Verzweifelt, den Drogen verfallen, dem Alkohol zu lächelnd, korrupt und desinteressiert. Das schwarzmalerische Bild des amerikanischen Polizisten ist so stereotyp wie jedes Superheldenklischee. Doch ist die Verzweiflung, die jene Menschen heimsucht, ein Produkt ihrer Arbeit, ihrer Aufopferung für das „Gute“. Meistens sind sie mit Herz und Seele Gesetzeshüter, zeigen dem System zwar die kalte Schulter, aber ihre Loyalität gehört der Gesellschaft. Der Bad Lieutenant ist anders. Er ist ein abgefucktes Arschloch. Spiel- und drogensüchtig bis in die letzte, vollgedröhnte Vene seines Körpers.
Harvey Keitel ist jener „Bad Lieutenant“, dessen Name niemand kennt. Und eigentlich will ihn auch niemand wissen. Von diesem Bastard eines Menschen, der sich selbst verloren hat und in seiner eigenen Verzweiflung versunken ist, möchte man nichts wissen. Er hat Familie, ist sogar relativ angesehen in seinem Beruf. Immerhin ist er Lieutenant. Doch gleichermaßen zieht alles an ihm vorbei, was menschlichen Wert haben könnte. Seine Kinder will er loswerden, um sich die nächste Dröhnung noch im Auto vor der Schule geben zu können – und seinen Job nutzt er, um an den Stoff ranzukommen. Die Präsenz des Bad Lieutenant resultiert allein aus Keitels enorm physischer Darstellung. Sein stämmiger Körper, wenn er Jesuspose, mit geschlossenen Augen und vollkommen vollgedröhnt dasteht, wird zur metaphysischen Differenz zu seinem psychischem Auftritt als existenz- und rastloser Polizist. Er wankt, stöhnt, verzieht sein Gesicht leidend, ist aber doch so starr wie eine Statue. Regisseur Abel Ferrera wollte diese Szene aus dem Film nehmen, da ihm die Referenz zum Jesusbild zu auffällig erscheint. Doch genau hier erreicht Keitels Darstellung seinen Höhepunkt aus panischer Einsamkeit, die er sich nicht entziehen kann.
Seinen eigenen Schmerz lindert er, in dem er seine Macht ausspielt, seine Stärke demonstriert. Bei einer Verkehrskontrolle masturbiert Keitel fünf Minuten lang gegen das Auto zweier junger Mädchen, die sich ihm entblößen müssen. Er hält Abstand, vergewaltigt sie nicht. Immerhin befindet er sich gerade in einer Ermittlung, in der eine Nonne vergewaltigt wurde. Das geht doch gegen jede moralische Vorstellung, könne man meinen – doch ob ihn das wirklich interessiert, ist zweifelhaft. Auf offener Straße, im Hintergrund der Verkehrslärm, sieht der Bad Lieutenant keinen Grund, seiner sexuellen Befriedigung zu entfliehen. Denn eigentlich ist er nicht auf schnellen Sex aus. Im Delirium tanzt er nackt mit zwei Prostituierten, sucht die Nähe, will Geborgenheit von anderen Individuen. Alles, was er zu Hause nicht mehr bekommt. Seine Frau ignoriert ihn, so kauft er sich alles, was er braucht. Drogen, Zuneigung, Gewinn. Manchmal versucht er sich in das Leben seiner Familie zu integrieren, will seine Kinder sehen, sie beobachten, ein Teil von ihnen sein. Doch ist er wie ein Splitter in der Haut: ein Fremdkörper. Unerwünscht.
Während er durch das verkommene New York taumelt, in einem Geisteszustand zwischen absolutem Wahnsinn und suchender Leidenschaft, wirkt er wie ein Teil dieses Monstrums von Stadt. New York ist genauso heruntergekommen, zerstört und böse, wie es der Bad Lieutenant ist. Drogen, Korruption und Sex. New York kann sich daraus nicht befreien, da es davon beherrscht wird. An jeder Ecke siecht das heruntergekommene Böse vor sich hin. Die Menschen hingegen, versunken im Sumpf, können sich befreien. In dem sie Erlösung suchen. Die religiöse Metabene, die Ferrara aufruft, ist ein wiederkehrendes Element des katholischen Regisseurs. Doch hier mutet die Kontinuität, in dem er religiöse Aspekte anspricht blasphemisch, fast schon heuchlerisch an. Die offenkundige Demut vor göttlicher Autorität, lässt die Diskrepanz zwischen der Bösartigkeit der Figur des Bad Lieutenants und der eigentlichen Erlösung des Glaubens verschwinden. Der Lieutenant ist so wenig religiös, wie der Glauben als gutes Symbol genutzt wird. Hier gibt es nicht Gutes, nichts, was die geschundene Seele eines zerstörten Menschen wieder heilen könnte.
Einsamkeit bestimmt die Größe New Yorks und Präsenz des Lieutenants. Niemals mehr als verlassener Mann, dem so viel Gutes abhandengekommen ist, dass er selbst nur noch an das Schlechte in sich glaubt. Und das stimmt. Denn trotz aller verlorener Menschlichkeit, die vielleicht eines Tages wieder zurückkehren könnte, ist der Bad Lieutenant nichts weiter als ein böses Geschwür. Er schadet dem Guten, verschlimmert das Schlechte und verseucht alles, zu dem er gehört. Umso besser, wenn die Einsamkeit sein Leben bestimmt, und die Traurigkeit ihn atmen lässt.
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