Da wären wir wieder mal bei den Märchen angelangt. Ab und an braucht man diesen weit zurückliegenden Eskapismus, der einen von der Kindheit an begleitet. Auch wenn sich seine Fantasie meist auf furchterregender Moral gründet: Irgendwie kommt dennoch ein glückliches Ende zustande; jedenfalls hofft man darauf. Dieser Grundgedanke wird in der nicht gerade ersten Verfilmung eines jener Fabeln nach Grimm’scher Manier, „Rapunzel – Neu verföhnt“, aufgegriffen und mit goldenem Schein aufgepimpt. Als Nathan Greno und Byron Howard nämlich im Jahre 2010 diesen Animationsfilm unter dem Disney-Banner erschufen, war die Ära zeitgemäßer Fairytale-Adaptionen gerade erst im Anmarsch. Heute probiert das Studio erst recht alljährlich den Revisionismus bekannter Mär, jüngst mit dem Mash-up-MusicalInto the Woods“ oder auch „Maleficent“.

Vor all jenen Gimmicks des Umerzählens probierten Greno und Howard jedoch zunächst in aller Bescheidenheit das Neuerzählen. Völlig unbelastet behält man die Grundlinie des Kinderklassikers bei und webt aus dem schon vorhandenen Potenzial ein Maximum an Unterhaltung. Originale währen eben ewig. So schlägt auch ihr Erzählstil eine besondere Brücke zwischen alt und neu: Die Inszenierung folgt in Bildsprache, Choreografie und Schnitt einer waschechten Realverfilmung; die Charaktere und der visuelle Humor basieren hingegen wie seit jeher auf dem traditionellen Zeichentrick-Gestus des Studios. Solch ein Hybrid lässt sich effektiv am Computer entwickeln, doch die Voraussetzungen für jene Konstellation hatten vorher schon die Pioniere von Pixar sowie jene von Dreamworks’ „Shrek“ etabliert. Im Vergleich zum Letztgenannten strebt „Rapunzel – Neu verföhnt“ allerdings keine Ironie zum Altbekannten an, bedient sich aber gleichwohl einem etwas lockereren Umgangston.

Dass er aber nicht auf moderne popkulturelle Referenzen zurückgreift (abgesehen von einer Nennung Mozarts), beweist trotz Süßlichkeits-Stempel einen Respekt vor dem Stoff, der in der Umsetzung eine reizvolle Kombination entfaltet. Zusammen mit einem charmanten Erzähler beginnt die Geschichte in prägnanten Bildern, bei denen Zauber Egoismus und Hoffnung anzieht. Anhand einer güldenen Jungbrunnenblume wird die kranke Königin vor der Geburt ihrer Tochter geheilt, welche fortan Rapunzel heißt und die Kraft der Pflanze in ihrem Blondschopf beherbergt. Solch eine außergewöhnliche Erscheinung und wahrhaftige Superkraft bringt aber auch ein spannendes Schicksal mit sich – Märchen und Comics haben nun mal viel voneinander gelernt. Nun stiehlt die alte Gothel dem Königspaar nämlich das Kind weg; lässt es im hohen Turm einsperren, aufwachsen und tut so, als wäre sie die leibliche Mutter, welche ihre Tochter vor den Gefahren dieser Welt zu beschützen gedenkt. Die vorgeheuchelte Liebe basiert auf Eigennützigkeit: Sobald Rapunzel singt, erstrahlt ihr Haar und entfaltet heilende beziehungsweise verjüngende Macht. Gothel bleibt so ewig jung, während die inzwischen zu einer jungen Frau herangewachsenen Rapunzel vom Leben abgekoppelt ist und dennoch von ihm träumt.

Die Sehnsucht erhält ein Ventil in schwelgerischen Liedern (Heimvorteil für Sprecherin Mandy Moore) sowie im eines Tages zufällig eintreffenden Dieb mit Herz aus Gold, Flynn Rider. Der hat entgegen dem gängigen Rollenmodell eines Prince Charming erst mal nur Augen für seine materielle Beute. Sie erpresst ihn jedoch damit, dass er sie im Gegenzug zum alljährlichen Laternenflug am königlichen Nachthimmel begleiten solle – ein Ereignis, dessen Hintergrund sie nicht kennt, sie aber seit Langem fasziniert. Diese Verträumtheit zum Unbekannten beinhaltet die poetische Ebene, dass jene Schau vonseiten des verzweifelten, doch allmählich abgeklärten Königspaares veranstaltet wird. Dieses hofft so in aller Stille, seine Prinzessin wiederzufinden. Die Filmemacher drücken da schon mit Geschick auf die Wunschknöpfe des Zuschauers zur Wiedervereinigung. Das mag zwar wie einfache Methodik erscheinen, dennoch wirkt der Film eher entfernt von forcierter Formelerfüllung. Einerseits entwickelt man eine natürliche Sympathie zum langhaarigen Sonnenschein, der von der einzigen Bezugsperson seit jeher hinters Licht geführt wird; andererseits überspielt der Film die bloße Reinkarnation des Märchens mit freimütigem Adaptionsgeist für clevere Pointen und einem selbstbewusst-bunten Ensemble.

Wo normalerweise Rollenmodelle sowie starke und schwache Geschlechter allein vom Narrativ her erwartet werden (siehe die berüchtigten Grobiane, vor denen Gothel Rapunzel warnt), kehrt Humor sie in herzliche Offenheit um. Es darf nun mal geträumt werden: vom Trivialen, von Grundbedürfnissen, vom Liebe- und Hoffnungsvollen. Für solche ungenierten Werte eröffnet sich dann auch das Abenteuer, in dem sich die Heldin sogar mit einer Pfanne verteidigt und mit einem zackigen Schimmel namens Maximus verbündet. Da entwickelt der Spaß ein vergnügtes Eigenleben und schwingt sich durch Wälder, Felsen und Wasserfallen. Die Erfüllung der Träume erscheint umso erwartungsvoller ebenso am Horizont. Jenes Glück ist gleichsam das des Zuschauers, welcher dank der Selbstverständlichkeit des Films in jener Hinsicht ganz große Augen macht. Alle machen nämlich in ergriffener Sprachlosigkeit mit und die Leinwand strahlt anhand tausender Lichter auf, die gleichzeitig im Herzen angezündet werden. Darauf kann der Egoismus der bösartigen Gothel nur mit Verrat und Täuschung auftrumpfen und das Glück zunichtemachen.

Die schlussendliche Konfrontation schlägt jedoch mit der Superkraft der Wahrheit zurück; jene Wahrheit, die man sich aus den Träumen erwünscht hatte und doch die Wiedererlangung des Vergangenen repräsentiert – eben auch die Wiederkehr der wahren Liebe und Freiheit. Das Märchen erklärt jenes Grundbedürfnis zum Wunder und zum unentbehrlichen Gut. Für wahr ein etwas alteingesessenes Konzept, aber garantiert nicht frei von aktueller Gültigkeit. Die Regisseure Greno und Howard müssen da nicht viel umordnen, um im Menschen anzukommen. Damit die Liebe frisch bleibt, als wäre es das erste Mal, wissen die Beiden sie jedenfalls mit herzlichem Elan neu zu verpacken. Das Gefühl bleibt dabei unverändert, doch trotzdem ehrlich und intensiv und tricktechnisch sowieso von erlesener Sorgfältig- und Kurzweiligkeit. Man kann also ruhig Märchen und Gefühle wiedererzählen, selbst wenn man sie schon kennt: Sie wickeln einen immer noch um den Finger, wie man sich auch an Rapunzels heilendem Haar heraufziehen kann. Danke fürs Mitnehmen!

Meinungen

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