Im Repertoire der Beach Boys gibt es einen Song, da geht es um „Fun, fun, fun till her daddy takes the t-bird away!“. Was als unschuldiger Zeitgeist die Ätherwellen beglückte, ist eigentlich allzu bezeichnend für das Leben des Bandleaders Brian Wilson, dem wir in „Love & Mercy“ beiwohnen dürfen. Bill Pohlads Film hebt sich insofern vom gängigen Musiker-Biopic ab, dass er ein Psychogramm seines Protagonisten anhand paralleler Zeitlinien greifbar macht und dabei weniger die Abarbeitung von entscheidenden Karrieremomenten verfolgt, als eine Geschichte mentaler Verzerrungen aufzuziehen. Das poppige Zeitkolorit enttarnt sich dabei schnell als nicht weiter beachtenswerte Oberfläche – vielmehr veräußerlicht sich das Innenleben Wilsons (Paul Dano) für den Zuschauer im Wandel der Zeit.

So zeigt sich uns ein missbrauchter Geist, der in seine Welt der Geräusche kehrt und diese zumindest in den engen, doch unbegrenzten Wänden des Studios umsetzen kann. Dort findet der Film auch immer einen Schaffensprozess, der ohne aufdringliches Pathos in der Darstellung eines jungen, gestörten Talents wirkt – allein deshalb, weil diese Szenarien mit einer 16-mm-Handkamera spontan eingefangen werden und einen abgeklärten Realismus aufweisen. Die persönliche Erfüllung Wilsons muss darin nicht explizit ausgesprochen werden, weil Pohlads Inszenierung sie einfach zeigt und zudem das Wirken einer individuellen Handschrift abseits professioneller Norm rekreiert. Doch dieses Vakuum künstlerischer Freiheit steht noch immer einem omnipräsenten Widerstand gegenüber, der unter anderem aus der mangelnden Unterstützung des Vaters aufbricht und sich danach in einem Nervenzusammenbruch manifestiert.

So motiviert der Film auch seine Überschneidung mit dem Brian Wilson der Achtziger und Neunziger (John Cusack), der in der kontrollsüchtigen Obhut des Therapeuten Dr. Eugene Landy (Paul Giamatti) vergraben liegt und sich deshalb allmählich der liebevollen Bekanntschaft mit Melinda Ledbetter (Elizabeth Banks) öffnet. Unter der von Medikamenten und Beobachtung bestimmten Kontrolle Landys gelingt Wilson nichtsdestotrotz eine ehrliche Aussprache zu seiner Vergangenheit und seinen Problemen – nur eben die gegenwärtigen Umstände werden von ihm nicht entsprechend wahrgenommen. Die Tragik seiner Person spiegelt sich aber keineswegs in einem mitleidigen Spiel Cusacks wieder, der ohnehin seit Langem endlich wieder eine komplexe Persönlichkeit authentisch darstellen darf. Stattdessen liegt die Reflexion bei Melinda, die im Gegenlicht von Wilsons Schicksal nur zum Schock ansetzen kann.

Regisseur Pohlad dringt dort intensiv in den Charakter vor und zieht die Spannung im Angesicht missbräuchlicher Widerstände an einem Mann auf, der zeitlebens in kindlicher Unschuld gefangen steckt und von Vaterfiguren seelisch ausgebeutet wird; der Außenstehende und Geliebte von sich abweist, damit diese an seinem Bruch nicht ebenso zerbrechen. Die audiovisuelle Vermittlung (unter anderem mithilfe eines Scores von Atticus Ross) stellt sich aber nie über die Belange des Charakters, sondern unterstützt sie mit gemäßigter und dennoch effektiver Sinnlichkeit. Die Montage übernimmt dabei nur eine mentale Surrealität, die zwar gleichsam aussperren und in brutale Tiefen vordringen kann, aber auch keinen spekulativen Schauwert abgibt. Sie hängt sich ohnehin nicht permanent ins Gewissen des Zuschauers, sondern beleuchtet auch die gutmütige und freudige Seite Wilsons – erst recht im Zusammenspiel mit seinen Brüdern und Cousins, die sich gemäß ihrem Image auch mal ausgelassenem Quatsch hingeben.

Speziell zur zweiten Hälfte des Films entwickelt sich zudem noch ein Zusammenspiel eskalierender Geisteszustände mit dem wütenden Schauspiel Paul Giamattis. Seine Rolle des immer abscheulicheren und antagonistischen Landy gibt vor allem im Kontrast mit der gnädigen Melinda Ledbetter einen Brüllaffen ab, der mit dem jüngsten Camp eines Christoph Waltz in Tim Burtons „Big Eyes“ vergleichbar ist. Währenddessen verengt sich auch die psychedelische Spirale des Wilson’schen Geisteszustandes in der problematischen Phase zwischen dem Album „Pet Sounds“ (1966) und der erst 2004 erschienenen „Smile“-Platte, die mit himmelhohen Ambitionen und negativer Resonanz immer mehr an seinem Nervenkostüm zerrt. So zeigt sich eine innere Konfrontation im Wechselspiel verschiedener Epochen, die allesamt zusammenfließen und verstören und nach einer Hoffnung streben, die zumindest in der Musik Realität werden kann. Diese Kombination von Regisseur Pohlad geht unfassbar aufs Ganze und arbeitet eigenständig krude – doch sein Ansatz fühlt sich als einzig wahre Option an, der Persönlichkeit Wilsons gerecht zu werden. Eben weder übermäßig handzahm noch sensationalistisch, aber auch angemessen überdreht und entschieden uneben. Ein ungewöhnliches und kaum objektives Unikat, das sich nicht so leicht aus dem Kopf verbannen lässt.

Meinungen

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Bisherige Meinungen

13. Juni 2015
22:47 Uhr

Bill Pohlads „Love & Mercy“ ist ein Wunder der Komprimierung: Denn es gibt nicht nur zwei Zeitebenen, deren Verbindungspunkte konträr zueinander in der Mitte aufeinanderprallen und an ihren Rändern wieder auseinander treiben, sondern auch einen Protagonisten, der von zwei gänzlich verschiedenen Schauspielertypen – noch dazu gleichsam großartig (obwohl sich bei Cusack die Frage stellt, mit wem er weniger Ähnlichkeit hat: Wilson oder Dano?) – porträtiert wird. Aber über die Musik Brian Wilsons erzählt der Film auf eigenartige Weise so viel wie auch wenig. Mehr als um eine konkrete Umsetzung der Diskografie geht es Pohlad nämlich darum, über den Prozess der Einstehung und Zerstörung eines Genies zu berichten. Und wie die Lieder der Beach Boys da unter Atticus Ross und einem fanatischen Klangteppich (ein Hoch auf alle, die an Tonschnitt und -mischung feilten!) zusammenkommen, ist faszinierend, erschreckend, psychotisch und fragil. Wie Wilson selbst.

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