Was groß ist, war einmal klein; was Lüge, einmal Wahrheit. Einst, als Riesen wie Bohnen aus Alice’ Wunderland sprossen, umspülten die Geschichten Tim Burtons Illusionen von der Liebe, von Wahnsinn, Fabulierlust, Obskurität und Perfektion. Doch „einst“ ist nicht mehr. Denn der Meister der Puppenkiste und sein Wille: Sie sind hinfort. Wo ehemals in allem eine wundersame Fabel über die Unzulänglichkeiten des Lebens hauste, ist nun lediglich Egozentrik über, die wie ein Drops schmeckt, der aus reiner, anorganischer Chemie besteht; von dem man fett wird, doch kaum satt. „Big Eyes“ zeigt dabei immerzu das Gewöhnliche: Mann und Frau, die zu Ehemann und Ehefrau werden, lieben, malen, zanken, bis sie sich letztlich scheiden. Darin wohnt durchaus die Tragik früherer Burton’scher Werke inne – nur dass sie hier nun wirkt, als ob der Stift zwar noch der Hand folgen möchte, nicht aber mehr Kopf und Herz. Seltsam auch, dass der Film wie eine Auftragsarbeit scheint, doch nur rund zehn Millionen Dollar gekostet haben soll.

Selbst Burtons „Planet der Affen“ aus dem Jahr 2001 funktionierte damals wie heute wenigstens als Studioprojekt mit Wanzen und Läusen, welches die Urmacht der Technik inszenierte, indem es sie zur Schau stellte. Was da nicht alles an Arroganz, an maskierter Qual und krampfhafter Willkür steckte, die sich niemals sorgsam aufbaute, sondern gleich ihrer Affen mit Zeter und Mordio über die Leinwand wühlte. „Big Eyes“ fühlt sich dagegen wie ein Film über die Trennung von Realität und Fiktion an, die letztlich scheitern muss, weil es einzig darum geht, eine Ironie einzustreuen, welche die eigene Filmografie persifliert. Dieses Kalkül der Trennung gab es ebenso schon: nämlich in „Big Fish“, der Adaption des gleichnamigen Romans von Daniel Wallace, die von Kosmopoliten und Landeiern erzählte – mit all dem Pomp, der Romantik und den närrischen Wesen, die seit jeher in den Welten Tim Burtons spazierten, als könnten sie anderswo nicht überleben. Was vermutlich stimmt, „Big Eyes“ allerdings noch bedauerlicher werden lässt.

Das einzig Irre an Burtons aktueller Œuvre-Ergänzung sind tatsächlich die Titel gebenden großen Augen, welche in den frühen sechziger Jahren als so liebens- wie hassenswerte Objekte in die Popkultur eingingen, dass nur einer wie Tim Burton sie irgendwann im neuen Jahrtausend ausgraben konnte. Ein Zitat Andy Warhols vorangestellt – und fertig ist der biografische Abriss des Lebens von Margaret Keane, der Mutter von den Straßenkindern mit Rehkitzblick. Wie alle Burton’schen Protagonisten leidet auch sie; steht erst unter dem Pantoffel der Gesellschaft, die kein Interesse an ihren Bildern hegt, und später unter dem Pantoffel ihres Mannes Walter, der ein Interesse an ihren Bildern hegt und dieses auch endlich der Gesellschaft indoktriniert. Nur steht auf den Gemälden der Name Keane, welcher fortan mit Walter und nicht mit Margaret verknüpft wird. Was auch daran liegt, dass der Ehemann lediglich verkaufen, die Ehefrau lediglich malen kann. Für den Erfolg des einen und das Geld beider nimmt Margaret die Lüge in Kauf, bis sie ihre künstlerische Identität dadurch zusehends infrage gestellt sieht. Es folgt Emanzipation, es folgt Befreiung, es folgt Coming out. Ein Fressen für Presse und Publikum. Aber es schmeckt als Film nicht.

Unter dem milchigen Schleier Bruno Delbonnels liegt nämlich nicht viel mehr versteckt als ein Platzhalter für eine wesentlich intimere, emotionalere Auseinandersetzung über Kreativität, Schöpfung und den Zwiespalt, der aus der Frage nach Kunst oder Kommerz resultiert. Wie in einem gutgläubigen Märchen taucht Burton in die Naivität einer Frau ein, die nichts mehr möchte, als für ihre Arbeit adäquat bezahlt zu werden. Davon träumt die Frau ja heute per se immer noch. Einer Form unterliegt „Big Eyes“ jedoch nicht mehr – auch keiner, die es später zu biegen, zu brechen, zu deformieren gilt. Der Zuckerguss besteht aus Walter Keane und Margaret Keane; und deren Personifikationen durch Christoph Waltz und Amy Adams. Doch Waltz ist als Walter Keane größer als das Leben, sein Spiel niederringend, ohne Zweifel, Charme, Fokus und tonale Färbung. „Big Eyes“ sollte eigentlich Amy Adams’ Film sein, so graziös, geradezu Monroe’esk, wie sie ihre Margaret zweifeln und ihre großen Augen die Welt einnehmen lässt. Am Ende wirft der Mann einen überdimensionierten Schatten auf die Frau – wie im Leben, so im Film.

Dabei ist „Big Eyes“ vor allem der wohl traurigste Film über das Schaffen eines Künstlers, dessen Weltsicht lediglich noch von Kommerz und Plagiarismus beherrscht wird. Nicht nur Walter Keane ist dieser Künstler, auch Tim Burton ist es. Eine schmerzliche Erfahrung.

Meinungen

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