Männern wie Al Capone und Johnny Torrio verhalf die im frühen 20. Jahrhundert anhaltende Prohibition zu Bekanntheit und Reichtum. Heute vielfach rezitiert und rezipiert symbolisieren diese Männer den definierten Männer-Typus als starke und unabhängige Macht der Gesellschaft und werden gerne in Literatur und Film als Gegenstand von Kraft, Ausdauer und Durchhaltevermögen genutzt. Bekannte filmische Vertreter wie „Scarface“ von Howard Hawks, „Es war einmal in Amerika“ von Sergio Leone oder die vielfach ausgezeichnete und gefeierte Serie „Boardwalk Empire“ versinnbildlichen unser heutiges Verständnis der damaligen Zeit: Wir assoziieren es mit Gewalt und Machtspielen, in denen ein Mann ganz oben steht und die Dinge zu lenken versucht oder ein Einzelner den Weg des amerikanischen Traums geht. Der von John Hillcoat inszenierte Gangsterfilm „Lawless“ orientiert sich an einem anderen Standpunkt und erzählt die Geschichte von drei amerikanischen Brüdern, die sich auf Brüderlichkeit und Zusammenhalt stützt.

Franklin County, Virginia im Jahr 1931: die drei Brüder Forrest (Tom Hardy), Jack (Shia LaBeouf) und Howard Bondurant (Jason Clarke) betreiben ein kleines, aber erfolgreiches Roadhouse. Aber dieses dient nur als Fassade und tarnt ihre eigentliche Tätigkeit – das Schwarzbrennen von Alkohol. Doch als der zwielichtige Special Agent Charlie Rakes (Guy Pearce) auftritt, wendet sich das Blatt und die drei Brüder geraten in Bedrängnis. Ihre Kollegen des Schwarzmarkthandels knicken unter dem Druck von Rakes ein und schließen sich ihm an. Daraus entsteht ein Kleinkrieg der Bondurant-Brüder gegen die Staatgewalt, der zwischen blutigen Auseinandersetzungen und der Vorherrschaft des örtlichen Alkoholhandels pendelt.

Nach seinem Kritikererfolg „The Road“ aus dem Jahr 2009 wendet sich Regisseur John Hillcoat dem Thema des Gangsterfilms zu. Der auf der literarischen Vorlage von Matthew Bondurant basierende Film „Lawless“ versammelt eine große Anzahl von namhaften Stars unter sich: Ob Batman-Gegenspieler Tom Hardy als ältester Bruder Forrest oder Gary Oldman in einer Mini-Rolle als Floyd Banner – der Film ist in der Lage zumindest schauspielerisch ein gefestigtes Standbein aufzubauen. Leider sind selbst diese teils wirklich herausragend agierenden Schauspieler nicht in der Lage das schwache Drehbuch auszugleichen.

Der neben dem Drehbuch auch für die Musik verantwortliche Nick Cave hätte lieber bei seinem Steckenpferd bleiben sollen. Denn das Schreiben eines abwechslungsreichen und spannenden Drehbuchs gehört nicht zu seinen Stärken. Es verfängt sich nur so in typischen Banalitäten und plakativen Momenten, die sich jeder halbwegs versierte Mensch im Bereich des Films zusammen reimen kann: Der Spannungsbogen beruht auf individuellen Auseinandersetzungen und wird bald darauf durch nichtssagende Nebenstränge auseinander gerissen, die zugunsten der Figurenentwicklung eingebaut werden.Selbst die offenkundig gewollte Charakterentwicklung verliert sich im Nichts und stagniert einfach, ohne eine Veränderung in den Denkweisen, Absichten oder Charakterzügen zu offenbaren.

Jack beispielsweise vertieft sich in einer Liaison mit der hübschen Bertha Minnix (Mia Wasikowska), die letztendlich keinen Mehrwert für die Geschichte besitzt. Zugunsten der plakativen Dramaturgie werden interessantere und sinnvollere Bestandteile der Geschichte gestrichen. Gary Oldmans Charakter Floyd Benner (natürlich dominiert Oldman jede Szene, in der er auftritt) stellt einen relevanten Aspekt der Kernhandlung dar und wird dennoch nur in Nebensätzen erwähnt. Charaktere werden durchgehend nach dem Schema-F gezeichnet und ausgebaut, bieten keinerlei Möglichkeit zur Entfaltung und sind im letztendlichen Gesamtkonzept nur Mittel zum Zweck.

Erinnert man sich an die bedrückende und einnehmende Atmosphäre in Hillcoats Endzeit-Drama „The Road“ enttäuscht „Lawless“ in seiner Inszenierung deutlich. Der Grundtenor wird bestimmt durch karge Landschaften und fieberhafte Einstellungen, die eine triste und raue Atmosphäre suggerieren und die harten Begebenheiten jener Zeit unterstreichen sollen. Doch überzeugend wirkt das zu keiner Zeit. Die Absicht ist klar – die Umsetzung enttäuschend. Folglich resultiert ein zwar stellenweise einnehmendes Gefühl, das den Zuschauer in die Zeit der Prohibition (bzw. der in diesem Film dargestellten Situation) hineinführt, aber ebenso schnell wieder hinausbefördert, wenn dieser dabei ist, seine Geschichte weiter zu erzählen. Denn nicht nur das Tempo nimmt im Laufe der Handlung zu, auch die Gewaltdarstellung. Es werden Kehlen aufgeschnitten und Genicke gebrochen; Sinn ergibt das nur wenig, denn dadurch soll mehr die Sensationsgier des Zuschauers, als das filmische Interesse stimuliert werden. Die Symbiose aus Bild und Ton sind nicht einhergehend zusammengeführt mit der Geschichte und reißen stimmungsvolle Momente alsbald wieder auseinander.

In all den negativen Aspekten des Films sind es aber auch einige positive, die den Filmgenuss anreizen. Der versammelte Cast, bestehend aus Tom Hardy, Shia LaBeouf, Jason Clarke, Gary Oldman und Guy Pearce auf der Seite der männlichen Schauspieler wird wunderbar ergänzt durch die östrogen-geladenen Frauen Jessica Chastain und Mia Wasikowska. Die eine brilliert als abgehalfterte und verletzte Ex-Tänzerin und harmoniert mit dem ruhigen Tom Hardy, der in diesem Film die meiste Zeit mit seiner Darstellung überzeugen kann und nur durch die wenigen, dafür aber umso bestimmenden und prägnanten Momente von Gary Oldman abgelöst wird. Dieser ist zwar in nur gefühlt fünf Minuten des Films zu sehen, definiert allerdings die schauspielerische Messlatte und wird von niemanden übertrumpft. Selbst der oft kritisierte Shia LaBeouf überrascht in seiner Rolle, die zwar schlecht geschrieben ist und den typischen trotteligen Ausreißer darstellt, aber doch überraschend mit dem sonstigen Image des pausbäckigen Verlierers kollidiert und überzeugt.

Im Zusammenspiel der Bilder komponiert (der womöglich momentan weltgrößte Musiker) Nick Cave einen großartig anmutenden Soundtrack. Zwar missriet das Drehbuch zum Film in seinen essentiellen Punkten der Dramaturgie und der Erzählung, allerdings punktet das Schaffen Caves in seiner Komposition des Scores. Seine Zusammenarbeit mit der Band „The Bad Seeds“ und Warren Ellis ist bestimmt durch das Aufleben des Bluegrass. Das große Augenmerk auf die instrumentale Begleitung im Film offeriert eine melancholische Grundstimmung. Durch den Gebrauch von Zupfinstrumenten (dem Bluegrass typisch: Gitarre, Banjo, Mandoline) wird der Zuschauer atmosphärisch in die Zeit des frühen 20. Jahrhundert transportiert.

Selbst die Töne gleichen sich der sandigen und kargen Optik an und ergänzen sich in seinen besten Momenten zu einem multiplen Stimmungshöhepunkt. Die Gastmusiker Emmylou Harris, Mark Lanegan und Ralph Stanley sorgen für akzentuierte Auftritte, während die Tracks der eigens für den Film von Cave gegründeten „The Bootleggers“ aus den rauchigen und tiefen Stimmen der Musiker profitieren. Neben Cave wird die Band von alten Bekannten bestimmt: Warren Ellis, „Bad Seeds“- und „Grinderman“-Bassist Martyn P. Casey, Komponist David Sardy und „Groove Armada“-Gitarrist George Vjestica. Besonders hervorstechend ist allerdings ein Soloauftritt: Ralph Stanleys Coverversion von „White Light/White Heart“ der Rockband „The Velvet Underground“ ist der wohl am meisten bestimmende und haftende aller im Soundtrack zusammengefassten Tracks.

„Lawless“ ist kein großer Film und auch weit entfernt davon, etwas Besonderes zu sein. Er versammelt viel mehr den typischen Drang des männlichen Individuums sich zu profilieren und als stärkeres Geschlecht dazustehen. Eine Männerfantasie, so plakativ vorgetragen, wie es soweit nur möglich ist. Der Unterhaltungswert liegt auf einem singulären Ast und ist leider der einzige Kritikpunkt, der ein vernichtendes Urteil über den Film verhindert. Aus künstlerischer und filmischer Sicht ist „Lawless“ unterdurchschnittlich und rettet sich nur durch sein Staraufgebot und den Score.

Meinungen

Teile uns deine Meinung zu „Lawless“ mit. Die Angabe eines Namens, einer korrekten E-Mail-Adresse sowie der Kommentartext sind verpflichtend. Alle Meinungen werden moderiert.

Kinostart: 14.09.2017

Mr. Long

In seiner neunten Berlinale-Teilnahme schickt Sabu Rindersuppen in den Wettbewerb.

Kinostart: 27.07.2017

Django

Étienne Comars Debüt eröffnet mit einem Porträt über Django Reinhardt die 67. Berlinale.

Kinostart: 06.04.2017

Tiger Girl

Jakob Lass’ dritter Langfilm zeigt erneut befreites, deutsches Kino basierend auf einem Skelettbuch.

Kinostart: 09.03.2017

Wilde Maus

Josef Haders Debüt als Regisseur ist ein harmloser Film über Kommunikation und Schnee.

Mr. Long

Sabu, Japan (2017)

Zerbrochene Leben und einstürzende Neubauten: In seiner neunten Berlinale-Teilnahme schickt Sabu Rindersuppen in den Wettbewerb.

Wilde Maus

Josef Hader, Österreich (2017)

Selbstmord durch gefrorenes Wasser: Josef Haders Debüt als Regisseur ist ein harmloser Film über Kommunikation und Schnee.

Occidental

Neïl Beloufa, Frankreich (2017)

Italiener trinken keine Cola! Neïl Beloufa verzettelt sich in seinem chaotisch-absurden Kammerspiel-Debüt.

Tiger Girl

Jakob Lass, Deutschland (2017)

Freiheit durch Reduktion: Jakob Lass’ dritter Langfilm zeigt erneut befreites, deutsches Kino basierend auf einem Skelettbuch.