Thomas McCarthys „The Cobbler“ erweitert unsere Ode an die Hüter der Menschlichkeit – so außerirdisch sie manchmal auch sein mögen. Ein Hoch auf die Superhelden!

Es gibt traurige Männer – und es gibt Männer, deren Trauer gleich eines Hagelschauers aus ihren Poren perlt. Männer wie Max Simkin (Adam Sandler). Diese Männer sitzen in der Bahn, als ob sie in Andrei Kontschalowskis „Express in die Hölle“ sitzen würden. Dann aber gibt es wiederum Männer wie Thomas McCarthy, die nicht an diesen Männern vorbeiblicken, sondern ihnen im Zug gegenübersitzen und sie beobachten. Und sich dabei Geschichten erträumen, die aus der Melancholie dieser Männer etwas formen, dass sie zu Superhelden reifen lässt: Aus großer Kraft folgt eben große Verantwortung. Doch die Verantwortung des Schusters Max Simkin, der ein Geschäft an Manhattans Lower East Side in vierter Generation führt, liegt einzig in den Schuhen, deren Sohlen er löst und Korkausballung er wechselt.

Die Verantwortung des Regisseurs Thomas McCarthy liegt dagegen in Kleinoden, die nicht repariert und nicht kreiert werden können. Entweder sind sie da – oder sie sind es nicht. Daher schüttelt es McCarthys vierten Spielfilm „The Cobbler“ auch bis zum Herzinfarkt der Entscheidungslosigkeit. Weil Max’ moderne Nähmaschine nämlich kapituliert, schickt er das antike Gerät seines jüdischen Ururgroßvaters an, die abgegebenen Schuhe zu flicken. Und siehe: Das Relikt setzt nicht nur die Sohle an den Schuh, sondern auch den Träger in einen anderen Menschen. So spaziert Max fortan als Chinese durch Chinatown, begeht als schwarzer Gangster Raubzüge und stiehlt als blonder Jüngling Herzen. Eben das gesamte ethnische Stereotyprepertoire. Womit folglich ein anderer Film beginnt als jener typische McCarthy, der mit dem kleinwüchsigen Finbar in „Station Agent“ Züge beobachtete oder dem alternden Professor in „The Visitor“ das Spiel auf der Djembé imprägnierte. Sie alle eint die Trauer – und das Herz eines Regisseurs, der ihnen mit jeder Geste rücksichtsvoll naiv begegnet.

„The Cobbler“ allerdings spielt mit Chuzpe vor, was passiert, wenn Thomas McCarthy nicht mehr nur versucht, das zwischenmenschliche Beieinander mit all seinen dünnen Knospen zu fassen, sondern mit Macht zu strecken – auf Betrug, Politik, den Verlust flexibler Lebensräume, auf Schemata und Klischees, die in Gimmickry ertrinken. Max wandelt nun zwar in den Schuhen seiner Kunden als äußerlich anderer Mensch durch die Straßen, verpflichtet sich aber eines Aktivismus, der bei McCarthy prinzipiell zu nichts führen kann, weil er zu nichts führen darf. Jede Figur in seinem Œuvre muss sich der Realität stellen. Aber herausfordern darf er sie nicht. Als „The Cobbler“ gen Mitte also einen Scheitelpunkt erreicht, der nach modernen Genre-Konventionen eine Weggabelung verlangt, entscheidet er sich für die Trivialspur. Für Simplizität. Für einen obskuren Hokuspokus, der sich wie ein Schnellzug anfühlen sollte, doch wie eine Katastrophe des seichten Geschmacks wirkt. Es geht nicht mehr nur um einen Mann, dessen normales Leben zu nichts führt. Der Mann muss nun konkret etwas bewegen, weil er seine Form wandeln kann.

Wohin McCarthy irrt und warum er meint, dorthin irren zu müssen, bleibt unklar. Immerhin ist Max Simkin am Ende kein trauriger Mann mehr. Wie kann er auch, wo er nicht mehr nur in einer Erinnerung lebt, sondern jetzt einen Auftrag hat, eine Bestimmung? Max Simkin ist „The Cobbler“ – und lebt seine neue Verantwortung als Superheld des kleinen Mannes aus, der sich nach einem anstrengenden Tag einige Essiggürkchen zur Stärkung gönnt. Wie passend – ist doch auch der Film eine ziemliche Gurke. Besser aber, wenn er ein Burger wäre, sein Brötchen mit Sesam bestreut und im Inneren mit Fischstäbchen, Rucola, feinen Würfeln Maroni und Gewürzgurken belegt wäre. So waren sie nämlich bislang, die Filme Thomas McCarthys: krude, aber sättigend.

Meinungen

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