Die stetig fortschreitende Storyline des Marvel-Universums birgt einige profunde Vor- und Nachteile. Zum einen ist man als Zuschauer der ersten Stunde gerne dabei herauszufinden, welche neuen Abenteuer die sauber eingeführten Helden erwarten. Dafür werden auch einige große Ziele mit genauem Datum für die Erwartungshaltung serviert. Zum anderen hemmt diese Transparenz die Spannung in den Phasen dazwischen, weil bereits feststeht, wie und mit wem es weitergeht. So kann man nur um wenige Persönlichkeiten in dem neuesten Kapitel dieser Geschichte, „Avengers – Age of Ultron“, bangen – immerhin muss Captain America im „Civil War“ nächstes Jahr schon gegen Iron Man antreten, während Thor 2017 ein weiteres Solo namens „Ragnarok“ stemmen darf. Alle anderen Mitglieder des Ensembles besitzen zudem ebenbürtige Jahresverträge und tauchen ebenso in Stabsangaben und Synopsen zukünftiger Filme auf. Was bringt also eine weitere Zwischenstation auf dem Pfad einer gigantischen Klimax, wenn die Konsequenzen weiterhin eher aufbauender Natur sind? Nun, der obligatorische Popcorn-Spaß eines Superhelden-Eventfilms lässt sich bei über zwei Stunden Laufzeit noch gut aushalten und niemand weiß die Qualitäten der bekannten Recken kurzweiliger zu verknüpfen als Regisseur und Autor Joss Whedon.

Dabei scheint allerdings zwangsläufig eine Formelhaftigkeit in der bewährten Methodik durch: Um die einzelnen Schicksale und Motivationen im Rahmen halten und vermitteln zu können, bleiben diese recht simpel und auf größtenteils vorhersehbare Standards fixiert. Ohne großartig spoilern zu wollen, sei als Beispiel angeführt, wie der Charakter von Hawkeye (Jeremy Renner) nachvollziehbarer gemacht werden soll, indem man ihm schlicht eine Familie zur Seite stellt. Dies funktioniert zwar auf emotionaler Basis, bleibt aber eben nur manipulative Berechnung. Das geht zwar mit der Mentalität plakativer Comic-Vorlagen einher, wirkt hier allerdings wie ein Kompromiss erhöhten Zeitdrucks. Schließlich muss noch eine neue Riege an Charakteren eingeführt werden, welche diesen Film und weitere in der Zukunft vorantreiben sollen. Deshalb muss sich Whedon auf pointierte Szenarien verlassen und charakterspezifische Konflikte punktgenau dem Narrativ unterordnen. Gewiss kein leichtes Unterfangen und umso beachtlicher, je stärker diese Methodik alles zusammenführt. Gleich zu Anfang präsentiert er dazu eine explosive Plansequenz, in der alle Helden ihre Stärken einsetzen können und signalisieren, welch Genre-Spektakel einen erwartet. Da überkommt einem jener Enthusiasmus, den man beim ersten „Avengers“ spüren konnte – nämlich, dass all diese etablierten Charaktere zusammenkommen und zusammen eine gigantische Sause entfachen.

Eine Besonderheit wie diese kann aber nur einmal derartig nachwirken. Und so stellt man im Verlauf dieses Films einen Abnutzungsfaktor in der Erfüllung von Erwartungen fest. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass Whedons Schreibstil verstärkt dazu übergeht, jeder Figur ironische oder gar sarkastische Dialoge zu verleihen. Das gibt dem Ganzen Leichtigkeit und Effizienz, macht das Prozedere im Ansatz aber auch austauschbar. Wenn die neu geschaffene künstliche Intelligenz Ultron (James Spader) schon mit einem saloppen Narzissmus auf die Welt kommt, wie bei ihrem Erfinder Tony Stark (Robert Downey Jr.), fällt der Apfel jedenfalls nicht weit vom Stamm. Dabei ist der ausschlaggebende Punkt des Narrativs sogar Starks Verantwortungsbewusstsein der Welt gegenüber, diese wie mit einem Schutzschild als Superheld zu beschützen. Das daraus folgende Dilemma aus gut gemeinter Kontrolle manifestiert sich dann im selbstbewussten digitalen Kreislauf Ultrons, der sich wie ein Virus über die weltweiten Linien des Internets verteilen kann. Als maschinell logischer Prozess plant dieser jedoch den Schutz der Menschheit in der eventuellen Zerstörung dessen – wie es jeder halbwegs moderne Bösewicht inzwischen erwägt. Als Charakter gibt diese Allmacht also nicht allzu viel her, trifft als antagonistisches Vehikel jedoch alle wichtigen Eckpunkte, um den Film führen zu können.

Solch einfache Maßnahmen schlagen auch bei neuen Hütern von Superkräften wie Quicksilver (Aaron Taylor-Johnson) und Scarlet Witch (Elizabeth Olsen) an. Man könnte durchaus mehr mit ihnen anstellen und als Zuschauer will man auch mehr von ihnen sehen, aber sie arbeiten mehr als erzählerische Mittel denn als ausgearbeitete Persönlichkeiten. Die besten Sequenzen findet Whedon schließlich darin, wenn er für längere Zeit den ganzen Trubel außen vor und sein Ensemble spielen lässt, wie zum Beispiel auf einer Party bei Stark. Da wirken jene Halbgötter eben wie Menschen, die zwar mit fantastischen Anekdoten und Gimmicks aufwarten können, aber auf Kumpelbasis miteinander auskommen. Lange währt dieser Frieden nicht, denn das nächste große Action-Szenario wartet schon im bewährten Taktgefühl auf seine reißerische Entfachung. Es gilt, global Gebäude zu zerstören und computeranimierte Kämpfe wüten zu lassen – dafür hat man als Zuschauer ja bezahlt. Doch selbst diese brauchen hier immer eine gewisse Zeit, um aus ihrer austauschbaren Obligation zu erwachen und einige nie gesehene Bilder zu euphorisieren. Dann kann man sich aber auch freuen, wenn zum Beispiel der sogenannte Hulkbuster einige irre Techniken vorzeigen darf.

So hält sich die Maschinerie des Superheldenfilmstandards gut am Laufen, doch letztendlich führt das Prozedere wieder zu Punkt Null und die Frage, inwiefern solche Mächte die Welt beschützen sollen, wird nicht weiter gestellt. Solche komplexen Sachverhalte werden mit der Konfrontation und Verarbeitung innerer Dämonen ohnehin massentauglich abgekanzelt und dadurch wiedergutgemacht, dass wirklich viele Leute on screen gerettet werden. Harmlos wie von Disney und Marvel gewohnt, als Eskapismus sowieso genügsam, aber dann doch inkonsequent und nichtssagend in der Ausführung. Für gute Unterhaltung mit einigen erfinderischen Höhepunkten ist schon gesorgt, aber reichlich Neuigkeiten bieten sich hier zumindest im Gros bekannter Figuren nicht an. Am interessantesten wirkt da noch eine spät im Film eintreffende Kreation voller Bescheidenheit und eigenständiger Statur, die man aber zur Vermeidung von Spoilern hier besser nicht enthüllen sollte. Dabei gibt es an diesem Werk leider nicht allzu viel Aufregendes zu verraten, da das Einmaleins des Drehbuchschreibens für dieses Genre spätestens jetzt viel zu einfach zu entschlüsseln ist. Im Hinterkopf weiß man zudem sowieso stets, wie es schon nächstes Jahr weitergehen wird.

Also warum noch dran bleiben? Weil es ja doch noch immer knallt und Laune macht. Es wäre aber wünschenswert, wenn die wirksamen Formeln dazu demnächst wieder etwas über sich selbst hinauswachsen und Außergewöhnliches leisten. Sonst wird sich auch der anstehende „Infinity War“ um 2018 und 2019 herum seinem Titel entsprechend nur im Kreis drehen.

Meinungen

Teile uns deine Meinung zu „Avengers – Age of Ultron“ mit. Die Angabe eines Namens, einer korrekten E-Mail-Adresse sowie der Kommentartext sind verpflichtend. Alle Meinungen werden moderiert.

Kinostart: 14.09.2017

Mr. Long

In seiner neunten Berlinale-Teilnahme schickt Sabu Rindersuppen in den Wettbewerb.

Kinostart: 27.07.2017

Django

Étienne Comars Debüt eröffnet mit einem Porträt über Django Reinhardt die 67. Berlinale.

Kinostart: 06.04.2017

Tiger Girl

Jakob Lass’ dritter Langfilm zeigt erneut befreites, deutsches Kino basierend auf einem Skelettbuch.

Kinostart: 09.03.2017

Wilde Maus

Josef Haders Debüt als Regisseur ist ein harmloser Film über Kommunikation und Schnee.

Mr. Long

Sabu, Japan (2017)

Zerbrochene Leben und einstürzende Neubauten: In seiner neunten Berlinale-Teilnahme schickt Sabu Rindersuppen in den Wettbewerb.

Wilde Maus

Josef Hader, Österreich (2017)

Selbstmord durch gefrorenes Wasser: Josef Haders Debüt als Regisseur ist ein harmloser Film über Kommunikation und Schnee.

Occidental

Neïl Beloufa, Frankreich (2017)

Italiener trinken keine Cola! Neïl Beloufa verzettelt sich in seinem chaotisch-absurden Kammerspiel-Debüt.

Tiger Girl

Jakob Lass, Deutschland (2017)

Freiheit durch Reduktion: Jakob Lass’ dritter Langfilm zeigt erneut befreites, deutsches Kino basierend auf einem Skelettbuch.