Herman Melvilles „Moby Dick“ ist nicht nur aufgrund der Größe seines Titel gebenden Wales eines der bekanntesten Werke der Weltliteratur und ebenso ein Stoff, der genauso oft verfilmt wurde wie der Fundus der Gebrüder Grimm. Weil sich schlaue Filmproduzenten aber nicht die Scham des bloßen Remakes auf die Kappe schreiben möchten und gerne die Lizenzkosten berühmter Vorlagen umgehen, kommt „Im Herzen der See“ dorthin zurück, wo die Realität Melvilles Fiktion inspirierte. Ironischerweise greift Regisseur Ron Howard dafür auf ein computergeneriertes 3-D-Spektakel zurück, während das Drehbuch die Reise des ersten Steuermanns Owen Chase (Chris Hemsworth) zum Actionabenteuer stilisiert, das als Rückblende zweierlei Zwecke erfüllt: Zum einen will Melville selbst (Ben Whishaw) nach Wahrhaftigkeit streben, zum anderen misst er sich stets mit aus seiner Sicht besseren Autoren und glaubt, diese nicht übertreffen zu können. Somit hat er offensichtlich seinen eigenen Wal zu bezwingen beziehungsweise muss lernen, über seinen Zweifeln zu stehen. Wie er dies über den Werdegang von Chase verinnerlicht, ist aber nicht stimmig, da es dort eher darum geht, die Wahrheit aufrechtzuerhalten, als sich dem Giganten des Zweifels zu stellen.

Da Letzteres somit als Pflichterfüllung für die Schauwerte einfließt, besitzt es im Kontext wenig Gewicht – auch weil die überproportionierte Effekthascherei bedingt Bodenständigkeit übrig lässt. Howard gibt in dieser Hinsicht schnell den Ton an. Sein Hafen um Nantucket Anfang des 19. Jahrhunderts erinnert ohnehin vielmehr an Tim Burtons „Sweeney Todd“ und mutiert per 3D zum grün gefilterten Modellstädtchen, in dem sich unsere Haudegen wie Fremdkörper einfinden. Also stellt man sich auf eine plakative Sause voll plakativer Charaktere ein, die sich einen Bombast an Seemannsgarn und Abziehbildern der Männlichkeit zusammen knotet. Wahllos eingeworfene, extreme Weitwinkel- und Nahaufnahmen des Geschehens verstärken den Eindruck zum Reißerischen. Chris Hemsworth macht dabei seiner Statur entsprechend eine markige Machofigur, von der man in jedem Moment erwartet, sie würde eine Kartoffel mit der bloßen Hand zerquetschen. Ganz überzeugend kann er das Raubein nicht verkörpern – aber zumindest einen Typen, der Wale wie ein auf Wellen reitender Held aufspießt, als posiere er für die schönste Bierwerbung diesseits des Atlantiks.

Im Vergleich dazu kann der sozusagen eingeborene Kapitän George Pollard (Benjamin Walker) nur verlieren; erst recht bei der Mannschaft, die Chase besser zu handhaben weiß. Pollard ist als Pflichtherr nur Spielball der Finanziers, denen es bei der Erringung des Walöls hauptsächlich um Profit und weniger um die Menschen geht. Folglich ist er mit einem humanen Umgang nicht vertraut und zwingt seine Mannschaft zu irrationalen Manövern, sofern man diesen Schluss aus der spärlichen Charakterzeichnung des Films ziehen möchte. Am Interessantesten wiegt, wie der Film seine Relevanz im kontemporären Kinoangebot erbaut, wenn er Parallelen zum Irakkrieg herstellt und diesen auf Umwegen kritisch hinterfragt. Hauptsächlich orientiert sich der Film allerdings an einer Levelstruktur, die beim bloßen Segelsetzen überinszeniert wird, bald in den Sturm digitaler Wellen und schließlich in den Bann explosiver Flossen gerät.

Es ist zugegebenermaßen unterhaltsam, wie Howard den Reißer auf hoher See voll berstender Trommeln euphorisiert und seine Kerle sogar mit Genuss zum Ekel in die Eingeweide der Meeresgiganten steigen lässt. Ungefähr ab der zweiten Hälfte folgt aber ein Bruch in der Dramaturgie: Seine Heroen stranden und führen einen Überlebenskampf im Trockenen auf, der einen Herzschmerz verlangt, den wir auf dem überbordenden Spielplatz des Abenteuers bislang nicht kennengelernt haben. Dass Chase als zentraler Sympathieträger am ehesten in den Fokus des Zuschauers gelangt und ebenso Höllenqualen erleiden muss, ist noch im Ansatz effektiv, auch da Hemsworth für diese Sektion immens abspecken musste und somit Ambition und Aufopferung im Schauspiel vermittelt, die der Film jedoch nicht leisten kann. Dieser bemüht weiterhin dieselben extremen Einstellungen der vorangegangenen Hälfte und versucht im zumindest etwas gedrosselten Tempo deren grelle Dynamik, bis die Inszenierung ihrem Sujet gegenüber gleichgültig ist.

Für Gefühlsnähe ist es ohnehin zu spät, sobald sich der Cartoon-Wal seinen Weg durch mehrere virtuos zerbröselte Holzschiffe macht, denen unsere Darsteller nur per Greenscreen hinterher trauern können. Wenn am Ende dann auch noch jede Einzelgeschichte nach „Herr der Ringe“-Manier abgeschlossen werden muss, überkommt einen die Erkenntnis, dass alles Neue an dieser „Moby Dick“-Variation weniger ausmacht, als die Vorlage bereitstellt – was auch daran liegt, dass Stil und Geschichte vollkommen verschiedene Ansätze erfordern. Wenn sich der Film seinem Hang zum 3-D-Actionabenteuer vollständig hingegeben hätte, könnte er vielleicht als einfacher Reißer absahnen. Basierend darauf kauft man ihm sein nachgeholtes Charakterdrama allerdings nicht ab. Im Rahmen einer standardisierten Hollywoodproduktion muss man auf solches Feintuning wohl leider verzichten – gemäß dem Fall, man erwartet Substanz. Howard will hingegen eher einen riesigen Wal entwerfen, als dass er dessen Öl destilliert.

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