Das Erste, was Rob Marshalls Broadway-Musical-Verfilmung „Into the Woods“ ganz unbeeindruckend darstellt, sind ordinäre graue Wolken; ein stilles Bildnis vom Alltag des Zuschauers. Dieser wagt aber nicht umsonst den Gang zum Eskapismus – und so setzt Marshall mit festem Schritt beziehungsweise Plätschern zum Frontalangriff in ein illustres Märchen-Universum an. Basierend auf der Vorlage von James Lapine und Songschreiber Stephen Sondheim wird hier die Melange der Fantasie betrieben und mehrere bekannte Geschichten der Fabelwelt im musikalischen Reigen zum Team-up kombiniert. Die Gemeinsamkeiten finden sich überraschend schnell, gemessen an den ausschlaggebenden Gründen des Wunsches in jener pseudo-mittelalterlichen Dimension, eingebunden zur Ouvertüre per Kamera, Schnitt und Gesang: Cinderella (Anna Kendrick) will aus ihrer sozialen Misere heraus dem Prinzen (Chris Pine) gefallen und daher zum drei Nächte anhaltenden Ball goldene Schuhe tragen; Jack (Daniel Huttlestone) – welcher später die magischen Bohnen erhält – hofft, seine Lieblingskuh nicht aus Armut verkaufen zu müssen; Rotkäppchen (Lilla Crawford) möchte der Großmutter mit ihrem Besuch eine Freude machen; allen voran wünscht sich der Bäcker (James Corden) mit seiner Frau (Emily Blunt) seit langer Zeit ein Kind.

Letzterer Handlungsstrang entstammt keinem gängigen Gute-Nacht-Narrativ, überspannt jedoch zwangsläufig das Gros an verwunschenen Charakteren und deren zu erfahrender Moral. So wie sich nämlich jene einzelnen Subjekte zum Gelingen eines Besitzanspruches bemühen, wenn auch hauptsächlich der Herzenserfüllung wegen, verlangt das Rollenmodell der bösen Hexe (Meryl Streep in unfassbarer Perfektion) persönliche Genugtuung – hier als Gefallen vom bewusst allgemein gehaltenen Pärchen an Bäckerleuten. Nicht umsonst hängt über diesem der Fluch der Unfruchtbarkeit, da der Vater vom Bäcker der Hexe einst so einiges aus ihrem Garten stahl und sie nun im Gegenzug ausgerechnet mehrere ikonische Elemente zur Aufhebung ihrer Sanktion fordert. Nicht fern von post-moderner Ironie wird so die Kettenreaktion des Cross-overs in Gang gesetzt. Das Fantastische motiviert/erpresst die Protagonisten des Proletariats zum Kontakt mit dem Zauberhaften sowie dem Grimm’schen Existenzialismus – ein klar ausgewiesener Sog für den Zuschauer; aber ebenso ein Motiv, das in allen hier dargestellten Subplots wiederkehrt, einen gemeinsamen Nenner finden lässt.

Ehe diese Erkenntnis jedoch über die Würfelfreude mit mehreren Quellen hinausgeht, wirkt zunächst der Humor am Treffen, Überspitzen und Umkehren der Erwartungen. Dieser wird geradezu mit schlafwandlerischer Sicherheit im Treffpunkt des großen Waldes abgehalten, sodass sich in ihm die Erzählstränge mit unbeschwerter Ellipse abstrahieren lassen. Schließlich hat hier jeder sein Kreuz zu tragen und seine Euphorie im Hinterkopf; drückt all jenes mit tänzelnder Stimmlage aus, wovon das Ambiente ebenso stimmungsabhängig strahlt oder sich entsättigt. Es wird mal warm oder kalt, je näher oder ferner man sich seinem Wunsch zubewegt; in jener Verkettung kreuzen sich zudem die Temperaturen, Ziele und Vorstellungen von der Zukunft. Gewiss kein leichtes Unterfangen, dies alles unter einen Hut zu kriegen. Doch das Schaffen bestimmt den überwiegenden Ton, nicht nur in der musikalischen Themenbildung – obgleich diese mit ihrem Aufbau an Liedern jede Schicht der aufgespannten Werte effektiv zu erweitern versteht.

Marshalls Ensemble findet darin auch den spielerischen Bezug zur Erfüllung, selbst in der Aufgabenteilung. Es gilt zu lernen und zeitweise voneinander loslassen zu können, um ein gleichgesetztes Ziel zu erreichen. Solange die (Film-)Magie eine gewisse Sicherheit bietet, ist ohnehin noch alles zu verkraften, bis das oberflächliche Gelingen vonstatten gegangen ist. Doch selbst die Semi-Realität des Märchens kann ihrer innewohnenden, bitteren Realität nicht entkommen, aus den erfüllten Wünschen kaum das ewige Glück zaubern. Im Gegenteil: Das Unglück türmt sich auf ihnen zusammen, wie schon die einzelnen, verzweigten Wege des Waldes zueinander geführt haben. In jenem Wirrwarr und dem darauf folgenden Schlund des Sterbens verlieren die Helden urtümlichster Fabeln ihre innere Führung, zweifeln mitunter an ihr und suchen Schuldige (= sich selbst). Bezeichnenderweise ist jene Motivation letztendlich nicht mehr bloß ein Bündel an Wünschen; aus ihnen werden – selbst innerhalb plakativer Archetypen – Menschen, wie wir sie alle kennen, schätzen, lieben, hassen und auch bangen, verlieren zu können: Söhne, Töchter, Mütter, Väter, Geliebte. Niemand ist eben allein.

Marshall und Co. springen dabei mit ehrlicher Empathie über ihren eigenen Schatten der eskapistischen Disney-Unterhaltung, wie auch die Charaktere ihre Eigennützigkeit im Handeln aufgeben: Die bloßen Fantasie-Figuren werden ihrer Humanität bewusst wie auch der Erhaltung des Zusammenhalts im fantastischen Erzählen. Märchen und Geschichten werden hier geboren, um Wünsche zu erwecken und zu erfüllen – ihr Lohn ist der Erhalt und Besitz von Allgemeingültigkeit, in der Funktion ebenso für individuelle sowie gemeinsame Sehnsüchte adaptier- und aufteilbar. Dieser Zuspruch macht das Märchenhafte noch realer und eindringlicher, als es die minutiösen Kulissen und Kostüme in ihrer perfektionierten Technik zu schaffen vermögen. Schließlich können auch über diesem Reich der Vorstellungskraft ordinäre, graue Wolken herrschen. Dagegen hilft aber vielleicht schon ein Treffen im Walde. Wer weiß, wohin es einen darauf führt – bis ans Ende der Wünsche oder gar darüber hinaus? Eins ist jedenfalls sicher: „Into the Woods“ bietet reichlich Freiraum zur Entdeckung an, vom abwegigen Schwank im Fabel-Forst bis hin zur besungenen Reflexion der menschlichen Bewältigung.

Meinungen

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Bisherige Meinungen

Yannic
8. Januar 2015
12:25 Uhr

Mit Ohrwurmgarantie!

Stefanie
19. Januar 2015
21:55 Uhr

Zunächst hyperaktiv, später eher vermehrt träges Halligalli mit einer pervers genialen Streep, die nur kurzzeitig von Johnny Depp als pädophilem Stricherwolf verdrängt wird. Aber: Die Handlung ist im besten Sinne ein einziger roter Hering, der gerade noch so die typischen Sondheim-Motive tragen kann – wenn auch nicht viel mehr. Spaß macht’s die meiste Zeit trotzdem. Außer vielleicht für Leute, die Musicals nicht mögen oder mit Sondheim gar nichts anfangen können (siehe meine zwei wunderbaren Begleitungen, winke winke).

Marie Habig
5. März 2015
22:16 Uhr

Ich finde den Film klasse !! Wobei ich dazu sagen muss , dass es für 6- jährige meiner Meinung nach nicht sehr geeignet ist , da viele Handlungen in Liedern verfasst sind ( was selbstverständlich für Musicals ist). Doch die jungen Kids haben kaum Englisch-Kenntnisse , was das Verstehen des Films als recht schwer erweist.

Trotzdem war er für mich ein tolles Erlebnis!!!

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