South Dakota, 1876. Männer sind Männer, Frauen sind Prostituierte, und Schweine tun, was sie am Besten können: die Überreste erschossener Versager fressen. Das Land ist karg und spärlich um das Lager namens „Deadwood“ im Territorium der Sioux; dem brandenden Mythos Amerika und seiner zerfleischenden Poesie, jeder könne in einem Atemzug Herr eines Landes werden. Sie trinken und spielen, töten und tricksen, gehen einander mit Wollust an die Gurgel. Dabei lallen die Produkte dieses Westernfirmaments eigentlich in einem hochgesinnten, beinahe shakespeareschen Stakkato sich gegenseitig Salben garstig strukturierter Dialoge entgegen. Eine Erzählung der Schwanzlutscher und Hurensöhne ersteht in David Milchs „Deadwood“. Die Grundprämisse dahinter: die langsame Wandlung einer Siedlung und ihr Aufstieg von einem Bergarbeiterlager zu einer rechten Westernstadt. Zunächst jedoch bläst gesetzlose und anarchistische Willkür in Strohballen durch die eingetretenen Pfade, die viel später einmal Straßen werden. Das Gesetz kommt schleichend mit einem Mord, die Gerechtigkeit jedoch nicht.

Scheinbar umschiffen Stereotype das Lager: der edle, attraktive und widerwillige Held, Seth Bullock (Timothy Olyphant), sein zuverlässiger Kumpel und Kollege eines Eisenwarengeschäfts, Sol Star (John Hawkes), dazwischen der schnöde und ausbeuterische Nemesis, Al Swearengen (Ian McShane), seine Prostituierte mit dem Herz aus Gold, Trixie (Paula Malcolmson), die opiumsüchtige Alma aus New York (Molly Parker) und der keifende Arzt Doc Cochran (Brad Dourif). Den wirklichen Peitschenhieb leisten dennoch erst die aus der historischen Versenkung wiederbelebten Figuren mit dem Kaliber eines Wild Bill Hickok (Keith Carradine) und einer Calamity Jane (Robin Weigert). Besonders diese Calamity Jane ist ein Mysterium: eine geschlechterrollenbrechende, kindähnliche Außenseiterin, die sich betrinkt und dann ein Nickerchen macht, indem sie ihre Stirn gegen eine Wand lehnt. Sie ist urkomisch, liebenswert, skurril, widersprüchlich und schwer zu verstehen.

Die Charaktere formen zwei Lager: die Geschädigten und die Schädigenden. Erstere – Doc Cochran, Calamity Jane, Trixie – helfen und heilen mit einer Verwundbarkeit und nahezu kindlicher Zuneigung. Als zu Beginn der Prediger (Ray McKinnon) einen vermeintlichen Gehirntumor entwickelt, weidet „Deadwood“ den hässlichen Verfall inmitten glückselig blitzender gelber Zähne aus. Al Swearengen wirft ihn mit traurigem Blick aus seinem Saloon, Calamity Jane terrorisiert ihn seine Symptome vor Cochran geheim zu halten, die Nutten verhöhnen ihn – und alle Würde löst sich allein durch die Fähigkeit der Szenerie ab. Dieses Gefühl der Hoffnungslosigkeit, sowohl im existenziellen als auch im pragmatischen Sinne ist akut. Die schädigenden Charaktere jedoch treiben die Stadt mit keifender Gewalt voran – und in einer Allegorie ebenso die Expansion Amerikas. In Seth und Al verkörpert sich die konventionelle Erzählung des Guten und des Bösen. Beide schikanieren und nötigen, wenn es ihnen nutzt; und strahlen jedoch ebenso Überzeugung und Zärtlichkeit aus. Sie bestimmen Gerechtigkeit. Sie errichten die Stadt – Seth als Arbeit, Al als Spiel – und hinterlassen zahlreiche Opfer entlang ihres Weges. Vermutlich ist der einzig existenzielle Unterschied zwischen diesen beiden, dass Seth der Blutreigen missfällt. Und doch könnte dies nur an seiner Jugend liegen.

Schnell meinen wir sie zu kennen und all ihre listigen Schachzüge. Dennoch birgt jeder Schritt eine manchmal unbeabsichtigte, manchmal penetrierte Gabelung und der Weg in eine weitaus bitterere Hölle. Der wilde Westen erstarrt in „Deadwood“ und sein Stillstand verknüpft das Fiktive mit den leisen Erzählungen der Realität.

Weniger als in Explosionen und dem ratternden Gemeuchel unter Pistolenschüssen wagt „Deadwood“ ein Aufbegehren gegen filmische Phrasen und die Untermauerung des kulturellen Erbes von Amerika, des Kapitalismus, der Erweiterung und exzeptionellen Sonderstellung in der Welt. Keineswegs eindeutig ist trotzdem, ob Schöpfer David Milch diese amerikanischen Mythen nun preist oder moniert, ob die doppelbödige Moral rassistischer und sexistischer Ausbeutung doch eher regelmäßig gehandelten Wertmarken gleicht. Denn dort ist Macht ein Einzelfall und behält ihr Recht lediglich mittels roher Gewalt und Korruption in schwitzigen Handflächen. Denn dort benötigt jeder ein Bad und einen Kleiderwechsel, wenn sie glückselig vom Goldrausch in Dreck und Armut schwelgen. Die grobkörnige Realität des Lebens bildet Gemeinschaften und lässt Menschen ihre Geschichten schreiben in einer Unannehmlichkeit, die zugleich noch um einiges unannehmlicher damals im 19. Jahrhundert in South Dakota gewesen sein dürfte. Wir beobachten, wie Regierungssitze in reinem Formalismus willkürlich angenommen und getauscht werden; wie Al die ohnehin wackeligen Fortschritte in der Verhandlung gegen Jack McCall manipuliert; wie Will Bill und Bullock selbst Recht suchen, um den Mann anzuklagen, der eine Familie außerhalb der Stadt umbrachte; wir beobachten, wie Lügen im Kampf um die Pockenplage entstehen.

Alsbald werden diese Menschen einer Kultur und dem amerikanischen Feingeist unterstehen. Doch selbst der Wunsch danach kommt mit Überdruss, da niemand weiß, niemand ahnt, noch jemand das Gebilde einsehen könnte, welches auf jeden von ihnen wartet. Und so lügen und intrigieren sie, stützen das große Ganze, indem sie schließlich nur tun, was ihnen Profit bringt. Dieses moralische Sittengemälde im Herzen von „Deadwood“ stellt knifflige Fragen und bringt vage Antworten, doch verzichtet auf Berechenbarkeit und Formalismen. Wie Al, der weder gut noch böse ist: ein Mörder, ein Unternehmer, ein Grenzbewohner, ein Amerikaner im Herzen, ein Engländer von Geburt – ein Mensch. In einer Welt, in der alles möglich schien; auch der vom Körper gesäbelte Kopf eines Indianers, der allein an den langen Haaren festgehalten durch die Straßen ritt. Es ist kein Geheimnis, warum unzählige Western das Kartenspiel mit liebevoller Romantik darstellen: Der Zug nach Westen war ein ebensolches perfektioniertes Spiel.

Umsetzung für das Heimkino

Entgegen der von Warner Home Video in den Vereinigten Staaten herausgegebenen Fassungen setzt Paramount Home Entertainment bei dieser Blu-ray zur ersten Staffel von „Deadwood“ wie gewohnt auf eine Umsetzung ohne zusätzliche Audio-Kommentare, Interviews, ein Making Of oder Booklet. Das Keep Case enthält drei Discs mit jeweils vier Folgen, die in Deutsch und Englisch in DTS-HD MA 5.1 und Französisch in DTS-HD MA 2.0 abgespielt werden können. Die Wahl besteht zusätzlich zwischen neun Untertiteln, wobei die auf Deutsch getesteten zahlreiche Rechtschreibfehler aufwiesen. Der Ton wirkte bisweilen schwach im Bass, konnte ansonsten jedoch durch seine dem Bild ebenbürtige Klarheit überzeugen.

Meinungen

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