der herzlichen Naivität der „Goonies“ kombiniert. Natürlich könnte man alles am Film so vergleichen und verkaufen, doch obgleich das Team um „Turbo Kid“ gerne einen Wunschtraum jugendlicher Filmlust verwirklicht, ist die Geschichte des Protagonisten und seiner Freunde das, woran man sich klammern will. Insbesondere die Interaktion mit der unbedarften Apple (Laurence Leboeuf) stellt am ehesten den Geist des Films dar. Ihre Drolligkeit, die direkt aus einem Cartoon stammen könnte, ist ein Bonbon, insbesondere in jener Umgebung: sprunghaft, wissbegierig, grinsend, fesch im türkisen Overall unterwegs und mit Elan gegen das Böse gewappnet. Der Film verliert jedoch nie die Bodenständigkeit des Menschlichen aus den Augen, auch weil Zeus nur eines hat.

Gewiss haben beide Seiten simple Eigenschaften, doch wirken sie gerade in ihrer kindischen Ader aufrichtiger und wirken tiefer nach, je eher man auch als Zuschauer mit Kinderaugen sieht. Dies bedeutet nicht, das Hirn auszuschalten und auf Signale der Wiedererkennung zu reagieren, wie es „Pixels“ gerne gehabt hätte. Nein, „Turbo Kid“ versetzt uns an einen Punkt zurück, an dem die einfache Kohärenz zu Rechtschaffenheit und Lebensfreude unter Buddies alles ausmachen und fesseln konnte; wo das Wohlergehen von Androiden zu Herzen geht und eine coole, rote Rüstung mit Schutzpolstern als Ereignis begeistern kann. Erst dann kommt die aufgegeilte Electro-Montage und der Spaß im Gemetzel zu launiger Ehre – nicht vor all dem, was einen echten Film ausmacht. Und da stellt „Turbo Kid“ eine stilechte Heldensage bereit, die Enthusiasmus und Sehnsucht über Zielgruppenfixierung stellt und so romantisch, brutal, grotesk, niedlich sowie eine empathische Bewältigung der Erwachsenenwelt sein kann, weil sie eben die Liebeserklärung ist, für die sich manche Genrewerke halten. Wahre Liebe kennt nicht nur einen Weg, macht sich nicht ständig über sich selbst lustig oder nimmt sich bierernst. Sie muss von Herzen kommen.

Meinungen

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