Ozan Adam trägt sicherlich wie jeder junge, naive Amateurfilmer den Traum vom Großwerk in sich, das verwegen neue Pfade der Kunst einschlägt und sich subversiv ums Hirn windet. Ambitionen sind eine schöne Sache – aber Adams „For the Blinds“ glaubt derart felsenfest daran, zur Avantgarde zu gehören, dass er seinen Charme des offensichtlichen Unvermögens in Windeseile verspielt. Prätentiös wäre eines der nettesten Attribute, die man ihm unterstellen kann, so sehr sich die Sperrigkeit seiner Erzählung darauf gründet, dass er gar nicht zu wissen scheint, was überhaupt ein Film ist. Doch wo andere Regisseure wenigstens noch das Prinzip Style over Substance anzuwenden verstehen, kann Adam weder Style noch Substance vorweisen.
Eine mickrige Kamera und schludrige Tonaufnahmen (fern jeder erkennbaren stilistischen Absicht) sollten in dieser Ära kein Problem mehr darstellen, obwohl man sie dennoch unter Umständen verzeihen könnte. Der erhöhte Einsatz von ewig langen Autofahrten und künstlich verlangsamten Gängen über beliebige Korridore, gekoppelt mit pausenlosem und wirren Voice over sowie Unmengen an gesichtslosem Stock Footage, vermitteln allerdings noch dazu eine Faulheit, die stets den geringsten Widerstand zur nichtssagenden Dilettanten-Montage sucht. Zwischendurch setzt sich der Regisseur sogar selbst vor seine Handycam und glotzt in die Röhre voller Archivaufnahmen, während er einen Hamburger mampft und eine Stimme aus dem Nichts zum redundanten Selbstgespräch über merkwürdige Ereignisse ansetzt. Eine blanke Frechheit, das Ganze.
Ohnehin wird nur auf etwa zehn Darsteller zurückgegriffen, die als offensichtliche Laien ein gebrochenes Englisch aus weiter Entfernung lallen, bis sogar englische Untertitel eingesetzt werden müssen. Kein Wunder, dass entscheidende Handlungen, die man problemlos in derselben Einstellung hätte zeigen können, per Texttafel erklärt werden müssen. So wie es der Film auch für nötig hält, knapp dreißig Minuten nach Beginn immer wieder per Text (in schrecklicher Schriftart) zu erklären, welch aufregendes Sci-Fi-Konzept er doch innehaben würde. Anders würde man aber auch nicht mitbekommen, dass eine Organisation aus der Zukunft in gewissen Zeitabständen die Gedanken einiger Menschen auslöscht und mit Fragmenten aus der Vergangenheit ersetzt.
Storytechnisch hat Ozan Adam also offensichtlich an „Dark City“ (1998) von Alex Proyas Gefallen gefunden. Jedenfalls ist seine potenziell brauchbare Idee Grund genug, frei verwendbare Bilder der Vergangenheit ad absurdum mit scheinbar im Urlaub aufgenommenen Sehenswürdigkeiten zu montieren und ein Abstraktum zu suggerieren, das sich eineinhalb Stunden lang nur durch die Leere boxen kann. Ein behauptetes Verständnis für kunstgewerbliche Handgriffe führt schließlich zu wahllosen Schnittmustern, aufgesetzten Soundeffekten, billiger Bildverfremdung sowie Stativaufnahmen leerer Häuser und Straßen, auf dass in dieser Emulation einer künstlerischen Stimme doch noch eine Bedeutung entstehen solle.
Stattdessen wird es einfach nur lächerlich, wenn der unfähigste Nicht-Schauspieler quälend lange über eine Allee torkelt und sich selbst schlägt. Oder wenn ein verlassener Telefonhörer noch länger gezeigt wird, als dass er selbst in der abwegigsten Metapher eine Funktion erfüllen könnte. Halbwegs unterhaltsam wird es lediglich, wenn Regisseur Adam seine vermeintliche Bilderflut voll anstrengender Kakofonie auf der Tonspur dämpft und nach einer gefühlten Stunde Charakteren folgen will. Schmierige alte Männer ziehen dann an einem vorbei und kommen nach mehreren Touren kryptischer Seelenwanderungen zu dem Schluss, dass sie durch die Zeit und zahlreiche Gestalten morphen können – teils mit kindischsten Stopeffekten und dem Versuch unbeholfener Greenscreen-Technik. Was damit bezweckt werden soll oder ob überhaupt über jene bloße Idee weitergedacht wurde, steht in den Sternen.
Stattdessen filmt Adam beispielsweise eine Oper von außen, schneidet dann aber zu einem Schultheater, das eine Oper darstellen soll, und spielt Applaus ein, während der Schnitt zu einer Halbnahen auf eine Besucherin den offensichtlich leeren Saal um sie herum kaum verschleiern kann. Und dabei ist es nicht etwa so, dass Adam diesen Umstand als stilistische Pointe auflöst – seine Gestaltung meint tatsächlich, dass man in einer prall gefüllten Oper wäre. Aber selbst das lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, da „For the Blinds“ im blinden Schnittgewitter stillos Kunst spielt. Für wahr, die Synopsis verspricht einiges: Doch weder bekommt man etwas davon geliefert, noch erhält man zu irgendeiner Zeit das Gefühl für überhaupt etwas – abgesehen von Frust und Müdigkeit. Keiner der menschlichen Sinne wird angesprochen oder mit einer Form von Qualität belohnt. Ein sterbensöder Amateurfilm, der schon mehr als nur Film sein will, obwohl er nicht einmal dessen Regeln beherrscht.
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