Mark Hartleys Dokumentarfilm „Electric Boogaloo“ steigt geradlinig in das Wirken des berüchtigten Golan-Globus-Gespanns ein. Mittels eines selbstbeweihräuchernden Showreels wird man nämlich schnell Zeuge einer rücksichtslosen Philosophie, mit der die Filme des Duos entstanden – und sie tönt aus allen Lautsprechern: „Winner Takes It All!“ Im Folgenden wird anhand von zahlreichen Zeitzeugen ein umfassendes Bild der israelischen Schwergewichte chronologisiert, die mit der Produktionsfirma Cannon Films zum Gipfel des Exzesses hinaufstiegen und nicht anders konnten, als vor massiven Schulden zu landen. Ein Narrativ, das Hartley mit seinen vorangegangenen Dokumentarfilmen über den australischen Exploitationfilm („Not Quite Hollywood“) und philippinische Sleaze-Reißer („Machete Maidens Unleashed“) ähnlich erzählte und auch hier mit frenetischer Schnittlust aufbereitet. Doch nirgendwo sonst passt sein rasantes Erzähltempo für abgefahrene Anekdoten und im Kontext verordnete Filmclips, da diese bar jeder tieferen Erforschung schon Beweis genug für die Unfassbarkeit Cannons sind. Jene Marke hatte es sich eben zum Ziel gemacht, größer als das Leben zu sein, so viel Output zu liefern wie nur möglich, alle Genres und Stars zu ergreifen und auf die Zielgerade abzufeuern.

Alles begann dabei wie so vieles im Leben mit einem Enthusiasmus, der keine Grenzen kannte: Das Zelluloid lockte – und Menahem Golan und Yoram Globus waren schlicht verrückt danach. In der Schaffensfreude wurde also versucht, einen Anschluss ans Publikum zu finden. Für die im Grunde amateurhaften, doch ambitionierten Cousins Golan und Globus hieß das, dem gerecht zu werden, was sie liebten, aber auch fern besseren Verständnisses zu emulieren, was „gute“ Filme überhaupt ausmachen. Vor allem mit der stets verkäuflichen Zutat Sex (beispielhaft: die „Eis am Stiel“-Reihe) gelang nicht nur der erste Großerfolg zu Hause in Israel, sondern bald auch der Sprung nach Amerika. Dort kam es zum entscheidend knalligen Versuch, die Mentalität des heimischen Filmwesens auf die Erwartungen des breiteren Publikums zu adaptieren (beispielhaft: das „Eis am Stiel“-Remake „Die letzte amerikanische Jungfrau“). Und dafür erfanden sie ihre eigenen Strategien, welche ihrer Ansicht nach mit dem kontemporären Kinobusiness mithalten konnten, aber natürlich jenseits der Gürtellinie gingen.

Ein endloser Strom an Billigproduktionen wurde wie vom Fließband abgeschissen (wie es der ehemalige Mitarbeiter Richard Kraft ausdrückt), machte sich aber anhand von Presales der Auslandsrechte auf der Croisette in Cannes zunehmend einen Namen und entwickelte sich im Verlauf der Jahre zu einer ganz großen Werbeschau. Da wurden auf Tischdecken Verträge abgeschlossen sowie mit bloßen Postern gehandelt, ohne dass Story oder Stab zum jeweiligen Filmtitel feststanden – ob nun Charles Bronson, Chuck Norris oder Michael Dudikoff am Ende unterschrieben, war zunächst egal. Auf der Gegenseite stand die kreative Grenzenlosigkeit, die Golan und Globus ihrem Fundus an Talenten zugestanden, wenn diese sich auch meist darauf beschränkte, wie die außergewöhnlichen Forderungen der Beiden in möglichst verkäufliches Material umgesetzt werden konnten. So kam im blinden Vertrauen reichlich Hanebüchenes und Wildes zustande – sogar ab und an starke Autorenfilme wie John Cassavetes’ „Love Streams“ oder Andrei Kontschalowskis „Express in die Hölle“. Doch den Großmeister des filmischen Wahnsinns fand Menahem Golan natürlich in sich selbst als Regisseur. Seine Werke „Star Rock“, „Delta Force“ und „Over the Top“ stehen als bezeichnend verrückte Glanzstunden des Studios. Und Mark Hartley stellt deren überschäumende Taktlosigkeit so aufgegeilt in den Raum, wie er sie auch mit mehr oder weniger vorteilhaften Zitaten über Golan ausschmückt.

Diese Attribute heftet er aber auch jedem vorgestellten Film an. Dabei glauben selbst die Beteiligten kaum, wie sich diese Blase manischen Filmemachens beständig steigern konnte. Das macht natürlich Lust auf mehr – denn so müssen sich auch Golan und Globus gefühlt haben, denkt man sich als allmählich ebenso süchtig werdender Zuschauer. Dann gibt es aber auch kein Halten mehr: ein extremes Exempel der Cannon-Filmgeschichte reiht sich an das nächste, überwältigt und zerplatzt die Netzhaut, bis schließlich alles unbezahlbar, aber trotzdem verwirklicht wird. Hauptsache, man hinterlässt einen Stempel im Bewusstsein des Filmmarkts und zieht sein Ding im risikoreichen Anpacken der Massen durch. Die finanzielle Fehlkalkulation war damals natürlich unausweichlich, denn in der Sucht kann das einzige Ziel nur in Scherben liegen. Am Ende herrschte hauptsächlich Quantität über (subjektive) Qualität, bevor überhaupt jemand zur Einsicht kam. Deshalb ging es nach dem Tode Cannons und der Trennung von Golan und Globus auch nahtlos weiter: Jeweils neue Produktionsfirmen und konkurrierende Spielfilme über den populären Lambada-Tanz zogen ihre Bahnen.

Wäre Menahem Golan 2014 nicht verstorben, würde er sich also noch immer ans Filmemachen drängeln. So wie man ihn hier in Archivaufnahmen beobachten kann, haben ihn die Spuren des Alterns jedenfalls nicht aufgehalten, stets seinen vorlauten Kopf durchzusetzen und mit abstrusesten Ideen zu schockieren. Und auch wenn das von ihm mitbegründete Cannon-Imperium zerschellte, bleibt immer noch das Erbe, die Faszination und das Pathos zum unbeholfenen Underdog kompromissloser Schaffensfreude. Vieles davon sieht rückblickend nicht gerade schön aus (auch was die leicht verbitterten Karrieren der Mitwirkenden betrifft), mag weder politisch korrekt noch überhaupt künstlerisch taktvoll sein. Jedoch hallt dieses Echo ausgelebter Naivität nicht nur sehnsüchtig nach, es packt einen immer noch mit festem Gebrüll an den Eiern und schleudert diese mit rotzigem Tempo durch. Mark Hartley geht in der Vermittlung dessen ebenso aufs Ganze, hält keine Distanz und beschränkt sich nicht auf Relevanz. Das Triviale ist hier fundamental, selbst im atemlosen Scheitern. Cannon lebte in seiner Größe einmal – aber einmal reicht für die Ewigkeit.

Meinungen

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