Als Kind empfindet man Freizeitparks als riesige Wundertüten, die Atemlosigkeit und unendlichen Spaß versprechen. Ist man allerdings schon etwas älteren Semesters, kann der Drang nach pausenloser Unterhaltung und kommerziellem Abenteuer eine Probe für die Nerven werden. So ergeht es dem Protagonisten in Randy Moores „Escape From Tomorrow“ – einer recht mutigen Parodie auf die Sinnesattacken gemeinsamer Familienausflüge. Mutig ist der Film in dem Sinne, dass er größtenteils im Geheimen an Originalschauplätzen in Disneyland und Walt Disney World gedreht wurde. Tagein tagaus lösten Stab und Besetzung ihre Tickets und inszenierten damit bereits eine familiäre Einheit, um die überwältigenden Bilderwelten des Micky-Maus-Konzerns anhand rechtlicher Grauzonen als Kulisse nutzen zu können. Alles Low-Budget und somit vor allem nah am Nervenkonstrukt von Familienvater Jim (Roy Abramsohn), der am letzten Tag in Disneyland von seinem Boss den Anruf bekommt, dass er entlassen wurde.
Als Patriarch der Verantwortung des mittelständischen Amerikas verpflichtet, verheimlicht er diesen Umstand vor seinen Schützlingen, damit alle einen schönen Abschluss erleben können beziehungsweise nicht noch mehr Stress verursachen, als schon gegeben: Sohn Elliot (Jack Dalton) will nur zu Buzz Lightyear und pfeift dafür in kindlicher Unbedarftheit auf Verständnis; Tochter Sara (Katelynn Rodriguez) ist ebenso ein wenig bockig und muss durchweg auf den Arm genommen werden; Ehefrau Emily (Elena Schuber) hat entgegen der niederen Bedürfnisse ihres Gatten sehr resolut ihre Mutterrolle eingenommen und denkt ausschließlich an die Abarbeitung von Familienaktivitäten. Ein Horror, der jedem Zuschauer vertraut vorkommen dürfte. Deshalb sucht sich Jim in der Sommerhitze ein rücksichtsloses Ventil für eine derartige Familiengefangenschaft aus: Er stellt zwei jungen, hübschen Franzosenmädels wie ein Perverser im Park nach – wohlgemerkt mit den Kindern im Schlepptau.
Die Überstimulation der sexuellen Frustration ist dabei schon im Ambiente verankert. Doch Regisseur Moore bricht die eigentliche Farbfülle zu einem ermattenden Schwarz-Weiß herunter, das in seiner Kälte streng glänzt und gleichsam in den tiefsten Kontrast sinken kann. Dementsprechend hartnäckig wendet sich die Kinder schnappende Welt gegen Jims Realitätsbewusstsein und setzt seine inneren Dämonen frei, wie auch die hübsche Fassade des Parks selbst langsam zerfasert: Die Katzengrippe geht um, Prinzessinnen sind Huren und Gott weiß, was drüben im Epcot Center alles vor sich geht. Dieser Frusturlaub kann also nur in Kotze, Blut, versöhnlichen Lutschern und kryptischen Verschwörungstheorien enden, die in ihrer nihilistischen Konsequenz an „Computer Chess“ erinnern. Anders als Andrew Bujalski ist Moore aber nicht von subtiler Natur. Sein Szenario steht inszenatorisch ohnehin auf wackeligem Boden – und so muss er in seiner Guerilla-Taktik technische Kompromisse eingehen, die er mit Plattitüden (und einem zugegebenermaßen hochklassigen Score von Abel Korzeniowski) zu kaschieren versucht. Was er sich innerhalb der Statuten des Parks erlauben und der Macht dessen Konzerns vorwerfen kann, sind meist archetypische Streitgespräche und Provokationen, die nur oberflächlich auf die Nase drücken. Die größten Mutproben werden eher in nachgedrehten Innenaufnahmen oder Greenscreen-Kompositionen geleistet.
Jene plakativen Einfältigkeiten passen zum Charakter Jims und zu seinen primitiven Neigungen. Letztlich verkauft sich der Film jedoch unter Wert, wenn er Jims Ejakulation symbolisiert, indem Wundsalbe in Zeitlupe auf Nacktbilder spritzt und Furzgedonner über dessen Kampf mit der Verdauung legt. Clever pointierte Entlarvungen des Elends im familiären Zusammensein schafften dahin gehend schon „Die schrillen Vier auf Achse“ oder auch „Die Simpsons“ auf ihren jeweiligen Reisen nach Wally World oder Duff Gardens. Dennoch ist der Wiedererkennungswert von Moores Ensemble ein treibender Faktor der Immersion mit jenem Szenario, das ausgerechnet mit brutaler Desillusionierung zu locken versteht. Bezeichnenderweise findet Moore seinen visuellen Zauber in der spritzenden Spucke voller krankheitserregender Keime und einem Feuerwerk, bei dem sich Kinder einfacher entführen lassen, weil alle zum Spektakel am Himmel schauen: Der Trieb zum Bösen kommt auch vom Zucker der Verpackung. Und die übertrifft hier jeden Alltag. Das „Was wäre wenn?“ ist eben nicht nur Kindern im Anblick künstlicher Welten vorbehalten, denn bei diesem „Escape from Tomorrow“ fantasiert manch einer gern sein räudiges Finale.
Meinungen
Teile uns deine Meinung zu „Escape From Tomorrow“ mit. Die Angabe eines Namens, einer korrekten E-Mail-Adresse sowie der Kommentartext sind verpflichtend. Alle Meinungen werden moderiert.