Andrei Kontschalowskis „Express in die Hölle“ erweitert unseren Rückblick auf das berüchtigte Werk der Cannon Films – denn nicht umsonst hieß es auf jeder ihrer Videokassetten: „We’re Cannon Films and we’re dynamite!“

Wie fühlt sich das an, vom Menschsein ausgekoppelt zu werden und von einem schweigsamen Loch der Einsamkeit ins nächste herumgereicht zu werden? Wann ist es einem genug, lediglich als Tier bezeichnet und behandelt zu werden? Warum aber flüchten, wenn der Ausweg davon keiner ist? Andrei Kontschalowski beantwortet in seinem Express in die Hölle“ von 1985 jene Fragen auf unbarmherzigen Schienen der Existenz. Der damalige Exil-Russe vermengt dabei recht harte Faktoren jener kontemporären Gegenwart zum stilistischen Gesamtkonzept. So beginnt sein Film auch mit einer irrealen, doch wiedererkennbaren Abstraktion von rasenden Waggons, die blutrot aus dem Dunkeln schießen. Wohlgemerkt wird er denselben Weg zum Ende hin wieder einschlagen müssen – es gibt kein Entkommen, pure Konsequenz. Mittendrin als Hort der Hölle: das Maximum-Security-Gefängnis Stonehaven in Alaska, abgeschnitten von der Zivilisation und entsprechend unbarmherzig von Grundrechten und Würde entlastet.

Eingepfercht hinter Gittern und umringt vom tosenden Schnee, bleiben die Insassen verlorene, wütende Seelen. Gezüchteter Hass strömt in der Luft herum, doch keiner kann oder will seinen infizierten Trägern Beachtung schenken. An der Spitze der entmenschlichenden Ignoranz: der unantastbare Gefängnisdirektor Ranken (John P. Ryan). Der Mann macht keinen Hehl aus seiner Position; doch wo andere Filme, wie zum Beispiel „Lock-Up“, plakative Fiesheiten um solche Charaktere konstruieren, verleiht Kontschalowski diesem hier die schlichte Präsenz eines unbeeindruckbaren Wandlers, der über allem steht und sich jedem Gefangenen gegenüber direkt ausspricht, wie er sich dessen entledigen wird. Seine größte menschliche Bestie, die er so erschaffen hat, stellt der lebenslänglich Verurteilte Oscar Manny Manheim (Jon Voight) dar. Narben stellen hier jedem das Verlebte aus, drum wirkt Manny als Knast-Monstrum gleichsam abgebrüht, wie auch zutiefst verletzt. Nicht, dass der Film hierbei um Sentimentalität betteln müsste, schließlich sind seine Protagonisten weder besonders manierlich noch intellektuell oder überhaupt menschenfreundlich aufgezogen.

Es sind schlicht Kriminelle und da fliegen zur einzigen verbliebenen Unterhaltungsform, dem Ringkampf, nicht nur die Fäuste. Ranken ordnet nämlich im Offenen den Mord an Manny an, lässt ihn abstechen, doch vor dem Sterben kann dieser sich wehren – andere helfen ihm nämlich ebenfalls mit Messern nach und reißen die Gedärme des Angreifers raus. Die Inszenierung bleibt bei allem konkret, aber dringlich und dreckig – ein brutaler Umschwung von Kontschalowskis früheren sowjetischen Werken, wie der Theater-Adaption „Onkel Wanja“ oder seinem Fünf-Stunden-Epos „Sibiriade“. Hier schneidet er mit geringer Künstlichkeit, aber unmissverständlicher Härte rein – und holt auch ungeniert, aber nicht überbordend, dröhnend-elektronische Töne ins Boot, um den Zuschauer noch tiefer in den Abgrund zu ziehen. Drum wiegt der Gedanke der Flucht umso schneller. Da handelt Manny stellvertretend für alle, es herauszuschaffen und Rankens Macht in der Befreiung aus dem Tiersein zu unterminieren.

Mit dabei: der jüngere Hitzkopf Buck (Eric Roberts). Er malt sich Träume von einem besseren Leben jenseits der Gefängnismauern aus und sieht im Gelingen des Entkommens seine Chance. Doch so wie sie sich schon eingeschmiert durch den Gestank der Kanalisation und der Kälte der aussichtslosen Schneemassen kämpfen müssen, sollte er die Vorzeichen schnell erkennen: Man lebt zwar in Freiheit, aber frei ist man noch lange nicht. Da ist man lediglich ein Tier in freier Laufbahn, als Vagabund ins ewige Fegefeuer unterwegs, nur in diesem Fall wenigstens nicht auf eine Stelle fixiert. Drum schießt auch aus dem Nebel des Morgengrauens ein Urvieh von Zug heraus – vier Waggons des Schicksals, das unsere Flüchtigen anlockt, geradezu sofort den unwissenden Fahrer wegwirft und die Bremsen durchbrennen lässt. Zwischen abgestorbenen Bäumen und endlos weißen Landschaften rasend, geht es nämlich schnurstracks den Hades runter. Da fühlt man sich noch sicher, aber sobald der erste Gegenverkehr mitgezogen wird und die Lok eine Teufelsfratze der Zerstörung annimmt, gibt es keinerlei Zweifel mehr.

An den irdischen Schaltern sucht man derweil nach einer Lösung, wie man das Problem beseitigen kann. Hauptsache weg von bewohnten Gebieten, Passagierzügen und Kraftwerken – am besten auch gar nicht öffentlich preisgeben, dass etwas schief gelaufen ist, bei der modernen Technik, die man zur Eindämmung solcher Angelegenheiten eigentlich zur Hand hat. Hier geht es jedoch zivilisierter zu als bei Rankens Methodik. Schließlich bläst man die einfachsten Lösungen ab, sobald bekannt wird, dass sich noch Passagiere auf dem Zug befinden. Folglich lässt sich dann allerdings auch Ranken selbst hier blicken, um mit Gewalt seinen Nutzen daraus zu ziehen und den gejagten Besitz wieder einzukassieren. Und dass, obwohl er weiß, dass es keinen Unterschied machen würde; immerhin driftet der freigelassene Zug geradewegs ins sichere Verderben. Angesichts dessen brodeln in dessen Innereien die Konflikte, bäumen sich beim Durchbrechen jener Grenzübergänge Richtung Tod zu brüllenden Zweifeln auf.

Manny und Buck werden dabei aber auch von der letzten, hier verbliebenen Seele der Unschuld besucht, der Arbeiterin Sara (Rebecca De Mornay). Sie stellt den Mitgefangenen eine schier unmögliche Fluchtmöglichkeit in Aussicht, welche über die reißenden Löcher zwischen den Waggons ermöglicht werden könnte. Es entfesselt sich ein Drahtseilakt der Spannung, der nicht nur brenzliges Stuntwork vor die Kamera bannt, sondern ebenso die Eskalation des Lebenswillens aufscheucht. Buck zerbricht daran, wird von Manny zusammengetreten, bis bei diesem im gegenseitigen Kampf nur noch die Umrisse eines wahren Raubtiers übrig bleiben. Der humane Geist droht, sich zu verabschieden – und in dieser Erkenntnis bleibt schließlich die Ermattung, wie weit es überhaupt kommen konnte, wie weit der Terror dieser allgegenwärtigen Gefangenschaft einen herunter gezogen hat. Eine essenzielle Szene vom Wesen des Menschen, die in blanker Sprachlosigkeit zusammensackt, während draußen alles in ein einziges Weiß dahinweht.

Dabei spielt eine Variation von Antonio Vivaldis „Gloria In D Minor“ und drückt eine Universalität aus diesem mechanisch bedingten Überlebenskampf heraus, die natürlich selbst in den kriminellsten Gesellen des Planeten Erde schlummert und ebenso sterblich dem Ende entgegen trauert. Doch die Maschine kennt kein Erbarmen und knallt durch die letzten Barrieren, jetzt auch mit Ranken an Bord, der über Helikopter doch noch seine Beute zugrunde richten und ein Zeichen gegen den Widerstand setzen will. Aber obwohl Manny dafür alles verliert, seine letzten Kräfte und Finger aufbringen muss, koppelt er schließlich seine entschiedene Einsamkeit von Bucks und Saras fast versiegter Hoffnung des Überlebens ab. Er ebnet ihnen die Flucht in die Zivilisation, kettet sich stattdessen mit Ranken an die letzte Freiheit im Leiden. Das Weiß verschlingt sie, während die anderen Gefangenen ihren Märtyrer in der metaphysischen Blende spüren, auf ihn schauen und ebenso hoffen können, dass auch sie eines Tages im Freien leiden dürfen … als Menschen.

Andrei Kontschalowskis Film ist da eine strikte Veräußerlichung der Human condition, verpackt in einem großen und doch klaustrophobischen Genre-Abenteuer, das durchweg von einem konzentrierten Action-Setting profitiert, sein Potenzial zum Reißertum allerdings ausschließlich der charakterlichen Eruption in den Höllenschlund anpasst. In jener atmosphärischen Stringenz fruchtet sodann die einvernehmende Beziehung des Zuschauers zum Film und seinen Anti-Helden. Voller Schwächen und räudiger Schnauzen wird deren grausame Reise eben schnell eine grundlegend menschliche Erfahrung. Eben so schnörkellos und effektiv etabliert, dem allgemeinen und alltäglichen Verständnis angepasst, dass sich erst keine Prätention entwickeln kann. Was wird da geflucht, geblutet, mit Öl und Pisse rumgesaut; was für hässliche Fetzen trägt man da ohne Schuhe durch den Eissturm hindurch, während die dreckigen Zehen aus den Strumpflöchern herausschauen; wie rotzig gafft man da seinem Gegenüber ins erfrierte Gesicht und scheißt ohne Erbarmen auf seine naiven Ideale.

Dieser „Express in die Hölle“ schert sich eben zum Teufel und beherbergt in sich trotzdem noch immer menschliche Seelen, die das Brennen erwarten – ob nun als grauenvolles Ende oder als Erlösung. Der unaufhaltsame Rhythmus dieses Zuges zeigt eben so einiges über jeden von uns auf, treibt uns mit Höchstgeschwindigkeit an emotionale Grenzen und schöpft tief verborgene Geheimnisse unseres inneren Zustandes, auf dass man als Zuschauer mit durch und durch hässlichen, aber gerade dann nicht minder wertvollen Kerlen resoniert. Ein skrupelloses Meisterwerk abseits der Norm – wenig beachtet und auch gar nicht auf Beachtung ausgelegt, aber dennoch eine ungestüme Eigenmacht. Ein echter Lieblingsfilm.

Meinungen

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Bisherige Meinungen

Yannic
20. Dezember 2014
10:16 Uhr

Ein Mordsding von Film!

20. Dezember 2014
11:22 Uhr

In der Tat ein sehr guter, aber leider viel zu unbekannter Film. Ich nehme diese Kritik mal als Erinnerung daran, ihn ueber die Feiertage mal wieder zu schauen, danke!

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