Knapp zwei Stunden lang nimmt uns Alejandro González Iñárritu auf einem beständig fließenden Ritt – unter zahlreichen Flüchen und Konfrontationen – durch die bissige Transformation im Theater mit, am Broadway entlang durch die Anstrengungen der Anerkennung und nicht nur psychischen Keilerei zur Eroberung der persönlichen Erfüllung. Denn in „Birdman oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit“ wird für die künstlerische Klimax zwangsläufig ins Extrem gegangen, um die eigene Existenz, die Bedeutung und den Drang des Schaffens zu verteidigen, wie Phönix wieder aus der Asche zu steigen, notfalls auch in Flammen eingedeckt. Jene nervöse Energie zeichnet sich am abgehalfterten Schauspieler Riggan Thomas (Michael Keaton) ab, der sein ganzes Herzblut in die Adaption von Raymond Carvers „Wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden“ steckt, in Personalunion den Regisseur, Autor und Hauptdarsteller gibt, aber noch stets unter dem Schatten seiner cineastischen Vergangenheit als Kassenmagnet Birdman steht – nicht nur im Blickfeld der Öffentlichkeit und der Kritik, sondern auch im Bann der donnernden Stimme des Alter egos im Kopf, ausgestattet mit scheinbar telepathischen Kräften.
Aber solche inneren Mächte werden wie alles an seinem Talent nicht wahrgenommen; sein Cast hat mit der Konzentration auf persönliche Engpässe schon genug zu tun, auch weil Riggan gerne mal mit nicht gerade koscheren Mitteln nachhilft, diesen auf ein strafferes Standbein der wahrhaftigeren Schauspielkunst zu stellen. Dabei halst er sich aber auch einen Ärger in Form des selbstverliebten Method Actors Mike (Edward Norton) auf, der gerne mal bei den öffentlichen Proben Kulisse und Inszenierung aufgrund mangelndem Realismus auseinanderreißt, seine Frau und Kollegin Lesley (Naomi Watts) auf offener Bühne mit einem Ständer drangsaliert (den er zu Hause nicht mehr hochkriegt) und auch im Allgemeinen den unausstehlichen Bastard des darstellerischen Triebes gibt. Aber er ist dennoch nicht der ausgewählte Antagonist in diesem Film, da sich scheinbar bereits die ganze Welt gegen Riggan verschworen hat und an ihm mit einer Frustration vorbeischlendert, die anhand der meisterhaften Kameraarbeit Emmanuel Lubezkis in stetiger Bewegung und schick getrickster digitaler Manipulation zu einer fast über der gesamten Laufzeit gehaltenen Einstellung formiert, den innerlichen und äußerlichen Ausdruck findet.
Die Beleuchtung des Ensembles erfolgt dabei mit Abwechslung, im Dialog und in der inhaltlichen Vermittlung zwar allein vom Konzept her schon teils merklich kontrolliert, dennoch ungestüm, leidenschaftlich und dringlich, getragen vom beobachtenden Fluss, der den Zuschauer zum Wandler zwischen dem Gezeigten macht und letzteres umso reeller erleben lässt – trotz des surrealen Einschlags im plötzlichen Verschieben der Zeiten und mentalen Ebenen, ihren spontanen Umstürzen sowie musikalischen Einsätzen. Ganz zu schweigen von den visuellen Spezialitäten, die sich aus Riggans Vergangenheit bilden und ihn im Wahn aufblühen lassen. Doch bis dahin blühen ihm zunächst noch die bittereren Seiten der Selbsterkenntnis: unter anderem die verkorkste Beziehung zu seiner Tochter Sam (Emma Stone), die schwindende Relevanz seiner Person (nicht nur hinsichtlich der einflussreichen Kraft sozialer Netzwerke) und das offene Mokieren seiner Bemühungen, trotz oder gerade aufgrund seiner lange zurückliegenden Herkunft aus dem Blockbuster-Kino heraus, einen künstlerischen Anspruch erfassen zu wollen.
Unter diesem Druck lässt der Verstand wie der Film an sich keine Pause zu, da wird beständig mit harten Eindrücken und bewährten Vorurteilen draufgepackt, die Seele entblößt, Anschuldigungen und absurde Zufälle durch den Raum geworfen wie der Schminkraum als schnellste Option der entladenden Zerstörung. Demütigung, Ambition, Hass, Liebe, Realität und Fantasie gehen Hand in Hand, spielen immer tiefer und unzertrennlicher am Abgrund der Kunst und Selbstbestätigung, in den so einige Riggan gerne schubsen wollen, auf dass er am Boden aufprallt und sich den alten goldenen Schnabel seiner früheren Erfolge bricht. Doch wie in John Cassavetes thematisch ähnlichen „Die erste Vorstellung“ liegt in diesem Eifer der Verausgabung und ersehnten Enttäuschung die unzerstörbarste Motivation: Man bleibt zwar ein Wrack, aber in der (ebenso vom peitschenden Jazz-Drum-Score Antonio Sanchez’ umrührten) Ruhelosigkeit des Geistes pisst man schlussendlich entschiedener gegen die Mauer des gehässigen Zweifels zurück und setzt zum nicht minder schmerzhaften, doch alles gebenden Freiflug der Katharsis an, verbunden mit dem Schlusspunkt der ultimativen Wiedergutmachung und der wagemutigen Zementierung der schöpferischen Passion – auch in verblendet-seliger, doch für den beständig im Inneren schwebenden Zuschauer echter Traumtänzerei.
Jene manische Transformation stellt sich dabei als Glück heraus, als im Ansatz etwas melodramatische Belohnung, aber eben genau erleuchtender Zauber der menschlichen Willensmacht, so wild und durch die Gänge des Theaters gezogen diese sich auch beweisen muss. Dabei kann sie zwar ohnehin mit der ekstatischen Fesselung ihrer Darsteller und dem technisch atemberaubenden Kraftakt der Plansequenzen trumpfen, packt jedoch umso stärker, je mehr sie sich im Innern gegen das Stampfen der individuellen Unterdrückung auflehnt und mit einer verletzlichen Schönheit und liebevollen Wutwucht zurückkehrt. Dafür steht Michael Keaton als ewiger Titelheld an vorderster Stelle, der anhand dieser selbstreferenziellen Rolle endlich vollends den Menschlichkeits-definierenden Künstler in sich heraussprießen lassen kann, der schon immer in ihm schlummerte und hier nun seinen schönsten Tribut inklusive mythischer Elegie erhält. Aber auch sonst ist dieses außergewöhnliche Werk wie ein Urknall aus dem Nichts kommend auf so vielen Ebenen ein genuiner Eintrag als Meisterwerk in der modernen Filmgeschichte tauglich und eine grandios intensive Huldigung an die Mühen und Früchte des Künstlerhandwerks. An diesem Beispiel will sich jedenfalls bestimmt so mancher Phönix wieder aus der Asche emporragen, mit stärkeren Flügeln als je zuvor.
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Bisherige Meinungen
„Birdman“ ist auf der einen Seite eine Sensation – auf der anderen Seite aber auch keine. Es ist alles Technik, Gimmickry, Improtheater, Geplänkel bis zum Substanzlosen; ohne Motive, die originell, sonderlich wahnwitzig, gewieft, charmant wären. Emmanuel Lubezkis manipulierte Kameraarbeit treibt den Film bis zum Außerordentlichen bzw. in die außerordentliche Bedeutungslosigkeit. Denn viel geredet wird hier schon – nur vor allem um nichts. Iñárritu ist halt niemand mehr für kleine Worte.