Ein und aus. Ein und aus. Das Herz zittert, ein milchiger Schleier belegt das Visier. Ein und aus. Augen verschlingen das immer weiter hin und forttreibende Mysterium Erde, verschlingen dann wieder Schwärze. Ein Taumeln – der Körper kreist, Augen reißen im Zwang auf, Arme rudern. Ein und aus. Rot pulsierende Messwerte kämpfen um die Vorherrschaft gegen jenen blauen Himmelskörper. Doch der Himmel: wo? Es scheint schon die Hölle. Schließlich surrt Blut durch die Venen in das allzu schwere Herz. Stille. Nur das krampfhafte Zucken eines Organismus, der in einer Welt erwacht, derer er weder Herr werden noch Heimat empfinden kann. Nur ein dunkler Schlund erhebt sich. Resignation. Eine Frau pendelt in dem Konstrukt des Weltalls; das Konstrukt jedoch bleibt unbegreifbar. In Alfonso Cuaróns langjährig gehegtem Traum(ata) „Gravity“ ist es kein Ort des Verweilens, der belustigt forschenden Menschen in steifen Anzügen oder knappen Unterhosen. Es ist ein Hort der Unausweichlichkeit und der Urangst des Menschen dieses „in eins gekehrte“ Universum nie mehr verlassen zu können. Dabei fürchten wir nicht den vielleicht sogar friedvollen Tod, sondern das Nichts: In der Schwärze zu erwachen, die Himmelskörper schwirren um uns behutsam und hoffentlich zögernd – doch nichts existiert, nichts lebt, atmet, wirbelt in freudiger Erregung mit den Armen, niemand spricht. Die unüberwindbare Furcht ist: Einsamkeit.
Wir leben unser Leben aus einem ständig ungeschnittenen Blickwinkel, der nur unterbrochen wird, wenn wir unsere Augen schließen, um zu träumen. Wir bearbeiten unser Leben nicht. Nur, wenn wir uns erinnern, bearbeiten wir es auch.
Eine Plansequenz ebensolcher Dimension leitet mittels Bildgestalter Emmanuel Lubezki die Dramaturgie und das allzu grobe Handlungsgeflecht ein. Mit spielerischer Egomanie torkelt Veteran Matt Kowalsky (George Clooney) in den Sphären, erzählt unvollendete Geschichten und eine, die zunächst wie der Witz einer alternden und nicht mehr ernst genommenen Diva anmutet und nie vollendet werden sollte. Währenddessen bohrt Mediziningenieurin Ryan Stone (Sandra Bullock) am Hubble-Weltraumteleskop. Ihr erster Ausflug ins All: Respekt, Staunen, Starre – eine Schraube entgleitet und wird sogleich von Kowalsky gefangen. Ein Spielertrick, einer von vielen. Nur das Spiel ändert sich, als einen Spaziergang im All später die Trümmer eines russischen Satelliten die Raumfähre Explorer entzweireißen. Die wundervolle Schwebe formuliert markerschütterndes Vakuum. Wieder ist es eins … Gleichsam als Auteur und Illusionist leitet Cuarón die folgend transponierte Leere und unendliche Weite in eine Studie der Klaustro- und Agoraphobie um – der Platz- wie auch der Raumangst. In seiner schwindeligen Anordnung reizt ein verbleibendes menschliches Leben lediglich eine höhere Macht, die mit einem Schnippen das Dasein in den Raum schleudert. Jede Tat scheint gesteuert, das Leben bereits unterworfen.
Denn der ausgelöste Schwindel potenziert die uns eigene Angst (besonders in drei Dimensionen) und knüpft infolge ein enges Band an die Empfindungen und Nöte der Protagonistin selbst. Die uns eingeflößte fiktive Furcht bildet plötzlich eine real formulierte aus – eine greif- und fühlbare in einem für die Wenigsten erlebbaren Kontinuum. Ein Gefühl, welches sich verlässlich in einem Gerät der irdischen Magnetresonanztomographie ausdrückt: dem gedrungenen Tuckern, der Enge in doch endlicher Unausweichlichkeit. Für Ryan Stone ist sie scheinbar endlos – zumindest, bis der Sauerstoff zur Neige geht.
Weniger als der Fantasie um Außerirdische, Raumschiffodysseen und Elektronenhirne kulminiert Cuarón die Katastrophe als existenzielle Bedrohung moderner wie klassischer Science-Fiction. Thema ist das Bewusstsein. Nicht die zum Exempel dechiffrierte Frau bildet jedoch diese Projektionsebene, sondern der aus ihrer Angst just geborene unschuldige Mensch. Keine Erfahrungen, Schicksalsschläge und Missverständnisse drängen ihn. Diese Wirkung entsteht nun allein aus der darüber liegenden Konstellation aus Bild und Ton, die erst den thematischen Schluss des Bewusstseins projizieren. Dabei weicht Cuarón Anklängen mit vermeintlicher Historie aus und empfiehlt Komponist Steven Price stattdessen ein künstliches Surren, welches wie eine vermeintliche Metapher am technologisierten Menschen wirkt, der fernab der Zivilisation eben jener Technologie zum Opfer fällt.
Der Konflikt zwischen Organischem und Synthetischem führt in „Gravity“ zu inhaltlicher Rückständigkeit, fast als wollte er in der präsentierten Antithese des Erzählens gleichzeitig die Natur des wahren Filmens einfangen. Die Besinnung auf simpelste rhetorische Kniffe scheint dennoch besonders in der Struktur des Drehbuchs von Alfonso Cuarón und seinem Sohn Jonás offengelegt: Zunächst handelt es von Leben, dann Überleben – in einem eigentlich geschlossenen Drama der Geburt und Wiedergeburt. Manch einer nennt das dröge und oberflächlich; eigentlich liegt darin jedoch die Rettung aller Effektorgien. Die Katastrophe muss „nur“ erlebbar werden, dann kommt sie ohne Unterboden aus. Auch die mittlerweile im Unterhaltungssegment bis zur Verrohung angeschlagenen Herztöne schöpfen eher aus einem für uns lebhaften Unbehagen denn populärer Entschlüsse durch Price. Jenes Pulsieren begreift sich im Leben, im noch Leben seines Subjekts – aber nicht ausschließlich. Tatsächlich nimmt Price das allzu ausgewrungene Element, formt und modifiziert es, bis es sich mit dem hintergründig durchblinzelnden Rauschen verbindet. Erst Price ebnet die zu erforschende Stille, erst Price befiehlt unserem Atem zu stocken, zu brausen und schließlich auszubleiben.
Eigentlich ist die Stille hier eine Symphonie der Katastrophe. Denn filmische Stille bedeutet nicht nur in „Gravity“: Leere, Tod, Vergessen. Sie kommt einher mit Nichtexistenz, nicht, weil die Existenz schon ausgelöscht wurde, sondern schlicht nicht möglich ist. Sechshundert Kilometer über der Erde herrscht trostlose Schönheit, inmitten von Sonnenaufgängen, feuernden Trümmern und einer Frau, die des Lebens müde ein letztes Leben finden möchte. „Gravity“ erzählt von dieser Stille und von einer Welt, deren Umfang unsere Vorstellungen weniger übersteigt, als gleich in den Wahnsinn treibt, sofern wir bereit wären, den möglichen mathematischen Umfang zum Vorstellbaren zu wandeln. Die plakative Formel, niemand höre einen im Weltall schreien, reichert Cuarón in den Kompositionen Lubezkis an und übergibt sie an Price. Niemals seit vielen Melodramen im Universum klingen unsere Herzen gen Ende heller und kraftvoller. Vielleicht sogar gebärt „Gravity“ Film nicht um des Erzählens willen, sondern des Sehens, des Hörens und Fühlens. Er schärft unsere Sinne.
Danach ist die Erde fremd und bekannt zugleich. Ein Atemzug … Stille.
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