Oh, wie verheißungsvoll das Prestige aus diesem neuen Projekt von Alejandro González Iñárritu dampft: ein zweieinhalb Stunden langes und bestialisch aufwendiges Survival-Epos mit Leonardo DiCaprio und Tom Hardy, garantierter Glanzarbeit von Kameramann Emmanuel Lubezki und einer Musiker-Supergroup um Ryuichi Sakamoto („Harakiri“). Nach „Birdman“ kann der Oscar-prämierte Iñárritu auf unglaubliche Ressourcen zurückgreifen – und umso gespannter lässt man sich auf „The Revenant – Der Rückkehrer“ ein, dessen Produktionsgeschichte beinahe für so viel Aufregung sorgte wie ein fingierter One-Shot in Spielfilmlänge. Es hat den Anschein, dass in Iñárritu durchaus ein Schaubudenbetreiber auf hohem Niveau steckt, der dem Kino neue Erfahrungen zukommen lassen will und dafür (wie Landsmann Alfonso Cuarón) aufsehenerregende handwerkliche Kraftakte bemüht. So ist auch sein neuester Film eine insbesondere technisch beachtliche Leistung, bei der alle Beteiligten an ihre Grenzen gestoßen sind.
Die Geschichte des Trappers Hugh Glass (DiCaprio) vermittelt jedenfalls schnell die unbarmherzige Natur Amerikas zu Beginn des 19. Jahrhunderts als intensiven Überlebenskampf. Die Detailverliebtheit der Ausstattung, die bärtig-abgehalfterte Präsenz kampferprobter Recken, die spürbar eingefangene Kälte der Umwelt, die Hitze und der Rauch der Flammen, der Dampf der Schlacht in Erde und Fleisch: So ausgiebig um Echtheit bemüht, gibt sich das aktuelle Mainstreamkino selten. Dreckig und schroff wird im naturbelassenen Licht des Winters geblutet, geschossen, gesäbelt und geflüchtet, wenn Ureinwohner und Natur den Kampf ansagen. Auch untereinander ist man sich nicht ausschließlich freundlich gesinnt. So reibt sich vor allem John Fitzgerald (ein exzessiv nuschelnder Tom Hardy) an der Tatsache, dass Glass seinen Sohn dabei hat, den er einst mit einer Ureinwohnerin zeugte. Erinnerungen an sie und den Tod durch die Hände der Siedler kommen ihm durch esoterische Visionen, die leider insbesondere an einen Iñárritu vor „Birdman“ erinnern.
Dies bedeutet die Präsenz schwerfälliger Symbole (der standhafte Baum voll starker Wurzeln) und prophetischer Gleichnisse, die sich mit der Tendenz allzu glücklicher Zufälle ergänzen, wie sie schon in „21 Gramm“ prätentiös auffiel. Die religiöse Note, dass letztendlich Gott gerecht richten wird, lässt sich zudem nicht wirklich abnehmen, wenn man bedenkt, wie gnadenlos dessen Kreationen auf Glass einwirken. Die bereits vielerorts gelobte Bärenszene hält insofern die effektivste Äußerung einer durchgängigen Dualität bereit, der er sich zu stellen hat. Gegen alle Umstände, Wetterlagen, Tiere, menschliche Feindschaften und sogar den eigenen Körper gilt es zu bestehen – Iñárritus Film kann jenen narrativen Fokus aber nur bedingt konzentriert und radikal einfangen. So kohärent die einzelnen Stationen des Einzelkämpfers zu Felde ziehen – eine emotionale Verbundenheit erschließt sich nur selten, obgleich der Soundtrack trotz aller Qualität sehr aufdringlich Gefühle behauptet und einzelne Szenen die Empathie zu Ureinwohnern und Frauen anklingen lassen.
Iñárritu verläuft sich im Überfluss und breitet die Essenz seines Themas auf eine repetitive Länge aus, die zudem mit einzelnen Subplot-Abstechern einen Antagonismus suggeriert, der aber erst im Finale wirklich zum Tragen kommt und als Westernaspekt nachgeholt wirkt. Dass ähnliche Zutaten mit einem packenderen Drive eingelöst werden können, beweisen jüngere Beispiele wie Joe Carnahans „The Grey“ oder Jerzy Skolimowskis „Essential Killing“, von dem sich „The Revenant“ beachtlich viel abschaut, nur nicht dessen Tempo. Der Hang zur möglichst unbedingten Realität ist durchaus ein Aspekt, der Iñárritus Film zu einer sehenswerten Angelegenheit macht und in dieser Größe einzigartig ist. Insbesondere die schauspielerische Komponente im Falle DiCaprios grenzt an Wahnsinn und kennt keine Hemmungen gegenüber einem Ambiente, das in seiner Kälte gewalt(tät)ig erdrückt. Ihre Funktionen sind aber auch Teil einer All-or-nothing-Mentalität, die dem Großprojekt anfällt: Der filmtechnische Aufwand allein scheint die Existenz zu definieren, jenseits des Gezeigten lässt sich jedoch nur wenig Substanzielles herausziehen.
So inkonsequent es klingt: Wenn ein Film für die große Leinwand geschaffen ist und es trotz dramaturgischen Schwächen noch wert ist, gesehen zu werden – dann dieser! Die Freiheit und Hingabe kreativer Kräfte entfesselt zu erleben, wirkt durchaus wie ein Fortschritt im Geiste des einstigen New Hollywoods, das seit dem Debakel um „Heaven’s Gate“ fallen gelassen wurde und nun quasi im selben Genre und einem ebenso überbordenden Budget erneut der Stimme des Autorenfilmers folgt. „Mad Max – Fury Road“ (ebenso mit Hardy) war in dieser Hinsicht zwar rasanter dran, doch die Qualitäten Iñárritus könnten durchaus die Kraft haben, ein stärkeres Bewusstsein zu den Möglichkeiten und Risikobereitschaften des Mediums zu schaffen, solange die inhaltlichen Mängel hieran nicht außer Acht gelassen werden.
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