Dari-I-Pech, Kunar, Afghanistan. Wald, Wiesen, Schluchten, eine Mission, vier Männer, später zwei Transporthubschrauber, noch mehr Männer, Mörser, Granaten, Kalaschnikows von AK 47 bis zu RPK, Maschinengewehrsalben, Gemetzel, Tod. Infernospezialist Peter Berg („Operation: Kingdom“, „Battleship“) muss in der Operation Red Wings anno 2005 eine Kriegspornopropaganda par excellence entdeckt haben, als er sich entschloss, Marcus Luttrells gleichnamigen „Tatsachenbericht“ „Lone Survivor“ ähnlich „authentisch“ zu verfilmen, wie der ehemalige Navy SEAL Luttrell seine teils wirren, teils immens gestreckten Ausführungen und den Untertitel seines Werkes schmückte. Tatsächlich könnte man ebenso eine amerikanische Flagge für zwei Stunden betrachten: ihr Wehen im milden Wind; das sanfte Schwingen des Sternenbanners; weiß, rot, blau im Wechsel mit der ihnen innewohnenden Symbolik um Unschuld, Tapfer- und Beharrlichkeit. Es wäre nicht minder spannend. Aber wohl minder töricht. So beobachtet man eine uninspiriert infantile Übung extremsten Chauvinismus, die von einer tumben Mixtur aus sexistischen, rassistischen und homophoben Wesen unter prekären Umständen geleitet wird. Sie aber sollen unsere Helden sein – und sollten wir das nicht selbst feststellen, so prügelt es uns der Abspann mittels „Heroes“ in einer Version von Peter Gabriel ein. Eine Tortur des Unerträglichen.
Diese vier jungen, weißen, zähen, attraktiven Männer (Mark Wahlberg, Taylor Kitsch, Emile Hirsch, Ben Foster) aber zieht es in die afghanischen Berge (explizit: auf den Sawtalo Sar), um den Talibanführer Ahmad Shah und seine Gefolgschaft zu lokalisieren. Eine „Capture or Kill“-Mission: ergeben oder töten; sofern das Ziel denn gefunden wird. Vorher jedoch lokalisieren einfache Ziegenhirten den Trupp. Da es sich bei ihnen allerdings um unbewaffnete Zivilisten handelt, dürfen diese nach den Einsatzregeln der Navy SEALs nicht liquidiert werden und informieren nach ihrer Freilassung schließlich Shah und seine Mannen. Das Vorspiel endet. Frauen als notwendige und charakterisierte Abziehbilder einer Illusion des Familiengebildes verschwinden. Statt Politik, Ethik und Präzision zwischen den Verhältnissen zweier Kulturen in einem Krieg folgen Blutfontänen, Klippensprünge und aufplatzende Leiber, aufplatzende Wangen, überhaupt aufplatzende Haut, allein des Aufplatzens wegen. An der furiosen Arbeit von Make-up-Maestro Howard Berger könnte man sich durchaus ergötzen, wenn denn das narrative Konstrukt nicht so offenkundig beschämend pathetisch und die Feinde mehr als Turban tragende, verwischende braune Flecken wären.
Allein das hübsch variable Intermezzo der Tonschnitt- und Tonmischungskünstler genügte zudem für gleich zwei Oscar-Nominierungen, die dann sogleich das stereotype Konzept beider Kategorien erfüllen, welche sich allzu gern von Schlachten und ihren zischenden bis basslastigen Abwandlungen beeindrucken lassen. Unsere vier heroischen Machismo zielen, treffen, robben – über Schotter, Sand und anderweitig komplex-biotische Gefüge in den Hochplateaus Afghanistans –, bis irgendwann nur noch einer zielt, ein bisschen trifft und immer mehr robbt. Nur töten und sterben. Gewiss, wirklich töten und sterben hier nur die amerikanischen, nicht aber die afghanischen Soldaten. Letztere sind die unheilvollen, die gänzlich bösen Schatten in einem Krieg, der laut diesem perversen Lustspiel von Film tote, amerikanische Helden in Flugzeugen aufbahrt und zuzüglich etwaiger Ehrenmedaillen wieder zu ihren Familien befördert. Die Aussage von „Lone Survivor“ ist diffus, psychologisch eklatant stereotyp und vor allem ein humanistischer Albtraum, wie auch immer nüchtern, dramaturgisch exzellent und voller Reflexe im zerstreuten Grauen das inszeniert sein mag. Peter Berg entlarvt höchstens die fiktive Realität eines Krieges als hollywoodeskes Ammenmärchen über die sichbar Guten und unsichtbar Bösen.
Denn „Lone Survivor“ möchte eigentlich eine Wahrheit definieren über den Krieg. Dafür müsste er diese Wahrheit zunächst finden – und bevor er diese finden könnte, müsste er sie suchen. Eine Wahrheit über den Krieg (und besonders jenen in Afghanistan) lässt sich aber nur finden, wenn man bereit ist, die zwei Seiten einer Medaille zu beleuchten. Krieg bedeutet Scheitern: menschlich, politisch, geografisch – auf jeder Seite. Eine Wahrheit über den Krieg finden, bedeutet auch, die Worte des griechischen Dichters Aischylos anzuerkennen: „Im Krieg ist die Wahrheit das erste Opfer.“ Der einzige Überlebende schrieb eine Geschichte über eine einzige, subjektive Wahrheit. Welche Wahrheit bleibt nun bestehen? Einzig jene der amerikanischen Körper, von Patronen zerstoben? Wie sicher können wir dieser Wahrheit sein?
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