Alle Frauen in Peter Stricklands „The Duke of Burgundy“ sind Puppen, die an fremden Fäden hängen und aus ihrem Kokon ausbrechen wollen. Die Natur dagegen unterliegt keinem Zwang; sie kreiert und zerstört nach eigenem Belieben. In einer Welt ohne Männer gebührt es sowieso jeder Frau selbst, inwiefern sie vor den konservativen Gepflogenheiten der Welt um sie herum resigniert. Einer Welt, die nur das Weibliche kennt. Einer Welt, der es am Männlichen fehlt und trotzdem nicht an ihm mangelt. Viel eher als nach spezifischen Geschlechterrollen suchen die Protagonistinnen hier daher nach zwei Rollen: der Rolle, welche durch die Natur bestimmt ist und der Rolle, welche der Mensch vorschreibt. So scheint es zunächst nur, als ob die Entomologin Cynthia (Sidse Babett Knudsen) gegenüber ihrem Dienstmädchen Evelyn (Chiara D’Anna) die Zügel in der Hand hält; als wäre sie die Herrin, die sich nach Dominanz sehnt. Einer Dominanz über Motten, Käfer, Schmetterlinge und jene Menschen, die sie umschwirren, an denen sie sich laben.

Die Wahrheit aber zähmt Strickland nicht in softerotischer Sexploitation, obwohl er sich à la Jess Franco der Ästhetik europäischer Trashfilme aus den späten sechziger und frühen siebziger Jahren ebenso bedient, wie er sie manipuliert; sogar bis hin zu einer Erwähnung im Vorspann, dass ein Parfüm namens Je Suis Gizella für den Film kreiert worden wäre. Es ist nichts weiter als ein roter Hering, der Richard Quines frivole Komödie „Zusammen in Paris“ übersteigert, in der sich Audrey Hepburn 1964 mit dem Duft und der Garderobe von Givenchy eindeckte. Doch Je Suis Gizella existiert nicht, ist gar eine Täuschung wie der Herzog von Burgund selbst. Denn bei dem wahren Herzog handelt es sich um den einzigen Vertreter des Würfelfalters in Europa: ein Insekt in Zimt- bis Schwarzbraun mit gelben und weißen Flecken, welches von April bis Juni fliegt und dessen Raupe sich von der Schlüsselblume ernährt. Vor allem aber neigt die Art zu Mimikry; sie imitiert, um zu täuschen. Wie der fiktive Duft Je Suis Gizella. Nichts anderes ist daher auch Stricklands dritter Spielfilm nach „Katalin Varga“ und „Berberian Sound Studio“: eine streng halluzinatorische, olfaktorische Fiktion, die sich über die Sinne in den Geist tanzt.

Jene sadomasochistischen Praktiken, die „The Duke of Burgundy“ in diffusen digitalen Einstellungen übermittelt, definieren sich nicht per se über die Ausformulierung eines Fetischs. Sie werden vielmehr über Riten, Beobachtung, Suggestion, über ein surreales, extravagantes Spiel mit Ton, Lingerie, Seifenblasen, mit Pflanzen, Pilzen, mit der äußeren und inneren Welt dargestellt. Die Liebe zwischen Cynthia, der vermeintlichen Sadistin, und Evelyn, der tatsächlichen Masochistin, fordert daher einen Raum, der noch unbefleckt ist von zwangszivilisatorischen Einflüssen. Wo es Wasser gibt, doch keinen Strom; wo Schuhe und Teppiche mit der Hand gebürstet werden. Alles folgt einem Protokoll, das täglich wiederholt und in Nuancen variiert wird. Immer beginnt es mit einem Klopfen, immer muss Evelyn warten. Allerdings werden Aktion und Reaktion nicht durch beide Frauen gleichermaßen kontrolliert. Jede neue Sitzung basiert auf einer schriftlich exakt formulierten Anweisung, einer Formel, an die es sich in einer bestimmten Zeitspanne zu halten gilt. Die freie, ungezügelte Lust: nur Konstruktion. Hinter jeder Liebe verbirgt sich schließlich das wechselseitige Gefühl intimer, substanzieller Nähe und absurder, melancholischer Zurückweisung. Auch hier.

So leben die zwei Frauen in einem viktorianischen Landhaus, welches seine einstige Opulenz lediglich nachahmt und im Verlauf der Jahreszeiten seziert, da sich die Beziehung zwischen Cynthia und Evelyn weiterentwickeln muss, doch nicht kann. Ein Gespräch mit einer Schreinerin, die sargähnliche Bettvorrichtungen produziert, bringt ebenso keine Erlösung; nur den Vorschlag, ob eine menschliche Toilette nicht neue Stimulation genug wäre. Die Liebe, sie ist schwer zu halten, obwohl sie einer Struktur folgt. Eine Reise in die Finsternis zwischen Cynthias Schenkel später, in den „Mulholland Drive“ der stimulierten Weiblichkeit, und Motten prasseln in einem Schnittstakkato auf die obsessive Kinematografie, die sich des Nackten, Sichtbaren und Evidenten mittels weichen Überblenden und Crash zooms verwehrt. Darunter flirrt der Soundtrack des britischen Dreampop-Duos Cat’s Eyes in sehnsuchtsvolle, animalische Sphären, die Ennio Morricone ebenso streifen wie das Sakrale, Kakofonische, Atonale. Tonaufnahmen des Liebesspiels der Seidenspinner komplettieren eine Kulisse, der ein einzigartiges Mysterium innewohnt, welches mit den Kompromissen seines Sujets hadert.

Eine weitere Rolle jedoch ist immanent: die des Zuschauers selbst. Weil in Peter Stricklands „The Duke of Burgundy“ ein Film wächst, der trotz seines synthetischen, artifiziellen Charakters eine unhaltbare, organische Lawine über die Essenz der Liebe lostritt. Nicht über konkrete Dynamiken, nicht über radikale Tendenzen. Sondern über einen Geist, der uns mit Nadeln im Schaukasten hält; uns sehen, aber niemals berühren lässt, was außerhalb des kleinen Gefängnisses ums Kerzenlicht flattert. Eine Flucht ist ausweglos bei einem Film, der unentwegt flüstert: Pinastri. Und in jenem Safeword einen Rückzugsort sucht, welches um die menschliche Natur transzendiert. Der Kokon des Menschen ist die wohl größte Täuschung; ein Ausbruch möglich, aber schwer.

Meinungen

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